Essay „Flower-Power“

Schönheit als Ware – Warum Supermarkt-Rosen systemrelevant sind

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Daniel Stender
Daniel Stender

Pflanzen sind nicht einfach Pflanzen. Kommen sie als Schnittblumen daher, dann haben sie durchaus eine soziale Bedeutung; sie sind sogar systemrelevant. Dabei hat das kapitalisierte Bedürfnis nach Schönheit einen reichlich toxischen Markt geschaffen.

Daniel Stender erklärt, wie die Mechanismen dieses Marktes im einzelnen funktionieren – und warum Supermarktrosen letztlich eine demokratische Errungenschaft sind, die für alle zugänglich sein sollte.

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Zugegeben, auf den ersten Blick hat die Forderung nach „Brot und Rosen“ etwas Harmloses, ja fast schon Niedliches, Naives. Denn in so gut wie allen Revolten ging und geht es um Brot, darum, überhaupt etwas zu essen zu haben.

Es geht also um’s Überleben. Rosen sind da vergleichsweise egal – dass sie es dennoch vor über 100 Jahren zur Parole geschafft haben, das beschreibt die US-amerikanische Autorin Rebecca Solnit als einen Erfolg feministischer Arbeiterinnen, die sich für Brot, das Frauenwahlrecht und auch dafür einsetzten, dass Rosen nicht nur etwas für Wohlhabende waren. 

„Topfpflanzen und Schnittblumen“ als HartzIV-Posten

Wie weit der Weg von einem Slogan zu realer politischer Umsetzung ist, das zeigt sich in Deutschland an der Bedeutung, die Blumen in der Sozialpolitik haben. Nämlich: keine.

Immerhin, im kollektiven Unterbewusstsein der Schröder-SPD mag bei der Berechnung der HartzIV-Regelsätze noch ein wenig „Brot und Rosen“ vorhanden gewesen sein. Denn der Regelsatz sah zunächst einen Posten für „Topfpflanzen und Schnittblumen“ vor. Laut Bild-Zeitung waren 2010 monatlich ganze 3,80 Euro hierfür kalkuliert. 

Wandel hin zu "Brot ja, Blumen nein"

Die Zeitung listete damals noch viele weitere Posten auf und die Überschrift – „Sind Hartz-IV-Empfänger wirklich so arm?“ – deutet  schon an, was die schwarz-gelbe Regierung unter Merkel wenig später umsetzte: ähnlich wie chemische  Reinigung, orthopädische Schuhe sind seit 2010 Schnittblumen nicht mehr regelsatzrelevant. Also, nicht überlebenswichtig genug für Arbeitslose. Brot: ja. Blumen: nein. Auch das neue Bürgergeld erwähnt Blumen nicht.  

Blumenschnitt und Plastikverpackung im Akkord 

Natürlich gibt es ganz objektiv wichtigere Dinge als  Blumen. Und jeder und jede kann sich ausrechnen, wie viel am Monatsende vom Bürgergeld für Blumen noch übrigbleibt. Bei Netto kostet ein kleiner Topf Rosen zurzeit 2,29 Euro, bei Aldi Süd gibt’s einen Bund Fairtrade-Rosen für 2,99 Euro. Ist das viel oder wenig? 

Zu wenig ist es, wenn man auf die Produktionsbedingungen der Rosen schaut, die zu den drei Hauptverkaufszeiten – Valentinstag, Muttertag, Weihnachten – in Massen verkauft werden. Viele dieser Rosen kommen aus Holland, ein anderer, großer Teil stammt aus Kolumbien, aus Kenia und Tansania. Dort werden sie in Fabriken hergestellt, die so groß sind wie mehrere Fußballfelder und in denen die Rosen im Akkord geschnitten werden, in Plastik verpackt, gekühlt und nach Europa oder in den USA gebracht werden, um dort dann zum Preis einer kleinen Brötchentüte verkauft zu werden. 

Der Bayerische Rundfunk hat vor kurzem recherchiert, dass sogar Fairtrade-Blumen noch immer zu billig verkauft werden – existenzsichernde Löhne könnten auch dadurch nicht garantiert werden. 

Sogar stinkender Matsutake Pilz wird weltweit vermarktet

Als Zyniker könnte man also sagen: die Forderung nach Brot und Rosen ist vielleicht nicht für Arbeitslose, aber doch für viele Menschen in Deutschland erfüllt, viele Menschen kaufen die billigen Rosen ja. Als Realist müsste man vielleicht sagen: Menschen sind einfach perfekt darin, alles zu einem Geschäft zu machen. 

Hierzu ein anderes Beispiel: Die Autorin Anna Löwenhaupt-Tsing beschreibt in ihrem Buch „Der Pilz am Ende der Welt6“ den globalen Markt für den Matsutake-Pilz, ein stinkender Pilz, der vor allem auf Industrie-Brachen wächst, also in Gegenden, die gründlich vom Menschen verwüstet wurden.

Auch für diesen Pilz gibt es einen Markt, er gilt als Delikatesse, wird von armen Sammlern zum Beispiel in Nordamerika gesucht und über Zwischenhändler zu horrenden Preisen vertrieben.

Das Bedürfnis nach Schönheit ist politisch 

Aber weg vom stinkenden Pilz, zurück zur Rose. Und zurück zu „Brot und Rosen“ – als Mensch, der weder allzu zynisch noch allzu realistisch sein möchte, kann man diesen Slogan auch als etwas verstehen, was eben noch nicht erfüllt ist. Als eine utopische Forderung, die uns daran erinnert, dass auch das Bedürfnis nach Schönheit politisch ist. 

Darum ging es auch ganz am Anfang als „Brot und Rosen“ erfunden wurde, Rebecca Solnit schreibt, der Slogan spreche „sich gegen die Vorstellung aus, nur materielle, quantifizierbare Güter (…) wären für Menschen wichtig.“ Rosen stehen „dafür, dass Menschen komplex und Wünsche nicht einschränkbar“ sind.  

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