Das Bayreuther Festspielhaus, für das Richard Wagner einst sein letztes Bühnenwerk „Parsifal“ komponiert hat, war im ausgehenden 19. Jahrhundert eine technische Innovation was Optik und Akustik betrifft. In diesem Jahr haben die Festspiele mit einer Neuinszenierung von Jay Scheib auch die neuen digitalen Technologien der „Augmented Reality“ mit speziellen Brillen für ein ausgewähltes Publikum erstmals mit einbezogen.
Alles Mögliche fliegt durch den virtuell erweiterten Raum des Festspielhauses
Die Gralswelt klingt nach delikatem Geheimnis, subtilen Schattierungen und ist an der Grenze zum Reich der Stille angesiedelt. So jedenfalls formt Pablo Heras-Casado am Dirigentenpult im abgedeckelten Graben des Bayreuther Festspielhauses den Orchesterklang von Richard Wagners letztem Bühnenwerk „Parsifal“.
Optisch wird dagegen fast zu viel ausgeplaudert. Und das liegt an der auf spezielle Brillen zugespielten „Augmented Reality“ des Regisseurs Jay Scheib. Da fliegt einem alles Mögliche um die Augen durch den virtuell erweiterten Raum des Festspielhauses: Putzig sich räkelnde Fliegen, Tauben und natürlich der Schwan, den der Tor Parsifal mit seinem Auftritt mit Pfeil und Bogen zum Entsetzen der Gralsgemeinschaft erlegt.
Sternkonstellationen sind da selbstverständlich dabei, wuchernde Pflanzenwelt, aber auch sausende Steinbrocken mit Kobalt. Es ist ein Element, das Energie stiftet – und für Jay Scheib das Substitut des ursprünglichen Abendmahlkelchs mit dem Blut Christi. Interessanterweise ist der Gral auch in Wolfram von Eschenbachs „Parzival“, der Vorlage für Wagners Bühnenweihfestspiel, gleichfalls ein Stein. Die von Wagner dagegen vorgenommene christliche Symbolik treibt der Regisseur gründlich aus.
Die Gralsgemeinschaft vergeht sich an der Natur
Und so wird die sich dahinschleppende Gralsgemeinschaft und ihr König Amfortas, an der sündhaft erlangten, sich nicht schließenden Wunde leidend, auch zu einer, die sich an der Natur vergangen hat und das Grals-Kobalt zerstörerisch ausbeutet. So fliegt im letzten Akt auch nur noch der im Meer abgelagerte Plastikmüll und Elektroschrott vor die Augen.
Nachdem Parsifal in Klingsors Zaubergarten für barbiehafte Blumenmädchen durch den Kuss der rätselhaften Kundry durch Mitleid wissend geworden ist, erlöst er am Ende die Gemeinschaft, in dem er den Kobaltstein auf dem Boden zerschlägt. Mit Kundry geht er im giftgrünen Teich eine Erlösungsehe ein. Gralsritter Gurnemanz bekommt am Ende auch seine Kundry. Sie tritt nämlich als Doppelfigur in Erscheinung – warum auch immer.
Ablenkendes Symbolrauschen durch AR-Brillen
Was nun das Gros des Publikums ohne AR-Brillen auf der analogen Bühne zu sehen bekommt, hält sich streng an Wagners Regieanweisungen, farblich sowohl mit scheußlichen Kostümen als auch im technoiden Bühnenbild etwas aus dem Ruder laufend.
Ansonsten wird das komplex Komplizierte des Stücks wenig ausgedeutet. Eine derart statische Chorregie gab es schon lange nicht mehr, obwohl Wagner sowohl die Gralsritter als auch die verführerischen Blumenmädchen musikalisch choreografiert.
Die entscheidenden Fragen nach der Gemeinschaft durch Empathie, die Glaubensrealität oder die Freiheit der Frau werden kaum berührt. Stattdessen bestimmt sich die „Augmented Reality“ durch ein oft ablenkendes Symbolrauschen, das im bildhaften Assoziieren vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt. Ob die technisch aufwändige Ausweitung der scheinbar schnöden Bühnenrealität damit einen „Parsifal“ fürs 21. Jahrhundert kreiert, sei dahingestellt.
Musikalisch auf der Höhe der Zeit
Musikalisch dagegen ist die Aufführung auf der Höhe der Zeit. Elina Garanca triumphiert mit sinnlichem Bel Canto als Kundry. Als Gurnemanz ist der wunderbare Georg Zeppenfeld bewährt klangschön ausdrucksstark wie akkurat längst eine beständige Festspielgröße. Die übrigen Solisten werden zurecht gefeiert.
Mit seiner feinkalibrierten Durchdringung der Partitur hat aber vor allem der Dirigent Pablo Heras-Casado enormen Eindruck bei seinem Festspieldebüt gemacht.
Bayreuther Festspiele
Musikgespräch Musikalische Sternstunde: Bayreuther Festspiele mit „Parsifal“-Neuinszenierung eröffnet
Mit einer Neuinszenierung des „Parsifal“ wurden die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnet. Doch nur knapp ein Sechstel der Besucher konnte Wagners Oper mit AR-Brillen erleben.