Ich mache mir Sorgen um den großen Bruder. Also nicht um meinen großen Bruder, sondern um den „großen Bruder USA“. Das, was da gerade passiert, fühlt sich an, wie wenn ein einst bewundertes Familienmitglied vom Weg abkommt – zum Beispiel unter dem Einfluss falscher Freunde oder in die Fänge eines Sektenführers. Eines cleveren Scharlatans, eines Rattenfängers, der dem Bruder verspricht, groß und mächtig zu werden.
Die Kolumne von Gerhard Leitner können Sie hier auch als Audio hören:
Ein Land voller Superlative
Dabei haben die meisten von uns Boomern Amerika immer irgendwie bewundert. Die erste Jeans, die großartige Musik, unglaubliche Filme, die nur in Hollywood möglich sind. Überhaupt: die tollen Schauspieler, verrückte Autos, New York, der Grand Canyon – alles Superlative. Es war immer das Land der Träume. Aber es wird Zeit aufzuwachen, auch wenn vieles in den USA immer noch großartig ist. Aber das mit dem großen Bruder, der einen bedingungslos beschützt, das war wohl auch ein Stück vom Traum.

Darauf können und sollten wir uns nicht mehr 100 Prozent verlassen. Der große Bruder Amerika ist jetzt im Bann des orangegesichtigen Immobilienhändlers und seines neuen Freundes, der mehr Geld als alle anderen hat und so schnell wie möglich auf den Mars will. Schon Trumps erste Runde als US-Präsident war schwer zu ertragen, aber die Neuauflage und das, was er da alles vorhat mit seinen eigenartigen Komplizen?
Nicht das einzige Sorgenkind
Aber, die Amerikaner wollen das so, sie haben ihn demokratisch gewählt. Basta! Auch das wird der große Bruder USA verkraften. Außerdem lässt sich aus der behüteten Ferne gut schimpfen und lästern. Wahrscheinlich sieht man das alles ganz entspannt, wenn man in den USA lebt – zumindest, wenn man zu den einem Prozent Superreichen gehört.
Apropos behütet. Ganz so harmonisch ist das mit dem Rest der Familie auch nicht. Auch einer der kleinen Brüder macht mir Sorgen: das bisher so beliebte Österreich. Warum driftet das schöne Land mit dem guten Sozial- und Rentensystem nach dunkel-rechts ab? Auch die Schwester Frankreich hat sich irgendwie verlaufen. Von den anderen Verwandten namens Ungarn, Italien, Slowakei ganz zu schweigen. Und was, wenn die eigenen Eltern – sprich Deutschland – immer weiter abdriften? Vielleicht sollte man schonmal einen Termin mit einem guten Familientherapeuten ausmachen.