Seltsames Buchgenre erobert BookTok

Weird Girl Fiction erklärt: Warum diese Romane jetzt alle lesen

Stand
Autor/in
Katrin Ackermann

„Weird Girl Fiction“, die Fiktion der seltsamen Mädchen, erobert nicht nur das Internet, sondern auch die Herzen vieler Leserinnen und Leser. Wir empfehlen drei seltsame Bücher und erklären, was das Genre ausmacht.   

Hier geht es direkt zu den Leseempfehlungen

Frauen, die Winterschlaf halten, sich in eine Pflanze, einen Hasen oder eine Meerjungfrau verwandeln wollen oder sich auf skurrilste Weise von der Gesellschaft abschotten, darüber wird aktuell auf der Social-Media-Plattform TikTok diskutiert. Der Name dieses Genres: „Weird Girl Fiction“, die Fiktion der seltsamen Mädchen.

Gefühl des Unbehagens beim Lesen

Ein Gefühl des Unbehagens und der unterschwelligen Bedrohung schwingt bei der „Weird Girl Fiction“ immer mit. Die Texte weisen Elemente des Magischen Realismus, traumhafte Episoden, surreale Bausteine und kafkaeske Komponenten auf. Obwohl in vielen Geschichten mit fantastischen Elementen gearbeitet wird, werden die Lebenswelten, anders als in der „Weird Fiction“, als real behandelt.

Die Geschichten drehen sich immer um außergewöhnliche weibliche Hauptfiguren, die durch ihre seltsame Art oder ihr Verhalten auffallen und dabei abseits von Erwartungen, die an sie als Frauen gestellt werden, agieren. Tabus werden gebrochen und gesellschaftliche Normen hinterfragt.

Frau als Meerjungfrau im Wasser
Die Transformation ist ein Merkmal der „Weird Girl Fiction“. In Jade Songs Roman „Chlorine“ möchte sich etwa eine Schwimmerin in eine Meerjungfrau verwandeln, um dem Druck der Außenwelt zu entkommen.

Seltsame Frauenfiguren als Beispiel für weibliche Emanzipation

Viele Protagonistinnen in „Weird Girl Fiction“-Büchern stehen für das Ausbrechen aus bestehenden Konventionen. Ihr rebellisches Verhalten gilt als Akt weiblicher Emanzipation.

Es werden Tabus gebrochen und auch weniger glamouröse Aspekte des Frauseins hemmungslos beschrieben: Ottessa Moshfegh lässt ihre Protagonistin in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ zum Beispiel tagelang ihre Haare nicht waschen und auf die Rasur ihrer Bikinizone verzichten. An anderen Stellen werden die Periode und Toilettengänge ungeschönt auserzählt und weibliche Begierde auf authentische Weise thematisiert.

Teil 1: Weird Girl Fiction - Genreanalyse und Geschichte #booktokdeutschland #booktokgermany #bookish #weirdgirl #weirdgirlbooks #literaturgeschichte #weirdfictionbooktok

Auch ungesunde Gruppendynamiken wie zum Beispiel in Dizz Tates Debütroman „Wir, wir, wir“ oder die Darstellung mystischer Tierwelten wie in Ottessa Moshfeghs „Lapvona“ sind Merkmale der „Weird Girl Fiction“.

Bücher mit schrägen Protagonistinnen

Warum sind diese Geschichten so beliebt bei der BookTok-Community? Kurze, emotionale Rezensionen, in denen skurrile oder schockierende Szenen hervorgehoben werden, machen diese Bücher besonders geeignet für virale Trends.

Die visuelle Natur der Plattform und der Fokus auf persönliche Erfahrungen schaffen eine unmittelbare Verbindung zwischen Leserinnen und den Protagonistinnen.

Frau in weißem Kleid treibt im Wasser
Eine eindeutige Definition von „Weird Girl Fiction“ ist schwer vorzunehmen. Bücher aus diesem Genre haben jedoch gemein, dass eine skurrile weibliche Hauptfigur im Vordergrund steht und eine bedrohliche, unbehagliche Stimmung erzeugt wird.

