Essay „Flower Power“

Wurzeln schlagen: Von der Freiheit, einen Ort zu haben

Stand
AUTOR/IN
Beate Meierfrankenfeld

Pflanzen sind schön, nützlich und ein Wunder der Verwandlung. Was sie aber nicht sind: die besseren Menschen. Die Projektion all dessen, was der Mensch für eine gelungene Koexistenz mit der Natur bräuchte, auf Pflanzen, ist ein Trugschluss. Meint unsere Autorin Beate Meierfrankenfeld. Was wir aber durchaus von ihnen lernen sollten: Wurzeln schlagen und Sorge tragen.

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Was Pflanzen tun, ist ein Wunder der Verwandlung. Licht und Wasser machen sie zu Biomasse und Atemluft, halten den Planeten bewohnbar, Lebewesen aus der Urzeit, sehr viel später von einem anderen Lebewesen domestiziert.

 Pflanzen sind nicht die besseren Menschen

Pflanzen sind nützlich, schön oder einfach da. Was sie jedoch nicht sind: die besseren Menschen. Kooperativ statt eigennützig, kommunikativ, selbstlos dem Kreislauf von Werden und Vergehen hingegeben. Wer sie so betrachtet, liest Absicht und Moral ins Vegetative hinein.

Seltsam paradox: Um den Pflanzen ihren Eigenwert zurückzugeben und sie nicht nur als Ressource für den Menschen zu sehen, schreibt man ihnen menschliche Eigenschaften zu. Nicht irgendwelche, versteht sich, sondern nur die besten. 

Weggehen können ist das Credo des Menschen der liberalen Moderne

Das ist trügerisch. Dass Pflanzen dennoch etwas wie eine Seele haben, eine Sensitivität, davon war schon Platon überzeugt. Er nannte sie darin sogar dem Menschen verwandt, zugleich konstatierte er als einen entscheidenden Unterschied: Die Pflanze ist fest an einer Stelle eingewurzelt, zur „Selbstbewegung“ also nicht fähig.

 Wurzeln schlagen, das bedeutet auch: bleiben müssen. Und das ist dann doch eine ganz andere Geschichte als jene, die der Mensch gern von sich erzählt. Erst recht der Mensch der liberalen Moderne.

Weggehen zu können, sich anderswo neu zu erfinden, das gehört unbedingt zu dieser Selbsterzählung dazu. Die Freiheit, die wir meinen und sofort nervös verteidigen, wenn sie eingeschränkt zu werden droht, ist wesentlich Bewegungsfreiheit. 

Ein neuer Begriff von Freiheit integriert die Möglichkeit, auf Dauer einen Ort zu haben

Doch dieses Ideal ist schal geworden. Es galt ohnehin nie für alle – verrät sich in der Realität also immer ein bisschen selbst – und es hat viel mit der aktuellen ökologischen Misere zu tun: Die expansive Welterschließung ist es gewohnt, weiterzuziehen, wenn sie Lebensräume zerstört hat. Was auf Dauer und planetar praktiziert, nicht gut gehen konnte.

Vielleicht hilft es da, einen neuen, anderen Freiheitsbegriff zu entwerfen, sagt die Philosophin Eva von Redecker. Ihr jüngstes Buch tut genau das, „Bleibefreiheit“ heißt es. Die Idee: Freiheit nicht zuerst als ungehinderte Bewegung im Raum zu denken, sondern zeitlich. Über die Dauer, in die Zukunft hinein: als Möglichkeit, einen Ort zu haben, der lange noch ein guter Ort wäre. 

Träume von absoluter Bewegungsfreiheit wirken angesichts des Klimawandels ziemlich unerwachsen

Das klingt vielleicht nach Rückzug, ist in Zeiten von Dürren, Fluten und Temperaturrekorden aber keineswegs unpolitisch. Im Gegenteil: Die Fragilität des Ökosystems Erde und seiner Subsysteme zu verstehen, ist der einzig plausible Rahmen für Politik auf der Höhe der Zeit.

Verglichen damit sind die Träume vom ultimativen Nicht-Bleiben-Müssen, wie Elon Musk oder Jeff Bezos sie mit ihren Weltraumfantasien träumen, ziemlich unerwachsen.

Was wir von den Pflanzen lernen können: Wurzeln schlagen und Sorge tragen

„Freiheit“ allerdings kann man das Bleiben nur nennen, wenn es kein Zwang ist. Wenn es also nicht um natürliche Wurzelwesen geht. Und wir sind solche Wesen nun einmal nicht. Wir können und müssen uns entscheiden, tun das Richtige oder Falsche, unser Weltwissen sitzt nicht schon in unserem Stoffwechsel drin.

Wir werden niemals sein wie die Pflanzen, aber wir könnten doch etwas von ihnen lernen. Dass wir fürs Bleiben Sorge tragen müssen zum Beispiel.

Blumengießendes Biedermeier ist das nicht, sondern ein großer, ein Weltrettungs-Job. Der Kaktus auf dem Fensterbrett, der schön trocken bleiben, und die Tomate auf dem Balkon, die von oben nicht nass werden sollte, sind kleine Mahnmale dafür.

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