Unbändiger, ungebrochener Optimismus – diese absolut gelungene, und wirklich ergreifende Familienchronik vermittelt genau das. Wir erhalten Einblick in ein Leben, das sich uns unter normalen Umständen so nicht gezeigt hätte, und erleben ein Zusammenwirken von alten & neuen Traditionen, das beeindruckend ist – absolut sehenswert!
»80.000 Schnitzel« –eine Filmbesprechung von Anja Kalischke-Bäuerle
Und darum geht's - die Filmbesprechung zum Nachlesen
Zwei Frauen aus zwei Generationen und völlig unterschiedlichen Welten kämpfen um den Fortbestand des Familien-Bauernhofes. Der Film nimmt uns mit nach Steinlohe in der Oberpfalz. Auf einen Bauernhof mit Gasthaus und Pension: „Das Zollhaus“. 38 Kühe, 14 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und viel, viel Ruhe. Bis zur Grenze nach Tschechien sind es nur 600 Meter. Klingt idyllisch? Das fanden die Gäste, die früher hier Urlaub gemacht haben, auch. Heute liegt über allem eine besondere Stille. Nebelschwaden ziehen über das angrenzende Feld. Es ist einsam hier. Das wird schnell deutlich.
Bewirtschaftet wird der Hof von der 84-jährigen Berta Zenefels, die diesen – ihren – Hof nie verlassen hat. Seit einem halben Jahrhundert steht Oma Berta Tag für Tag in ihrer kleinen Küche. 80.000 Schnitzel landeten im Laufe dieser Zeit in Bertas Pfanne, sind in der Region bekannt und geschätzt, obwohl der Gasthof aufgrund immenser Schulden schon längst geschlossen wurde. Vereinzelt machen Gäste, vorwiegend Wanderer, hier noch Rast. Die Pension – eigentlich auch schon geschlossen, 16 Zimmer, wird von ein paar wenigen treuen Stammgäste besucht. Die Bilder zeigen uns Zimmer, die auf Gäste warten. Alles ist ordentlich, frisch bezogen. Wir sehen Oma Berta, wie sie Handtücher austauscht, Kissen ausklopft und lüftet. Die Gäste erwarten, dass alles so ist wie immer, auch wenn es sehr wenige sind. Und auch, wenn der Oma mit 85 alles zunehmend wirklich schwerfällt. Man sieht, wie sie ganz langsam die Treppen steigt, weil alles andere gar nicht mehr geht.
Ihr Leben ist geprägt von harter Arbeit, die Spuren hinterlassen hat. Ein Leben, das man ehrlich gesagt so heute nicht mehr führen möchte.
Wir erfahren, dass dem inzwischen völlig verschuldeten Hof das Aus droht, wenn nicht ein Wunder geschieht. Das Wunder heißt Monika, ist 34 Jahre alt und die Enkelin von Berta. Monika hat ihr Studium der Molekularbiologie als Beste ihres Jahrganges abgeschlossen, viele Auslandsaufenthalte hinter sich und ein selbstbestimmtes, freies Leben. Als sie sich entscheidet zu helfen, um den Familienbesitz zu retten, lässt sie ihr Leben, wie es bisher war, hinter sich.
Ein Jahr auf dem Bauernhof – so der Deal. Es ist ein Deal mit Regeln. Dazu gehört auch: Es wird nicht an die eigenen Ersparnisse gegangen. Und: Hannah darf Monika wachrütteln, wenn es nötig wird.
Hannah, Filmemacherin und Schwester von Monika, will mit und in diesem Film herausfinden, was Monika antreibt und warum sie für diese Entscheidung ihre ursprünglichen Träume aufgibt. Und wir Zuschauer dürfen daran teilhaben – am Herausfinden und am Verstehen. Warum wagt jemand einen solchen Schritt, nimmt so etwas auf sich?
Dass Hannah den Schritt von Monika nicht gut findet, daraus macht sie kein Geheimnis. Sie kann diesen radikalen Schritt nicht verstehen. Die Schwestern hatten gemeinsame Träume, ihr Leben war bis zu dieser Entscheidung eng miteinander verbunden. Die Schwestern wollten gemeinsam Großes erleben und leisten: Hannahs Traum, die »Goldene Palme« in Cannes zu gewinnen und Monikas Traum vom Nobelpreis im Kampf gegen Aids – das Leben sollte ein einziges Fest sein. Ein Fest, das sie mit gemeinsam erlebten Partys vorwegnehmen. Alte Filmaufnahmen zeigen die beiden beim ausgelassenen Tanzen, beim Reisen.
Hannah sagt:
Der Film ist eine Reise, festgemacht an Jahreszeiten. Wir verfolgen die Veränderungen durch den Herbst, durch den Winter, Frühling, Sommer und wieder dem Herbst.
