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Unser Immunsystem – Kampf gegen Corona und andere Eindringlinge

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Julia Smilga
Julia Smilga (Foto: SWR, Julia Smilga)
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Unser Immunsystem kämpft täglich erfolgreich und von uns unbemerkt gegen Viren und Bakterien. Aber manchmal versagt es, wir werden krank. Warum ist das so? Und wie können wir unser Immunsystem trainieren und es stark machen?

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Immunsystem: vielschichtiges Netzwerk aus Organen, Zellen, Molekülen

Das Immunsystem ist ein vielschichtiges Netzwerk aus Organen, Zellen und Molekülen, das kleine Schürfwunden am Fuß genauso bekämpft wie Krebszellen und sich auch mit den jährlich auftauchenden Grippeviren anlegt.

Unser Körper ist von Natur aus mit guten Schutzbarrieren ausgestattet. Der Säuremantel auf der Haut zum Beispiel hält Viren und Bakterien fern. Die Magenschleimhaut dezimiert viele Erreger, die über die Nahrung in den Magen gelangen. Doch diese Schutzmechanismen funktionieren nicht hundertprozentig. Viren oder Bakterien können trotzdem eindringen.

Der Lymphknoten funktioniert dann wie eine Art Polizeistation im Körper. So beschreibt es Dr. Marianne Koch. Die Ärztin und Medizinjournalistin hat im Herbst 2020 das Buch „Unser erstaunliches Immunsystem“ veröffentlicht, das schnell auf der Spiegel-Bestsellerliste landete. Das Interesse daran, wie der menschliche Körper funktioniert und sich gegen Infektionen schützt, ist durch die Corona-Pandemie gestiegen. Marianne Koch erläutert im Buch, wie in der „Polizeistation“ des Körpers die Information, ob der Eindringling bereits bekannt ist, gespeichert ist.

Immunsystem produziert Millionen Antikörper in Minuten

Fresszellen werden herbeigerufen und Millionen von Antikörpern in Minuten produziert, bis der Erreger vernichtet ist – die ganz normale und alltägliche Antwort des Immunsystems. Etwa 90 Prozent aller Infektionen verlaufen daher unbemerkt.

Stellen sich jedoch Symptome ein wie Schnupfen, Husten oder Fieber bedeutet dies, dass beim Kampf des Immunsystems nicht alles nach Plan gelaufen ist. Die Erreger dringen weiter vor und werden durch die Erhöhung der Körpertemperatur, also Fieber, bekämpft.

Geschwollene Lymphknoten können ertastet werden und sind meist ein Zeichen dafür, dass sich das Immunsystem mit körperfremden Erregern, wie Viren oder Bakterien, auseinandersetzt (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Geschwollene Lymphknoten können ertastet werden und sind meist ein Zeichen dafür, dass sich das Immunsystem mit körperfremden Erregern wie Viren oder Bakterien auseinandersetzt

Das Immunsystem besteht aus zwei Säulen: dem angeborenen und dem „erworbenen“. Das erworbene Immunsystem muss neue Erreger erst einmal erkennen. Es braucht deshalb länger als die angeborene Immunabwehr, besitzt dafür aber die größere Treffsicherheit. Und: Das erworbene Immunsystem kann sich diesen spezifischen Angreifer für immer merken. Bei erneutem Kontakt mit einem bereits bekannten Erreger setzt die Abwehrreaktion dann schneller ein. Das ist der Grund, warum man einige Krankheiten nur einmal im Leben bekommt und danach „immun“ ist.

Männer erkranken oft schwerer an Covid-19 als Frauen

In der aktuellen Corona-Pandemie sind Ältere schlimmer betroffen als Jüngere. Denn unsere Immunabwehr wird mit dem Alter schwächer. Aber warum sind Männer schlimmer betroffen als Frauen? Eine britische Metastudie, die im Dezember 2020 in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen ist, stellt fest: Obwohl sich Frauen weltweit ähnlich häufig wie Männer infizieren, erkranken Männer oft schwerer an Covid-19. Und sie sterben häufiger an der Infektion. Das Verhältnis beträgt etwa 60 zu 40, sagt Thorsten Buch. Der Professor für Labortierkunde an der Universität Zürich erforscht seit 30 Jahren den Zusammenhang zwischen Immunsystem und Gender.

