Nahost-Konflikt

Fazil Say ist kein Antisemit! – Kommentar zu israelkritischen Äußerungen des Pianisten

Stand
AUTOR/IN
Albrecht Selge

Die politischen Äußerungen des Pianisten Fazil Say brachten ihm bisher öfter in seiner türkischen Heimat Ärger. Nun äußerte sich der Pianist zum Gaza-Krieg und positionierte sich mehrfach gegen Israel. Darauf wurde er von einigen Konzerten ausgeladen. Albrecht Selge findet Says Position zwar einseitig, aber nicht antisemitisch.

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Vor einigen Wochen schossen internationale und auch deutsche Medien einen kapitalen Bock: Eine israelische Rakete habe das Krankenhaus Al-Ahli in Gaza zerstört, war in Schlagzeilen und Breaking News zu lesen.

Bald darauf erhärtete sich der Verdacht, dass die Rakete eher vom palästinensischen „Islamischen Dschihad“ kam. Westliche Medien hatten ungeprüft eine Meldung der Hamas verbreitet, als wäre die keine Terrororganisation, sondern eine Nachrichtenagentur.

Fazil Say machte einen Fehler

Einen Bock schoss in diesen Tagen auch der Pianist Fazil Say: Er verbreitete einen Tweet des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der dieselben falschen Vorwürfe gegen Israel erhob. Dazu lobende Worte von Say für Erdoğans Nahost-Kommentare. Und heftige Kritik an der israelischen Regierung.

Wer Fazil Say kennt, der wunderte sich. Denn der türkische Pianist ist eigentlich seit Jahren als leidenschaftlicher Erdoğan-Kritiker bekannt, überhaupt als Freigeist. Er musste sogar schon wegen „Beleidigung des Islam“ in der Türkei vor Gericht. 

Desinformationen der Hamas verbreiteten auch namhafte Medienhäuser

Wundern kann man sich aber auch über die Reaktion des Schweizer Konzertveranstalters Migros-Classics, der Fazil Say prompt von vier geplanten Konzerten auslud. Wegen einer impulsiven Aussage in einer zunächst nebulösen Situation, in der auch professionelle Journalisten schlimm danebengriffen.

Fazil Say ist weder Journalist noch Politiker, sondern ein Künstler. Ja, er äußert sich oft politisch, und zwar fast immer in einem sehr liberalen, weltoffenen Sinn. Zu seiner Ausladung schrieb er:

Alle meine Aussagen waren im Geiste des Friedens. Ich war immer für das Gute, für Kompromisse und für die gemeinsame Suche nach einer schönen Zukunft.

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Say verharmlost nicht die Hamas und zweifelt nicht das Existenzrecht Israels an

Und ja, er kritisiert nach wie vor die israelische Regierung in zornigen Worten, nennt Benjamin Netanjahu einen „Kriegsverbrecher“. Das kann man falsch finden, auch verwerflich.

Aber ganz gewiss ist Fazil Say niemand, der ein Verbrechen wie den Massenmord der Hamas am 7. Oktober verharmlost oder gar gutheißt: In seinem Statement verweist er noch einmal explizit auf diese terroristischen Gräueltaten gegen Isrealis, die er betrauere. Auch ist Say niemand der das Existenzrecht von Israel bestreiten würde. 

Nicht zu diskutieren birgt auch Gefahren für die Demokratie

Fazil Say als unerwünschte Person, weil wir seine Stellungnahmen zum Gazakrieg einseitig oder verfehlt finden? Ich finde, das geht zu weit. Wer Terrorismus befürwortet, den dürfen, ja müssen wir ausgrenzen. Aber Fazil Says ganzes Schaffen erweist diesen Verdacht als vollkommen abwegig.

Und wenn wir nicht mal mehr mit Fazil Say sprechen und streiten wollen: Mit wem wollen wir denn dann überhaupt noch sprechen und streiten? Das wäre eine Bequemlichkeit, die am Ende Frieden und Verständigung nicht nützt, sondern schadet. Unter den vielen Gefahren, die unserer Demokratie und Freiheit gerade drohen, sollten wir uns auch vor dieser Gefahr hüten. 

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