„Weird Girl Fiction“ ist eine Antwort auf die Sehnsucht nach Individualität, Selbstbestimmung und der Freiheit, anders zu sein. Indem es gesellschaftliche Normen in Frage stellt und außergewöhnliche weibliche Figuren ins Zentrum rückt, spricht es insbesondere junge Leserinnen an, die in diesen Geschichten ihre eigenen Kämpfe und Träume wiederfinden.

Diese drei „Weird Girl Fiction“-Romane lohnen einen Blick

Die Figuren der folgenden drei Bücher eint, dass sie durch ihr skurriles Verhalten auffallen und sämtliche geschlechtsbezogene Erwartungen über Bord werfen.

Diese Protagonistinnen handeln ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen, auch wenn sie dabei teilweise auf Missverständnis stoßen, mit ihrem Handeln anecken und gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren. Skurril darf es dabei gerne werden!

Makabere Geschichte einer Frau, die Winterschlaf hält

Ottessa Moshfegh gilt als eine der größten Stimmen im Bereich des „Weird Girl Fiction“-Genres. Immer wieder tauchen ihre Romane „Lapvona“ und „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ in den Videos zum Thema auf den Sozialen Medien auf. Die Protagonistin in „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ist ein „Weird Girl“.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine junge Frau, die sich vornimmt, ein Jahr lang Winterschlaf zu halten und so die Welt um sich herum auszublenden. Um sich gezielt ins Delirium zu katapultieren, nimmt sie einen bunten Strauß an Schlaf- und Beruhigungsmedikamenten.

Viele Szenen werden ungeschönt und ehrlich, zum Teil auch abstoßend und ekelerregend, beschrieben, zum Beispiel wenn die Schläferin während ihres Winterschlafs phasenweise auf Körperpflege verzichtet.

Durch groteske Dialoge, der Rücksichtslosigkeit und Empathielosigkeit der Protagonistin und der dominierenden Kühle zwischen den Figuren schafft Moshfegh eine makabere Grundstimmung. „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ ist ein wahrer Klassiker der „Weird Girl Fiction“.

Gesellschaftliche Ausgrenzung durch Fleischverzicht

Dass Bücher, die in die Kategorie „Weird Girl Fiction“ passen, gleichzeitig weit oben in der Literatur-Liga mitspielen können, beweist auch die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang, die im vergangenen Herbst mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. In ihrem wohl bekanntesten Roman „Die Vegetarierin“ geht es um eine Frau, die sich entschließt, kein Fleisch mehr zu verspeisen.

Fünf Ehejahre verbrachte die Protagonistin mit ihrem Mann, der seine „gewöhnliche“ Frau, die fleißig für ihn kochte, putzte und die Wäsche machte, für selbstverständlich hinnahm – bis sie plötzlich durch ihren Fleischverzicht eine große Erschütterung und gesellschaftliche Ächtung auslöst. Ihr Umfeld versucht vehement, sie wieder zum Fleischessen zu bringen – wenn nötig auch mit Gewalt.

In Han Kangs Roman kommt ein weiteres Motiv zur Geltung, das in einigen Büchern der „Weird Girl Fiction“ zu finden ist: die Transformation. Sehr groß ist der Wunsch der Vegetarierin, sich in eine Pflanze zu verwandeln und somit kein Teil der Gesellschaft mehr zu sein.

Trotz der Schwierigkeiten, die der Fleischverzicht für Kangs Protagonistin mit sich bringt, bleibt sie bei ihrer Entscheidung. Es überwiegt die Sehnsucht nach Rebellion und danach, Konventionen abzustreifen, aus der Gesellschaft auszubrechen und selbst über den eigenen Körper bestimmen zu können. Ein Roman mit einer Protagonistin, die gesellschaftliche Ausgrenzung in Kauf nimmt, um für den Widerstand und gegen die Angepasstheit zu plädieren.

