Am 25. Juli beginnen die alljährlichen Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Und natürlich stehen, wie seit jeher, ausschließlich die kanonischen Werke Wagners auf dem Spielplan. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth regte vor ein paar Tagen eine Öffnung des Spieplans an und schlug vor, auch einmal „Hänsel und Gretel” zu spielen – welch ein kühner Vorschlag.
Claudia Roth als gewiefte Dramaturgin
Als Musiker habe ich, da ich ja nur manchmal und dann auch meistens am Abend arbeite, viel Freizeit, um tagsüber in den Baumarkt zu gehen und dort Material für mein Carport an der Außenalster zu kaufen.
Neulich ging ich da an der – Zwinkersmiley – Ton, Steine, Schrauben-Abteilung vorbei und musste plötzlich, mein lieber Schwan, an unsere Kulturstaatsministerin Claudia Roth denken, die vor ein paar Tagen als gewiefte Dramaturgin und Spielplangestalterin für Aufsehen sorgte.
Immerhin schlug sie vor, demnächst auch mal die (leider) unverwüstliche Märchenoper „Hänsel und Gretel” des Wagner-Nachfolgers Humperdinck in Bayreuth zu spielen.

Übersichtlicher Expertise mit viel Meinung
Spontan, ich kann es mir nicht anders vorstellen, wurden mehrere Tickets für die diesjährigen Festspiele wieder frei, denn einige Wagnerianer, die ohnehin allüberall Wahn wittern, sind seitdem mit Dauerschnappatmung im Krankenhaus und ringen um „Luft! Luft!”.
Seitdem liegen sicher einige Wagnerianer mit Dauerschnappatmung im Krankenhaus und ringen um „Luft! Luft!”
Aber, wieso die Aufregung? Die Staatsministerin liegt ja doch voll im Trend und amalgamiert geschickt ihre eher übersichtliche Expertise mit viel Meinung und persönlichem Geschmack zu einer politischen Botschaft.
Um in einem Diskurs voranzukommen lohnt es sich, immer auch zu versuchen, die Seite des Gegenübers zu verstehen. Vielleicht wäre das auch für die Staatsministerin mal eine Methode.
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Wir machen jetzt mal einen Stuhlkreis
Also, falls Sie das hören ... Stellen Sie sich in Ihrem alten Job als Managerin der Rockband Ton, Steine, Schrauben (oder wie die hießen) vor, wie sie mit Mio Meiser (oder wie der hieß) die „Playlist” für das abendliche Konzert in, sagen wir, Castrop-Rauxel am Küchentisch besprechen.
Anruf vom Oberbürgermeister: „Tach”, tönt es aus dem Fernsprechgerät „sachtma, könnt Ihr nachher auch watt von dem Grönemeyer spielen? Datt mit den Flugzeugen – oder ... Alkohol? Oder Glückauf? Datt finden die Leute hier immer total super!”
Vermutlich wird Mio Meiser sofort zugestimmt haben: „Du, Claudia – das machen wir. Wenn ich Bürgermeister von Castrop-Rauxel wär‘, würde ich das auch so machen. Wir müssen uns da auch öffnen. Wir müssen auf die Leute zugehen und uns ein neues Publikum erschließen. Kommt, wir machen jetzt einen Stuhlkreis und stimmen das mal ab und dann gehen wir alle zum Frisör.”
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Keine Tradition von Expertenregierungen
Doch Spaß beiseite. Von Ressort-Ministerinnen und -Ministern allumfängliche Expertise zu erwarten, ist immer ein bisschen schlicht und populistisch – und außerdem unpolitisch gedacht: wir haben in Deutschland nicht die Tradition von Expertenregierungen. Ein Verteidigungsminister muss nicht gedient haben.
Aber wenigstens etwas mehr Gespür und Geschick im Umgang auch mit jenen Szenen, die einem bislang vielleicht fremd waren, darf man schon verlangen.
Aber wenigstens etwas mehr Gespür und Geschick im Umgang auch mit jenen Szenen, die einem bislang vielleicht fremd waren, darf man schon verlangen. Die Politik möge bitte den Rahmen gestalten – und sich ansonsten aus dem Inhalt heraushalten, dafür sind nämlich wir zuständig.
Wenn ich Kulturstaatsminister von Deutschland wär‘... Als Hochkultur-Heini würde ich versuchen zu verstehen, wie die anderen ticken, sie dann auch ticken lassen – und übrigens gerade auch Mittel dorthin geben, wo es mir privat weniger gefällt. Ich werde es wohl kaum werden, aber vielleicht ja doch ein anderer Hamburger. Mal kucken.