Alt werden ohne Demenz – das ist wahrscheinlich das Ziel aller Menschen. Auch wenn inzwischen 14 Risikofaktoren für eine Demenzerkrankung bekannt sind, verhindern lässt sich Demenz bisher nicht. Nun berichtet ein internationales Forschungsteam über eine interessante Entdeckung im Fachmagazin Nature: Eine Impfung gegen Gürtelrose kann demnach das Demenz-Risiko verringern. Der Effekt konnte in einer großen Analyse von über 290.000 Menschen in Wales beobachtet werden. Laut der Analyse hat sich das Demenzrisiko mit der Impfung um ein Füntel verringert.
Gürtelrose-Impfung gegen Demenz? Forschende stehen vor einem Rätsel
Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis hat sich lange angekündigt und trotzdem steht das Forschungsteam noch immer vor einem großen Rätsel.
Immer mehr Analysen zeigen, dass Menschen nach einer Gürtelrose-Impfung ein geringeres Demenz-Risiko haben. Die ersten Studien vergleichen vor allem das Demenz-Risiko von Geimpften und Ungeimpften. Auf den ersten Blick scheint der Vergleich eindeutig: Wer gegen Gürtelrose geimpft ist, erkrankt seltener oder später an Demenz.
Doch dieser Vergleich ist fehleranfällig: Vor allem gesunde Menschen lassen sich häufiger impfen, sagt die Neurologin Christine von Arnim von der Universitätsmedizin Göttingen:
"Menschen, die sich impfen lassen, haben in der Regel ein besseres Gesundheitsbewusstsein, ein besseres Wissen um ihre Gesundheit. Sie sind auch in anderen Bereichen einfach fitter, gesünder und achten besser auf sich."

Eine gesunde Lebensweise senkt das Demenz-Risiko
Wer gesünder lebt, hat sicher auch ein geringeres Demenz-Risiko. Liegt es also nur an den gesünderen Menschen und gar nicht an der Impfung? Diese Frage hat sich auch Markus Eyting von der Universität Mainz gestellt, der bis 2014 auch am Heidelberger Institut für Global Health tätig war.
Eine ungewohnt strenge Impfregel spielt dem Wissenschaftler dabei in die Karten: Denn Wales hatte am 1. September 2013 die Impfung gegen Gürtelrose neu eingeführt, jedoch mit einer strengen Altersregel: Nur wer am Stichtag jünger als 80 Jahre alt war, durfte sich impfen lassen. Wer 80 Jahre oder älter war, ging sein Leben lang leer aus, durfte sich also in Wales nicht impfen lassen.
Diese vielleicht fragwürdige Praxis hat das Forschungsteam genutzt und fand in der Gruppe mit dem Impfangebot ein geringeres Demenz-Risiko. Laut der Analyse hat sich das Demenzrisiko mit der Impfung um 20 Prozent verringert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Demenz diagnostiziert wird, verringerte sich bei Frauen um etwa sechs Prozentpunkte. Bei Männern war der Effekt weniger eindeutig. Dieser Unterschied beim Geschlecht kann mit dem etwas effektiveren Immunsystem von Frauen zu tun haben, vermuten Fachleute.

Schon lange Verdacht, dass Virus hinter der Gürtelrose das Gehirn beeinflussen kann
Klar ist: In der Demenzforschung wird immer häufiger über die Wirkung der Gürtelrose-Impfung diskutiert, und dabei fällt der Name des Virus, das hinter der Gürtelrose steckt. Die Rede ist von Varizella-Zoster-Virus. Eine Infektion mit dem Herpesvirus löst nicht nur die Windpocken aus, sondern kann vor allem im Alter zu einer Gürtelrose führen.
Betroffene klagen über Hautrötungen, manchmal mit unangenehmen Nervenschmerzen. Und die sind kein Zufall. Denn die Herpesviren können sich in Nervenzellen einnisten und schlummern dort oft jahrzehntelang nach einer ersten Infektion im Körper.
Schon lange gibt es also den Verdacht, dass Herpesviren das Gehirn beeinflussen können. Doch noch fehlt eine stichhaltige Erklärung, sagt Gedächtnisspezialistin Christine von Arnim: "Außerhalb des Labors gibt es keine harten Daten, die zeigen, dass das so und so funktioniert." Viel deutet aber drauf hin, dass die die Impfung auch das Demenzisiko reduziert, weil sich das schlummernde Herpesvirus durch die Impfung weniger stark reaktiviert.

Neue Studie untersuchte erstmals Zusammenhang zwischen verschiedenen Gürtelrose-Impfstoffen
Auch wenn die genaue Ursache noch nicht gefunden ist, glauben immer mehr Fachleute an einen Zusammenhang. Die aktuelle Studie hat aber eine entscheidende Einschränkung: Die neue Analyse untersucht einen Gürtelrose-Impfstoff, der heute in den meisten Ländern nicht mehr eingesetzt wird. Der neuere Impfstoff könnte aber noch besser schützen, zeigt eine Studie vom August 2024 im Fachmagazin Nature Medicine. Sie hat zum ersten Mal den Effekt zwischen zwei verschiedenen Impfstoffen gegen Gürtelrose verglichen und auf Demenzrisiko geschaut. Aber auch andere Theorien nicht ausgeschlossen werden.
Seit Herbst 2017 wird in den USA der neue Impfstoff Shingrix eingesetzt, der den alten Lebendimpfstoff Zostavax ersetzt. Der neue Impfstoff soll noch besser vor dem Virus schützen. Wirkt sich das auch auf das Demenzrisiko aus? Ja, sagt das beteiligte Forschungsteam der Universität Oxford.
Im Durchschnitt hat die Demenz bei den Geimpften mit dem neuen Wirkstoff fast ein halbes Jahr später angefangen, sagt Markus Eyting: “Das stimmt mich zuversichtlich, dass das ein weiterer Evidenzpunkt ist, der in die gleiche Richtung geht. Vielleicht ist es wirklich so, dass die Impfung den Unterschied macht.”

Ergebnisse weisen auf unbekannte Zusammenhänge zwischen Demenz und Virus oder Impfung hin
Das Forschungsteam hat die elektronischen Krankenakten von mehr als 200.000 Menschen über 65 aus den USA ausgewertet. Eine Analyse, die den Demenz-Verdacht rund um das Herpesvirus erhärtet. Wird die Gürtelrose-Impfung also bald zur Demenz-Prävention eingesetzt?
“Es soll nicht heißen: Man sollte sich jetzt unbedingt impfen lassen, sondern: Da ist was, was wir nicht wussten über Demenz und man jetzt weiter anschauen muss. Das scheint irgendwie mit dem Virus zusammenzuhängen, zumindest mit der Impfung. Und wenn die was tun kann, dann kann man auf Basis dessen vielleicht auch weitere Behandlungen und Medikamente entwickeln”, sagt Markus Eyting vom Heidelberg Institut für Global Health.
Demenz: Ursachen für steigende Anzahl an Erkrankungen, Risikofaktoren und Behandlungsmöglichkeiten
Klar ist: Die Demenzforschung wartet immer noch auf einen Durchbruch. Derzeit leben in Deutschland 1,7 Millionen Demenzkranke: 2070 werden es fast doppelt so viele sein, prognostiziert das Robert Koch-Institut. Und wer weiß, vielleicht sind die auffälligen Daten der Beginn eines Durchbruchs in der Demenzforschung.