Mäuserich statt Muskelmann

„Sexy Rodent Men“ erobern TikTok: Der Sommer der scharfen Nagetier-Männer

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Josh O’Connor gehört zu ihnen genauso wie Timothée Chalamet, Harry Styles oder Jeremy Allen White: Im Internet trenden derzeit die „heißen Nagetier-Männer“ als optischer und ideeller Gegenentwurf zu Muskelbergen mit Macho-Allüren. Doch nicht alle Männer wollen sich den Mäuse-Vergleich gefallen lassen.

Filmszene aus dem Pixar-Film "Ratatouille": Ratte Remy blickt über die Stadt Paris, der Eiffelturm prominent im Hintergrund.
Ein Boyfriend wie Rémy aus dem Pixar-Film „Ratatouille“? In den sozialen Medien sind derzeit viele auf die Ratte gekommen.

Männer, die an Nager denken lassen

Wenn junge Menschen in den sozialen Medien von Musikern und Schauspielern schwärmen, dann gehört das in aller Regel zu den harmloseren und liebenswerteren Seiten von TikTok, Instagram und Co. Nun haben britische und amerikanische Medien dort das neue Boyfried-Ideal des Sommers 2024 entdeckt: Im Internet wächst die Obsession mit Prominenten, die angeblich aussehen wie Nagetiere.

Filmstill „Challengers - Rivalen“: Mike Feist, Zendaya, Josh O'Connor
Im Film „Challengers - Rivalen“ steht die Tennisspielerin Tashi (Zendaya) zwischen den Kindheitsfreunden Art (Feist) und Patrick (O'Connor).

Alles fing an mit einer Debatte über den Film „Challengers - Rivalen“ von Luca Guadagnino. Im Film geht es um die Menage à trois zwischen drei Tennis-Profis: Neben Zendaya spielen der Brite Josh O’Connor und der Amerikaner Mike Faist die beiden männlichen Hauptrollen.

Einer Userin auf X (Twitter) fiel eine gewisse Ähnlichkeit der beiden Schauspieler mit Comic-Nagetieren auf: Josh O’Connor erinnerte sie an die Ratte Roddy aus dem Film „Flutsch und Weg“ (2006), Mike Faist an den kleinen Mäuserich Stuart Little aus dem gleichnamigen Film von 1999. Die Community stimmte zu, die „Sexy Rodent Men“ waren geboren.

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Was macht einen Mann zum sexy Nager?

Was braucht ein Mann also, damit das Internet ihn zum sexy Nagetier kürt? Die Style-Redaktion der New York Times definiert den „Sexy Rodent Man“ wie folgt:

Ein gewöhnlicher, mausartiger Mann mit breitem Lächeln. Statt eines definierten Gesichts wie bei Brad Pitt oder Chris Hemsworth ist es eher spitz zulaufend. Es ist wichtig, dass ihre Gesichter kantig sind, das ist das todsichere Erkennungszeichen. Das und große Ohren. Sie wirken eigenwillig und schwer fassbar.

Schauspieler Timothee Chalamet auf dem roten Teppich bei der Weltpremiere von "Dune: Part II"
Sein markantes, spitz zulaufendes Gesicht macht Schauspieler Timothée Chalamet zu einem der liebsten Nagetier-Männer der Generation Z.

Eher schlank als muskelbepackt sei der Nagetier-Mann, ergänzt die New York Times, eher „unkonventionell schön“ statt Anwärter für Heidi Klums Modelschmiede.

Neben den „Challengers“-Stars haben auch Schauspieler wie Timothée Chalamet („Dune“, „Call Me By Your Name“), Barry Keoghan („Saltburn“, „The Banshees of Inisherin”) oder Jeremy Allen White („The Bear“, “Shameless”) das Prädikat Nager bekommen. Auch Tom Hiddleston, Adam Driver oder Sänger Harry Styles sollen in die Kategorie fallen.

Schauspieler Jeremy Allen White mit der Ausreichnung der Screen Actors Guid Awards nach der Preisverleihung am 24.2.2024
Der „Sexy Rodent Man“ ist nicht muskulös? Zumindest Schauspieler Jeremy Allen White straft diese Behauptung Lügen. Der Hauptdarsteller der Erfolgsserie „The Bear“ modelt seit Anfang des Jahres für die Markenunterwäsche von Calvin Klein.

Gegenentwurf zur toxischen Männlichkeit

Das Unperfekte scheint es zu sein, was die Fans im Internet an den „Hot Rodent Man“ begeistert. Die Nagetier-Männer wirken authentischer als die überperfekten, durchtrainierten Superhelden der Marvel-Filme. Die Nager-Attraktivität hingegen hat mehr mit Charakter als mit perfekter Gesichtssymmetrie zu tun.