Immunsystem von Frauen reagiert effektiver auf Virus-Infektionen

Fest steht, dass das Immunsystem der Frauen auf Virus-Infektionen grundsätzlich schneller und effektiver reagiert als das von Männern. Das weibliche Geschlechtshormon Östrogen regt das Immunsystem an – im Gegensatz zum männlichen Testosteron, das die körpereigene Abwehr hemmt, so Thorsten Buch.

Auf den beiden X-Chromosomen von Frauen liegen außerdem rund 2.000 Gene, die das Immunsystem und die Gehirnentwicklung beeinflussen. Das Y-Chromosom ist im Vergleich zum X-Chromosom viel kleiner und enthält nur 86 Gene, die vor allem für die Entwicklung Richtung Mann verantwortlich sind. Frauen sind also im Vorteil, wenn es ums Überleben geht. Nur müssen sie dafür oft einen hohen Preis zahlen.

Schmerzende Handgelenke: Rheuma trifft alte Menschen ebenso wie junge, aber vor allem Frauen. Unter Rheuma sind über 100 verschiedene Erkrankungen zusammengefasst, die oft durch Entzündungen hervorgerufen werden (Foto: IMAGO, IMAGO / Cavan Images)
Rheuma trifft alte Menschen ebenso wie junge, aber vor allem Frauen. Unter Rheuma sind über 100 verschiedene Erkrankungen zusammengefasst, die oft durch Entzündungen hervorgerufen werden

Frauen bekommen viel häufiger Autoimmunerkrankungen als Männer

Autoimmunerkrankungen sind Krankheiten, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise gesunde Zellen angreift. Es bildet Antikörper und zerstört die gesunden Zellen. Dadurch entstehen chronisch entzündliche Prozesse. Weshalb das Immunsystem plötzlich dermaßen „entgleist“ und eigene Organe als Fremdkörper attackiert, ist der Medizinforschung nach wie vor unklar. Weltweit sind zwischen fünf bis acht Prozent der Bevölkerung von ungefähr 100 verschiedenen Autoimmunerkrankungen betroffen. Etwa vier von fünf Erkrankten sind Frauen.

Hinzu kommt, dass die Corona-Pandemie selbst schon Stress pur für die Gesundheit ist: Verunsicherung, gesundheitliche Sorgen, wirtschaftliche Existenzängste und soziale Isolation prägen heute unseren Alltag. Ein aktuelles Review der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie belegt, dass dauerhafter Stress nachweislich die Immunabwehr schwächt. Das heißt: Wir könnten anfälliger werden für das Virus, je länger wir unter Pandemie-Bedingungen leben müssen.

Immunsystem verliert Schutzwirkung bei chronischem Stress

Beim chronischen Stress kommt es zu einer ständigen Ausschüttung von Cortisol. Das Immunsystem wird dadurch sozusagen „fauler“ – es weiß mittlerweile, dass nichts Neues mehr kommt. Auf diese Weise wird nur der erworbene Teil des Immunsystems beansprucht. Dabei verlernt unser Körper schließlich, auf das schnellere angeborene Immunsystem umzuschalten und sich gegen neue Erreger zu wehren. Damit ist ein von chronischem Stress geplagtes Immunsystem dem SARS-CoV-2-Virus schutzlos ausgeliefert.

Mehr Wissen über das Immunsystem könnte zu neuen Therapien führen

Unser Immunsystem ist komplex. Viele erhoffen sich neue Erkenntnisse darüber, wie die einzelnen Teile zusammenwirken. Denn sie könnten zu neuen Therapien führen. Zum Beispiel im Kampf gegen Krebs. Erste Erfolge mit der sogenannten Immuntherapie, bei der das Immunsystem durch Tricks dazu gebracht wird, Krebszellen zu bekämpfen, sind bereits erfolgreich. Und auch psychische Erkrankungen wie Depressionen werden von immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern daraufhin erforscht, ob ein entgleistes Immunsystem die Ursache sein könnte.

Jeder Einzelne kann sein Immunsystem trainieren und stärken. Was in Pandemiezeiten gilt, gilt eigentlich immer: nicht rauchen, frisch zubereitete Nahrung essen und viel Gemüse und Obst, sich täglich an der frischen Luft bewegen, damit möglichst die Durchblutung des ganzen Körpers und damit der Immunzellen verbessert wird. Und vor allem: positiv denken.

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