Zum „Welttag der Stimme“ macht sich Glossist René Sydow so seine Gedanken. Nicht ganz ohne Neid schaut er dabei auch auf die Sänger und fragt sich: Was tun die so, um ihre Stimme fit zu halten? Ob deren Aufwand wohl lohnt?
Mein Hals-Nasen-Ohren-Arzt meinte einmal, ich hätte Stimmbänder wie Drahtseile. Davon abgesehen, dass Sie sich jetzt selbst überlegen können, ob das ein Kompliment war oder nicht, war dies als auftretender Künstler fast 30 Jahre lang eine Art Berufsunfähigkeitsversicherung für mich.
Trotz 150 Auftritten im Jahr hielt meine Stimme immer durch. Bis zum letzten Winter. Da erwischte auch mich mal eine Stimmbandentzündung. Und abgesehen davon, dass ich auf der Bühne für zwei Wochen klang wie der uneheliche Sohn von Tom Waits, hatte ich ja noch Glück im Unglück: Ich musste ja nur sprechen.
Was, wenn ich statt Satiriker Sänger geworden wäre? Ich hörte ja, wie die hohen Vokale meiner Sätze wegbrachen und jeder kunstvoll rhythmisierte Satz wie eine zerkratzte Schallplatte holperte und sprang.
Gewaltiger Respekt vor Bühnen-Sängern
Und jetzt eine kleine Beichte: Ja, ich habe, trotz meiner begrenzten Musikalität, auch schon auf der Bühne gesungen. Als Schauspieler, z.B. in „My Fair Lady“ oder der „Dreigroschenoper“.
Gut, bei Kurt Weill könnte man jetzt ketzerisch sagen, sind auch schiefe Töne mit eingepreist, aber spätestens seit diesen Bühnenerfahrungen habe ich gewaltigen Respekt vor Menschen, die auf der Bühne singen. Auch inhaltlich manchmal.
Denken Sie an Sätze aus Wagners Werken wie: „Erquickung schaff ich. Labung biet ich dem lechzenden Gaumen. Wasser, wie du gewollt!“ Das kann ich gerade mal sprechen, aber singen? Unvorstellbar!
Zähneputzen für vollmundigen Klang
Und ich frage mich, was Sänger tun, um ihre Stimmen fit und geschmeidig zu halten. Enrico Caruso wird nachgesagt, er hätte sich vor einem Auftritt sehr ausgiebig die Zähne geputzt, Alice Cooper isst haufenweise Lakritz, Mariah Carey nur lila Lebensmittel, soviel Aufwand für eine bessere Stimme.
Gut, es gab auch noch die Tradition der Kastratensänger, die auf sehr viel mehr verzichten mussten. Das ginge mir persönlich aber doch zu weit.
Mit Knabenstimme zum Weltstar Farinelli: Kastrat, Superstar, Verwalter
Bis heute bleibt der italienische Kastrat eine bedeutende Figur der Musikgeschichte. Nun wird in Karlsruhe der erste Wettbewerb für Countertenöre nach ihm benannt.
Unsere Stimme ist einzigartig
Als beruflich Sprechender frage ich mich ja immer wieder, wie meine Stimme auf andere Menschen wirkt. Mehr noch: Wie meine Sprache auf andere wirkt. Das Deutsche, dem ja nicht immer ein besonders betörender Klang nachgesagt wird. Aber so geht es uns ja auch mit uns unbekannten Sprachen.
Klingt Japanisch nicht immer ein wenig wütend? Sprechen alle Italiener in schnellem Vorlauf? Und finden Sie nicht auch, dass selbst die fröhlichsten Sätze im Russischen klingen, als wäre ihr Sprecher von tiefer Melancholie gebeutelt?
Die Sprachen der Welt klingen auf uns so unterschiedlich wie die Stimme jedes Einzelnen. Selbst der gewiefteste Stimmenimitator der Welt wird durch ein Spektrogramm entlarvt, so einzigartig sind Artikulation, Tonhöhe, Farbe und Rhythmus unserer eigenen Stimme. Sie macht uns zu etwas Einzigartigem wie der Finger- oder Ohrabdruck.
Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir Menschen aber dennoch erkennen, dass wir auch in Sachen Stimme nur zweitklassig sind. Vögel zum Beispiel können bis zu drei Töne gleichzeitig singen. Das hat nicht mal die Callas hingekriegt.