Essay „Flower Power“

Schau! Mich! An! – Die erotische Verlockung der Pflanzen

Stand
AUTOR/IN
Julie Metzdorf

Der Mensch ist ziemlich gut darin, in den Pflanzen das zu lesen, was er in ihnen lesen will. Vor allem in der Kunst stehen Blumen gerne für mehr als nur sie selbst. Die vergehende Blüte als Botschaft der Vergänglichkeit, der welkende Strauß als Mahnung zur Wertschätzung des Lebens im Augenblick. Dabei könnte es viel spannender sein, wenn wir weniger metaphorisch überfrachten und einfach hinsehen würden, meint unsere Autorin Julie Metzdorf. Was wir damit gewännen? Unverblümte Verlockung und die Erinnerung an Sinnlichkeit und Sex.

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Blumen erzählen von schrecklichen Dingen

Als Kunsthistorikerin hat man es nicht immer leicht. Egal ob im Museum, im Stadtpark oder im Supermarkt: keine Rose, bei deren Anblick ich nicht an Dornen und die Schmerzen der Maria denken würde, keine Narzisse, die mich nicht an einen möglichen Tod durch unerfüllte Liebe erinnert, keine Mohnblume, ohne die im Wasser treibende Ophelia vor mir zu sehen und kein Granatapfel, der mich nicht darauf hinweist, dass Abraham vermutlich unzufrieden mit der Anzahl meiner Stammeshalter wäre.

Es ist schrecklich. Ich wünschte, ich würde die Sprache der Blumen nicht beherrschen. 

Die Neugier für die Pflanzen war Treiber für die Kunst

Dabei haben Blumen viel für die Entwicklung von Kunst getan. Wissenschaftler interessierten sich früh für die heilenden Kräfte von Pflanzen. Um dieses Wissen weitergeben zu können, wurde es aufgeschrieben.

Aber eine Blume mit Worten zu beschreiben, ist selten zufriedenstellend. Deshalb wurden Texte über Pflanzen sehr früh von Illustrationen begleitet. Der Wunsch, diese Illustrationen so detailreich und authentisch wie möglich auszuführen, führte zu neuen Maltechniken, allen voran der Ölmalerei, die präzise farbige Darstellungen ermöglichte.

Blumen als Vanitas-Symbol haben Hochkonjunktur im Retro-Barock heutiger Tage

Aber nicht nur die Alten Meister beschäftigten sich mit Blumen. Auch in der zeitgenössischen Kunst sind Blumen wieder sehr beliebt. In einer Art Retro-Barock steht die Blume hier wie schon vor 400 Jahren vor allem für die Vergänglichkeit: Videos im Zeitraffer zeigen verblühende Blumensträuße, genau wie mehrfach belichtete Fotos.

Selbst Herlinde Koelbl ist nach 50 Jahren Porträtfotografie nun auf die Blume gekommen und fotografiert sie am liebsten nach der vollen Blüte. 

Auch im Alltag feiern viele die Schönheit der Vergänglichkeit

Die Blume als Vanitas-Symbol erlebt auch im echten Leben gerade ein Comeback: Immer mehr Menschen feiern die Schönheit der Vergänglichkeit und werfen Blumensträuße nicht gleich mit der ersten welken Blüte weg. Es geht nicht darum, die verblühten Sorten auszusortieren und die noch frischen neu zu binden, nein, die erste Bindung ist heilig und darf so wie sie ist langsam vor sich hin vergehen.

Fans besingen eine eigene Art der Schönheit der welkenden Blumen, manche beschwören den Effekt, wenn die Farben kurz vor dem Tod der Blüte nochmal aufflammen, dunkler und satter werden. Andere stehen auf das langsame Verblassen, wenn nicht mehr alles so quietschbunt nebeneinander liegt, als hätte man einen Papageien gerupft und daraus einen Staubwedel gebunden.

Im Abgesang ist stattdessen alles so schön pastellig, mit einem alles harmonisierenden braun-beigen Grundton. Auch die Konturen und Strukturen gewinnen im Alter der Blume, wenn die Feuchtigkeit langsam entweicht treten sie deutlicher zu Tage. Und dann diese Herbststimmung, wenn die Kronblätter langsam herabfallen und um die Vase herum einen blass-gekräuselten Ring aus Vorsehung und Zufall bilden. 

Warum diese Lust am Abgesang?

Bevor das passiert, kommt so ein Strauß bei mir in den Müll. Die hängenden Köpfchen und verstaubten Gräser, der Geruch der langsam vor sich hin modernden Stängel unter Wasser, der von dort aufsteigende Schimmel an den Blättern in der schlecht belüfteten Straußmitte, die Fruchtfliegen und die fiesen Flecken, die der Blütenstaub dauerhaft auf dem Tisch hinterlässt: gegen einen real vor sich hingammelnden Strauß kommt bei mir keine noch so überzeugende Metaphorik an.

Ich muss auch gar nicht jeden Morgen an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert werden, die spür ich schon vor dem Aufstehen mit Augen zu.

 Blühen heißt: Zum Vorschein kommen!

Aber: Warum degradiert die Kunst bzw. der Mensch die Blumen immer nur zum Platzhalter? Warum sehen und hören wir immer nur, was andere durch die Blume sagen, und achten nicht einfach mal auf das, was sie uns selbst erzählen will?

Wer den Blumen zuhört, wird keine Metaphern finden, die Sprache der Blumen ist absolut unverblümt und sehr leicht zu verstehen: Schau mich an! – Finde mich gefälligst schön! – Und komm näher ran… Die Poeten unter den Blumen dichten vielleicht noch „Mach auf die Augen, die Nase mach weit“, man will sein Publikum ja mitnehmen.

Bei Blumen geht’s um das Gesehen-Werden. Die indogermanische Wurzel von „blühen“ – „bhlo“ heißt: zum Vorschein kommen. Blumen nennt man schließlich jene Pflanzen, die eher große, auffällige Blüten haben. 

Die tatsächlichen Botschaften der Blüten: Verlockung, Verführung, Sex

Blüten sind ein Lockmittel. Ihr Lebensziel besteht nicht darin, als Wasserleichen in menschlichen Wohnungen zu verfaulen. Ihre Aufgabe ist es, Bestäuber anzulocken. Das Ziel: Sex.

Von allen Künstlerinnen und Künstlern hat die US-Amerikanerin Georgia O’Keffee die Sprache der Blumen am besten verstanden, niemand sonst hat Blumen so groß, so schön und so selbstverständlich Vagina-ähnlich gemalt wie sie.

Blüten sind das Sexualorgan einer Pflanze. Das sollten Sie unbedingt bedenken, wenn Sie ihren Schwiegereltern das nächste Mal Blümchen mitbringen.

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