Vor 300 Jahren erklang am Karfreitag erstmals Gottfried Heinrich Stölzels Oratorium „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“, zu einem Text des damals international bekannten Dichters Barthold Heinrich Brockes. Lange Zeit war es verschollen, nun wird es am Karfreitag seine Stuttgarter Erstaufführung in der Lutherkirche Bad Cannstatt haben.
Erstmals aufgeführt wurde Gottfried Heinrich Stölzels Oratorium „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“ am Karfreitag 1725 in der Kapelle von Schloss Friedenstein im thüringischen Gotha. Heute ist das Stück besser bekannt unter dem Namen seines Textdichters: Brockes-Passion.
Viele Zeitgenossen Stölzels vertonten den Text des Hamburger Dichters, unter ihnen Telemann (1716, überarbeitet 1722), Händel (1719) oder Johann Sebastian Bach, der Auszüge aus Brockes' Texten in seiner Johannes-Passion verwertete.
Erstmals in Stuttgart zum 300. Jubiläum
In Stuttgart wird nun Jörg-Hannes Hahn die Aufführung mit dem Bachchor und dem Bachorchester dirigieren. Er habe die Idee einer Stölzel-Aufführung schon lange im Kopf gehabt, so Hahn. Ein Student habe ihm schließlich eine Version der Passion vorgelegt, die ihn überzeugte, das Werk zur Aufführung zu bringen.
Dass diese nun ausgerechnet zum 300. Jubiläum der Uraufführung stattfindet, sei ein glücklicher Zufall, erzählt Hahn im Gespräch mit SWR Kultur.

Von Bach für seine Kompositionen verehrt
Die Musik von Stölzel sei ganz eigenständig, erklärt der Dirigent. Bach habe den Kollegen, der ab 1719 herzoglich-sächsischer Hofkapellmeister in Gotha war, verehrt. Man merke der Musik an, dass sie sehr fantasievoll und tief empfunden werde, so Hahn.
Die Arien seien wesentlich kürzer als in den Bach-Passionen, jedoch sehr farbenreich. Hahn erzählt von den berührenden Arien des Werks: Wenn etwa Maria mit Jesus singt „Soll mein Kind mir wirklich sterben“, getragen von Pizzicato der Streicher, dann, so Jörg-Hannes Hahn: „Das Herz stockt, wenn man das liest.“
Auch Jesus singt in Stölzels Passion nicht nur Bibel-Verse. Er hat auch eigene Arien. Dass der Komponist die Streicher in norddeutscher Besetzung spielen lasse – zwei Violinen, zwei Bratschen und Continuo – ergebe einen unheimlich schönen, seidigen Streicherklang.
Johannes-Passion und weitere Passionsmusik Klassik für die Karwoche in der ARD Mediathek
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Wiederentdeckung in einer Truhe hinter der Orgel
Viele Kompositionen von Gottfried Heinrich Stölzel sind über die Jahrhunderte verschollen. Die Passion ist heute nur dank einem Zufall überliefert: Eine Kopie wurde 1870 im Hoftheater Sonderhausen entdeckt, wo sie in einer Truhe hinter der Orgel verstaut und vergessen worden war.
Diese wurde vom deutschen Dirigenten und Cembalisten Ludger Rémy im 20. Jahrhundert neu vertont und 1997 vom Telemannischen Collegium Michaelstein eingespielt. In Stuttgart ist allerdings eine andere Vertonung zu hören.
5.1-Surround | Musik – LIVE Bachs Johannes-Passion
Johann Sebastian Bach:
Johannes-Passion BWV 245
Raphael Höhn (Evangelist)
Vox Luminis
Freiburger Barockorchester
Bariton und Leitung: Lionel Meunier
(Liveübertragung aus dem Konzerthaus Freiburg, Rolf-Böhme-Saal)
Album-Tipp Bachs Johannes-Passion mit dem Ensemble Concerto Copenhagen
Von Bachs Johannes-Passion gibt es so viele CD-Aufnahmen, dass man sie kaum mehr zählen kann. Entsprechend weit ist das Spektrum der Deutungen – es reicht von nachromantischem philharmonischem Betroffenheitspathos bis hin zu filigraner Detailarbeit mit historischen Instrumenten. Neues, denkt man, ist bei diesem Hit des Barockmusik-Repertoires nicht mehr zu entdecken. Warum also eine weitere Einspielung des Werks herausbringen? Der dänische Dirigent Lars Ulrik Mortensen und sein Ensemble Concerto Copenhagen haben es getan. Sie haben das Rad nicht neu erfunden, aber wichtige Aspekte in den Vordergrund gestellt und aus der Passion ein spannendes oratorisches Konzentrat gemacht, findet Kritikerin Susanne Benda.
Musikthema 300 Jahre Johannes-Passion: Die unbekannte zweite Fassung
Auf den Tag genau 300 Jahre nachdem die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach in der Leipziger Thomaskirche in ihrer zweiten und deutlich überarbeiteten Fassung zur Aufführung kam, wird sie im Freiburger Münster wieder erklingen. Erstmalig hat der Freiburger Bachchor unter der Leitung von Frank Markowitsch dafür auch einen Patenchor von Schülerinnen und Schülern integriert. Ein Probenbesuch von SWR-Reporterin Marion Eiche hat gezeigt, mit welcher Hingabe und Begeisterung das Ensemble das Werk mit all seiner Demut, Virtuosität und einer Friedensbitte interpretiert.