Identifikation als „Magical Girl“

In Sayaka Muratas skurrilem Roman „Das Seidenraupenzimmer“ ist das junge Mädchen Natsuki das „Weird Girl“ der Geschichte. Sie sucht ihren Ausweg aus der menschlichen Existenz und entwickelt dafür eine Überlebensstrategie, indem sie sich eine Gegenwelt erschafft und sich als „Magical Girl“ mit Zauberkräften zu identifizieren beginnt.

Das Mädchen kann und möchte die Erwartungen, die an sie gestellt werden, zum Beispiel bezüglich der Fortpflanzung und eines klassischen Familienlebens, nicht erfüllen. Selbst zuhause sieht sie sich als Außenseiterin.

Nur mit ihrem Cousin Yu fühlt sie sich verbunden – die beiden sehen sich sogar als Liebespaar. Natsuki wird von ihrem Lehrer missbraucht. Ihr Cousin und die Welt, die sie sich aufgebaut hat, geben ihr Halt.

Auch die japanische Autorin Sayaka Murata hat eine Tabu brechende Hauptfigur erschaffen, die kein Teil der normierten Gesellschaft sein möchte und stattdessen nach alternativen Lebensweisen und weiblicher Selbstbestimmung strebt.

Am Ende des Romans gibt es sogar Menschenfleisch zu essen – der „Weird Girl“-Score also auch in Muratas „Das Seidenraupenzimmer“ rundum erfüllt.

Lesung und Diskussion Emma Cline: Die Einladung

Die Hamptons vor den Toren von New York, wo sich die Reichen hinter hohen Mauern verschanzen. Eine junge Frau, die eingeladen und wieder abgestoßen wird. Männer, Macht, Geld und Abhängigkeit. Das kann nicht gutgehen.

SWR Bestenliste SWR2

Lesetipp Liz Nugent – Seltsame Sally Diamond

Wenn der Herbst einbricht, darf es gerne eine mysteriöse Geschichte mit geheimnisvollen Charakteren sein. So wie Liz Nugents Thriller „Seltsame Sally Diamond“.
Lesetipp von Katrin Ackermann

lesenswert Magazin SWR Kultur

TikTok-Trend um Charli xcx Frech, frei und neongrün: Drei Bücher für den „Brat Summer“

Das Motto des Sommers und TikTok Trend: Der „Brat Summer“. Drei Bücher passend zum neuen Social Media Hype um das Album von Sängerin Charli xcx.

Literarische Höhepunkte 2025 Nicht nur Thomas Mann: Diese Literatur-Jubiläen und Gedenktage sollten Sie im Kalender markieren

Das Literaturjahr 2025 steht ganz im Zeichen des 150. Geburtstags von Thomas Mann. Doch auch anderer Granden sollte man gedenken, darunter Eduard Mörike, Casanova und Jane Austen.

lesenswert Feature SWR Kultur

Favoriten der SWR Kultur Literaturredaktion Unsere Lieblingsbände aus der legendären „Anderen Bibliothek"

Seit 1984 verdanken wir dieser Buchreihe besonders schöne Bücher: die „Andere Bibliothek“. Nun feiert sie ihren 40. Geburtstag und wir stellen unsere Lieblinge vor.

Juhu, das Christkind bringt Lesestoff Der ganz spezifische Buch-Geschenkeguide für eine gelungene Bescherung

Wer Bücher verschenkt, hat Mut – oder exzellente Tipps! Hier kommen Titel, die Krimifans, Lesemuffel und Lesemäuse entzücken.

Lesetipps der Literaturredaktion Kitsch und echte Klassiker: Romantische Bücher zum Valentinstag

Vom siebten Himmel bis in den zweiten Kreis der Hölle: Bei diesen Buchtipps der SWR2 Literaturredaktion mit Kitsch, Kapitalismus und echte Klassiker vertreten.

Stand
Autor/in
Katrin Ackermann