Monika will den Hof retten und träumt von einer Oase in der Natur, will neu strukturieren, Abläufe entspannen. Vor allem aber soll nicht noch mehr Geld ausgegeben werden, wenn es nicht unbedingt sein muss. Futter für die Tiere zukaufen? Das Futter wird jetzt selbst angebaut! Und die Pension: Die Zimmer werden umgebaut. Neu, mit Küche, entstehen Ferienwohnungen, in denen sich die Gäste selbst versorgen können.
Oma sagt:
Oma glaubt am wenigsten an den Umbau und an die Veränderungen.
Oma Berta ist in ihrer eigenen Welt. Man sieht sie allein in der großen Hof-Küche stehen, Schnitzel klopfen, panieren und braten. Die Kamera zeigt in ruhigen Aufnahmen, das, was ihr Leben für sie ausmacht: Man begleitet sie in ihr Wohnzimmer, zu ihrer geliebten Jukebox, die nur noch Markstücke nimmt und bei der sie jedes Lied mitsingen kann, sieht dazu alte Familienfotos, die sie tanzend zeigen, begleitet sie in jeden Winkel des Hauses, und sieht aber auch, wie ihr während des Films alles immer langsamer von der Hand geht.
Die Bilder zeigen von Anfang an die Herausforderungen, denen Monika sich stellt: Die Kühe füttern in der Früh, dick eingemummelt, weil es so kalt ist. Man sieht sie allein auf dem alten Traktor das Feld bestellen – einem Traktor, der immer wieder kaputt geht. Man sieht sie allein auf dem riesigen, hallenartigen Dachboden mit Heuballen hantieren, die größer sind als sie selbst. Sie wirft sie von oben herunter – das Futter für die Kühe – und zurück bleibt Staub, aufgewirbelt und sichtbar durch den Lichtschein, der durch das offene Tor hereinfällt. Aber der Plan von Monika scheint aufzugehen. Das Milchgeld lässt sich verdoppeln. Der Plan mit dem Futter gelingt. Es muss nichts zugekauft werden. Monika träumt also den Traum der Familie vom Zollhaus weiter.
Alle, die den Hof bis dahin geführt hatten, haben ihren teilweise unglaublichen Träumen nachgehangen und dafür all das Geld verbrannt, was jemals erwirtschaftet worden war. Für ein Bauern-Museum hatte der Onkel alles Mögliche an Ausstellungsgegenständen zusammengekauft. Oder der Traum vom Pferdehof – obwohl niemand in der Familie jemals etwas mit Pferden zu tun hatte. Alles angefangene Projekt, nicht zu Ende gebracht. Alle Ersparnisse aufgebraucht.
Monika wird ihr Versprechen nicht halten: 35.000 Euro für die aufgelaufenen Stromrechnungen vieler Monate – inklusive Zinsen. Nicht zahlen würden bedeuten, dass der Strom abgestellt wird. Und doch: Der Hof ist unter Monika gleich im ersten Jahr rentabel, macht keine neuen Schulden mehr. Das muss ihr nun noch weitere 35 Jahre gelingen, damit der Hof schuldenfrei wird. Und – Monika wird bald heiraten, hat die Liebe ihres Lebens gefunden.
Wenn man im Abspann eine Coverversion des Klassikers "Wonderful Life" hört, dann fühlt man ihn, den unbändigen, ungebrochenen Optimismus, den diese absolut gelungene, und wirklich ergreifende Familienchronik vermittelt. Wir erhalten einen Einblick in ein Leben, das sich uns unter normalen Umständen so nicht gezeigt hätte, und erleben ein Zusammenwirken von alten und neuen Traditionen, von Generationen, das beeindruckend ist. Ein Film der in seiner Eindrücklichkeit noch lange nachhallen wird. »80.000 Schnitzel« – absolut sehenswert!
Alles zum Film
Filminhalt & Credits
Ein verschuldeter Gutshof und viele Schicksalsschläge: Im Dokumentarfilm »80.000 Schnitzel« begleitet Hannah Schweier ein Jahr lang ihre Großmutter und ihre Schwester bei dem Versuch, den untergehenden Familienbetrieb zu retten.
Film für's Ohr
Unbändiger, ungebrochener Optimismus – diese absolut gelungene, und wirklich ergreifende Familienchronik vermittelt genau das. Wir erhalten Einblick in ein Leben, das sich uns unter normalen Umständen so nicht gezeigt hätte, und erleben ein Zusammenwirken von alten & neuen Traditionen, das beeindruckend ist – absolut sehenswert! Eine Filmbesprechung zum Dokumentarfilm »80.000 Schnitzel« von Anja Kalischke-Bäuerle.
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Die Gewinner stehen fest, die Preise sind verliehen: Wir bedanken uns, bei alles, die unser SWR Doku Festival besucht haben! Und auch bei allen, die das weiterhin tun. Denn: Es gibt nach wie vor viel zu entdecken!
Nominierte Filme
Das SWR Doku Festival findet vom 16. bis 19. Juni 2021 statt. Von Credits bis Trailer: Hier finden Sie Infos zu allen nominierten Filme für den Deutschen Dokumentarfilmpreis 2021.