Viele Menschen würden sich heute von der deutschen Geschichte distanzieren und sogar dazu neigen, sie zu verspotten oder zu verhöhnen, sagt der Historiker Jürgen Zimmerer im SWR2-Gespräch. Er ist Herausgeber des Buches „Erinnerungskämpfe: Neues deutsches Geschichtsbewusstsein“, in dem Eckart Conze, Hajo Funke, Efsun Kızılay, Meron Mendel und andere dieses Phänomen analysieren.
Fundamentale Verschiebung in der Wahrnehmung der Vergangenheit
In Deutschland tobt eine hitzige Debatte über den Umgang mit der eigenen Geschichte. Es gäbe eine eine fundamentale Verschiebung in der Wahrnehmung der Vergangenheit, so Zimmerer. Historische Verbrechen, insbesondere die des Dritten Reiches, die lange Zeit als identitätsstiftend für Deutschland galten, würden von einigen nun ausgeblendet oder relativiert.
Chance zur Neuausrichtung des deutschen Geschichtsbewusstseins
Die Diskussionen in der deutschen Gesellschaft drehen sich nicht nur um die Aufarbeitung der Nazizeit, sondern auch um den Umgang mit Themen wie Kolonialismus, Migration und Gastarbeitergeschichte. Professor Zimmerer sieht in der aktuellen Debatte eine Chance zur Neuausrichtung des deutschen Geschichtsbewusstseins, um eine inklusive Sicht auf die Geschichte zu etablieren, die auch die Beiträge von Menschen mit Migrationshintergrund einschließt.
Umstrittene „Vogelschiss“-Rede von Alexander Gauland
Das Buch „Erinnerungskämpfe: Neues deutsches Geschichtsbewusstsein“ kann als ein Versuch angesehen werden, die Deutungshoheit über die Geschichte zurückzugewinnen. Es versammelt verschiedene historische Debatten, darunter auch die umstrittene "Vogelschiss"-Rede von Politiker Alexander Gauland, und zeigt die Vielschichtigkeit dieser Diskussionen.
Gespräch Max Czollek: „Fall Aiwanger zeigt die Kontinuität von Antisemitismus in Deutschland“
Die Diskussion um Hubert Aiwanger würde so geführt, als sei das Flugblatt eine Jugendsünde „und damit entschuldigt“, anstatt den Antisemitismus anzuprangern.
Holocaust-Gedenken Michel Friedman fordert neue Erinnerungskultur: „Deutschland war lange ein Schweigeland“
In einer Zeit, in der immer mehr Zeitzeugen des Holocausts sterben, wirbt der Publizist Michel Friedman, selbst Kind von Shoa-Überlebenden, für ein neues Erinnern an das Grauen der NS-Zeit. Denn Deutschland sei „zu lange ein Schweigeland gewesen“, sagt Friedman im SWR2 Gespräch.