Einen Adonis himmelt man aus der Ferne an, während man sich mit dem Nager – zumindest in Gedanken – auch mal auf einen Kaffee verabreden kann. Insofern ist der „Rodent Man“ auch der aktuelle Gegenentwurf zum überdominanten Alpha-Männchen, die einfühlsame Antwort auf toxische Männlichkeit.

Gesellschaft Toxische Männlichkeit – Die Weltsicht der Wutmänner

In den "sozialen Medien" stößt man zunehmend auf Männer, die ihre Frauenverachtung und vermeintliche "Mannhaftigkeit" feiern. Es sind nicht nur Sprüche: Die Täter von Halle, Christchurch oder Utøya entstammen dieser Szene. Auch die AfD versucht, an diese Szene anzuknüpfen.

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Wie finden Männer den Nagetiere-Trend?

Ist der Vergleich mit den klugen kleinen Nagetieren das Kompliment, das alle dahinter erkennen wollen? Nein, findet unter anderem Mike Bedigan in seinem Kommentar im britischen „Independant“:

Aber am Ende des Tages beschreibt ihr Männer bloß als Ratten – ein Tier, das historisch mit Durchtriebenheit, Dreck und einer wortwörtlichen Pest in Verbindung gebracht wird, die im 14. Jahrhundert in Kontinentaleuropa rund 25 Millionen Menschen auslöschte.

Das ist die Schattenseite des Nagetier-Vergleichs: Ratten und Mäuse sind nicht nur klug und niedlich, sie sind im Zweifelsfall auch ein Fall für den Kammerjäger. Tiervergleiche sind eben nicht immer nett, sie werden auch genutzt, um das gegenüber zu objektivieren und zu entmenschlichen.

Schauspieler Simu Liu als Marvel-Held "Shang Chi" in einer Filmszene.
Die meisten Männer, die das Internet zu „heißen Nagern“ kürt, sind weiß. Zu den Ausnahmen gehört unter anderem der chinesisch-kanadische „Shang Chi“-Star Simu Liu.

Frauen werden regelmäßiger zu Tieren degradiert

Dass die Herren der Schöpfung hier jedoch nichts trifft, was nicht auch Frauen seit jeher tagtäglich über sich ergehen lassen müssen, das sollte nun wirklich niemanden überraschen: Sex-positive reifere Frauen werden gerne zum „Puma“ (Cougar) erklärt, attraktive und selbstbewusste Frauen sind angeblich „foxy“ (fuchsartig) und für die ältere Leserschaft sei hier auch gerne an die „kesse Biene“ erinnert. Ob da der Vergleich mit den intelligenten Nagern wirklich so viel schlimmer ist?

Wahrscheinlich wird Rodent-Hype, wie die allermeisten Social-Media-Trends, den Sommer ohnehin nicht überstehen und das Internet sucht sich neue Beaus aus einem neuem Bestiarium. Vom „Golden Retriever Boyfriend“ des letzten Jahres (bezeichnete alles zwischen Travis Kelce und Ryan Gosling) spricht heute auch kaum noch wer. So lange sollte man der Community ruhig ihre rattigen Männerträume gönnen.

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Erst waren es Pastelltöne und lackierte Fingernägel, zunehmend eigenen sich Männer auch Perlenketten und Röcke an. Längst nicht mehr nur Brad Pitt und Lars Eidinger tragen Kleider, die früher alleine Frauen vorbehalten waren - und das wirkt in die Gesellschaft.

Und auch Harry Styles - eines der Role-Models der Generation Z - singt klar: „Ihr wisst, es ist nicht mehr so, wie es war.“ Gerade bei den ganz Jungen herrscht ein viel weicheres und fluideres Männlichkeitsbild vor als wir es gewohnt sind, sagt Carl Tillessen, Trendanalyst vom Deutschen Mode-Institut: „Das ist etwas, was diese Generation wirklich mit in die nächsten Jahrzehnte hineintragen wird.“

Allerdings ist dieses fluide Männlichkeitsbild noch längst kein Massenphänomen, sagt die Kunsthistorikern Anne Söll: „Solange Herr Habeck nicht mit lackierten Fingernägeln in den Tagesthemen auftritt, haben wir hier es mit keinerlei großem Wandel zu tun.“

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Host: Christian Batzlen
Redaktion: Christian Batzlen und Max Knieriemen

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