Eine Blume, die die Glöckchen bereits im Namen hat – perfekte musikalische Steilvorlage! Das Maiglöckchen: Seine weißen, glockenförmigen Blüten nicken beim leichtesten Windhauch munter vor sich hin – muss das nicht genau so klingen wie bei der kroatischen Komponistin Dora Pejačević?
Verspielt wie eine Gruppe kichernder Elfen
Fein und zart, verspielt und lebendig – wie eine Gruppe kichernder Elfen. Gesellig sind sie in jedem Fall, die Maiglöckchen: Man trifft sie fast nie allein, meist stehen sie bei ihrer Clique – für Hofmann von Fallersleben und Felix Mendelssohn ist der Fall deshalb klar: Die Maiglöckchen sind die Partylöwen unter den Blumen!
Kaum ist der Frühling ausgebrochen, rufen sie alle anderen zum rauschenden Tanz zusammen:
Kirchschlager und Bonney singen Mendelssohns „Maiglöckchen und die Blümelein“
Betörender Duft, aber hochgiftig
Das Maiglöckchen entstammt der Gattung der Liliengewächse. Der botanische Name lautet Convallaria majalis. Die kleinen weißen Blüten besitzen einen intensiven Duft.
Genau, nicht zu vergessen: der Duft! In zahlreichen Parfums betörend verarbeitet. Doch: In die Maiglöckchen selbst sollte man die Nase nicht zu tief stecken, denn: Sie sind hochgiftig!
Es wurden 38 giftige Glycoside in der Pflanze gefunden. Äußerlich verursachen sie Haut- und Augenreizungen; bei Aufnahme durch den Mund treten Symptome von Übelkeit und Herzrhythmusstörungen auf – größere Mengen können sogar tödlich sein.
Ida Gamulin spielt Dora Pejačevićs „Maiglöckchen“
Glücklich, wer zum 1. Mai Maiglöckchen bekommt
Und trotzdem – was wäre der Frühling ohne Maiglöckchen! Kaum blühen sie, sind die Wochenmärkte von grün-weißen Sträußchen überschwemmt: Wer in Frankreich am 1. Mai ein „Bouquet de Muguets“ geschenkt bekommt, hat ein Jahr lang Glück. Der Komponist Jean Wiener feiert das mit einem Toast.
Melody Louledjian singt „Le Muguet“ aus Jean Wieners „Les Chantefleus“
Das Maiglöckchen kann auch schwermütig
Glücksbringend, gesellig, feiernd – das ist aber nur die halbe Wahrheit. Schaut man erst mal tief in den Blütenkelch hinein, offenbart das Maiglöckchen auch andere Seiten: schwermütige Seiten.
In einem Lied des ukrainischen Komponisten Grigory Alchevsky wird das Blümchen als einsam und zerbrechlich geschildert, übersehen im dunklen Wald, ein Spiegel des traurigen lyrischen Ichs: „Die Seele ist ein zartes Maiglöckchen“, heißt es im Text.
Melancholisch schön: David Wikanders „Kung Liljekonvalje“
Tatsächlich schauen auch die Schweden eher melancholisch auf das Maiglöckchen: Eins der bekanntesten schwedischen Lieder ist das von „Kung Liljekonvalje“, König Maiglöckchen. Er steht im Wald und trauert um seine geliebte Prinzessin Maiglöckchen. Ob sie ihn verlassen hat? Oder schlimmer noch: ob sie gepflückt wurde und nun in einer Vase dem sicheren Tod entgegenblickt? Der Text verrät es nicht.
Armer König Maiglöckchen! Dabei könnte er sein schmerzendes Herz sogar aus sich selbst heraus heilen – denn, bei aller toxischen Gefahr: In kleinen Dosen wird das Maiglöckchen-Gift zur Medizin.
Die Dosis macht das Gift
Das Maiglöckchen ist ein wertvolles Heilmittel, das schwache Herzen stärkt und unregelmässigen Herzen wieder zu einem Rhythmus verhilft.
Klein, aber oho, diese Maiglöckchen – definitiv ein Grund für die nächste Party! Und wenn sie nicht gepflückt wurden, dann wippen sie noch heute ...
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