Buchkritik

Peter Handke – Mein Tag im anderen Land

Stand
AUTOR/IN
Frank Hertweck

Die Geburt eines Dichters aus dem Geist der Besessenheit – der neue Peter Handke kann sich nicht entscheiden zwischen Heiligenlegende und Dämonengeschichte.

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Die Geschichte von Peter Handkes neuem Prosaband ist schnell erzählt. Da gibt es einen Obstgärtner, der auf Handkes letzten Roman “Die Obstdiebin“ anspielt. Er ist ein Außenseiter im Dorf, Vater, Mutter sind tot, die Schwester die einzige Vertraute. Ein Buch hat er geschrieben, was ihn der Gemeinschaft entfremdet. Genauer, man hält das für ein Buch, was doch nur eine Broschüre über „drei Arten, Spalierbäume zu ziehen“ ist.

Ein Mann, ein Einzelgänger, der von Dämonen besessen ist

Der Held ist im griechischen Sinne ein Idiot, also einer, der nicht dazugehört. In diesen fahren Dämonen ein. Darum gibt Handke seiner Erzählung die Gattungsbezeichnung „Dämonengeschichte.“

Im ersten Teil werden alle Varianten eines jahrelangen Besessen-Seins dekliniert. Der Ich-Erzähler zieht in ein Zelt auf dem alten Friedhof, spricht beiseite, beschimpft, schmäht mit leiser, aber alles durchdringender Stimme, er wütet gegen die Schöpfung, fungiert als Orakel, verwandelt sich „vom gefährlichen Narren zum harmlosen Idioten“, schafft Nachahmer, droht die Gewalt gegen sich selbst zu wenden und wird dann endlich erlöst von einem, den Peter Handke den „Guten Zuschauer“ nennt, den neuen „ami“ der Schwester.

Eine Wunderheilung und ein göttlicher Auftrag

Er gehört zur Gruppe der Fischer und damit ist die religiöse Dimension dieser Erzählung schon angerissen. Sein Erlöser schickt ihn mit deutlichen Worten auf Mission:

„Nein. Du gehörst nicht zu uns, Freund. Du hast hier nichts zu suchen. Weg mit dir. Und auf der Stelle, dalli-dalli. Hinüber ins Land hinterm See mit dir, Nachbar. Und dort drüben wirst Du erzählen und den Leuten dort in Dekapolis weitergeben, was Dir geschehen ist, verstanden?“

Der gerade,von der Besessenheit geheilte Obstgärtner macht sich auf den Weg ins andere Land, er schifft über den „großen Teich“, er begegnet bei seiner Wanderung vielen Menschen, die seltsam vertraut mit ihm umgehen, erreicht schließlich Dekapolis , wird dort Freunde finden, heiraten, eine Familie gründen.

Eine Heiligengeschichte, die vom rechten Pfad abweicht

Was wir zu lesen bekommen, ist eine Heiligenlegende mit umgekehrten Vorzeichen. Sie braucht wie jede Heiligenlegende keine psychologische Schlüssigkeit, keine dramaturgische Konsequenz. Sie dient exemplarisch der Erfüllung eines Heilsgeschehens.

Aber in einem entscheidenden Punkt weicht Handke von diesem traditionellen christlichen Muster ab. Der Obstgärtner verweigert seinen Missionsauftrag. Er erzählt nicht, was ihm geschehen ist.

„Das wäre der Moment, wären die Stunden gewesen, ihnen, den Unbekannten im anderen Land, wie mir aufgetragen, meine Geschichte zu erzählen. Und statt dessen erzählten, bis Mitternacht, sie mir ihre Geschichten, ungefragt, auch von keiner Frage meinerseits unterbrochen, rückhaltlos, vertrauensvoll, ernst.“

Erst wir Leserinnen und Leser erfahren von seinen Erlebnissen, in einem Jetzt beschrieben, Jahrzehnte später. Wir erleben die Geburt eines Schriftstellers aus dem Geist der Besessenheit. Und darum also eine Dämonengeschichte, weil in Handkes Lesart kein Dichter ohne Obsession auskommt.

Aber alles, was der Erzähler von diesen prägenden Erfahrungen weiß, hat er – wie er gleich zu Beginn klarstellt – vom Hörensagen.

Auf dem Weg nach Dekapolis, der fast einem Exerzitium gleicht, geht eine Verwandlung mit ihm vor, die nicht weniger einschneidend ist als die Besessenheit, die überraschende Verwandlung zu einem Gegentyp von Peter Handke. Er gibt sich nämlich strenge Regeln, nachdem er seine Brille abgenommen hat, ein Dichter des Ohrs statt des Auges: bloß keine Einzelheiten schauen, keine Seitenblicke wagen, nichts einen Namen geben. So lautet das Programm dieses künftigen Dichters, der genau das verwirft, was in Handkes großen Romanen dessen Markenzeichen ist, das genaue Hinschauen. Im neuen Buch ist der Dichter nur ein Zuhörer.

Peter Handke verfällt der Schilderung des Beispielhaften

Seltsamerweise verliert diese Erzählung dadurch auch den Kontakt zur Ding- und Außenwelt, obwohl es genügend Anzeichen gibt, sie in unserer Moderne zu verorten. Das Boot hat einen Außenbordmotor, Autos tauchen auf, das Fernsehen, aber diese Moderne klingt sprachlich nicht an, Sehbehelf“ heißt die Brille, die spätere Ehefrau die „Zukünftige“.

Peter Handke archaisiert die Gegenwart in typologische Konstellationen: Waise, Außenseiter, Bruder, Schwester, Jünger, Erlöser, Dichter. Alles ist irgendwie bedeutsam, aber gleichzeitig ohne Bedeutung. Handke ist der Gefahr nicht entronnen, der jede Heiligengeschichte anheimfällt, das Allerheiligste der Literatur zu verraten, das Individuelle, Besondere, Einzigartige. Einem religiösen Erzählen macht das nichts aus. Es interessiert nur das Beispielhafte. Eine Dämonengeschichte ist aber Dichtung. Darum zählt das Individuelle.

Am Ende scheint Handke diesen Widerspruch gespürt zu haben. Bevor der Held endgültig zum „Lasser“ wird, wie seine Frau ihn nennt, dem „Sein und gelten lassen“ zum obersten Prinzip“ werden, blickt er in den Spiegel und erinnert sich daran, dass Widerstand zu seinem Charakter gehört.

„Ja, wo ist er geblieben, der Widerstand, nicht bloß als Teil – als Kernstück deiner Natur, und das zum Glück, und zum Glück nicht allein für dich?!“

Der Dichter braucht also Dämonen. Wer vollständig erlöst wird, ist keiner mehr. Das hat der Heilige Peter in diesem, seinem neuen Buch über weite Strecken vergessen.

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