Symbolbild Justitia zu Hochwasser Ermittlungen Flut im Ahrtal (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / CHROMORANGE | CHROMORANGE)

Juristische Aufarbeitung der Flutkatastrophe

Keine Anklage gegen Pföhler: Welche Wege jetzt noch offen stehen

Stand

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, keine Klage gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler zu erheben, sorgt für viel Unmut im Ahrtal. Wir klären, welche juristischen Möglichkeiten es noch gibt.

Die SWR-Podiumsdiskussion in Dernau zum Thema "135 Tote und kein Prozess" hat gezeigt, wie sehr die Entscheidung der Staatsanwaltschaft die Menschen bewegt. Viele Besucher machten dort ihrem Frust Luft und äußerten ihr Unverständnis. Wir werfen einen Blick auf die wichtigsten Fragen des Abends.

Warum klagt die Staatsanwaltschaft Pföhler nicht einfach an - was hat sie zu verlieren?

Die Staatsanwaltschaft darf eine Anklage nach dem Gesetz nur dann verfassen, wenn die Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung in einem späteren Prozess höher ist als ein Freispruch. Und das muss sie dem Gericht in der Anklage auch begründen und Beweise vorlegen. Wenn sie davon nicht überzeugt ist oder gar davon überzeugt ist, dass sich eine Strafbarkeit nicht nachweisen lässt, muss sie das Verfahren einstellen und darf die Beschuldigten nicht trotzdem einem Strafprozess aussetzen.

Abgesehen davon kostet ein Gerichtsprozess viel Zeit und Geld. Und es ist fraglich, ob der Prozess Angehörigen hilft, wenn er aussichtslos ist. Dann könnte man am Ende vermutlich fragen: Warum wurde dann überhaupt erst angeklagt, warum hat man das den Menschen zugemutet? Die einzig richtige Frage ist also, ob die Staatsanwaltschaft die Entscheidung richtig getroffen hat.

Kann die Landesregierung Einfluss nehmen auf die Staatsanwaltschaft?

Deutschlands Staatsanwälte sind in der Tat weisungsgebunden und in eine hierarchische Ordnung eingegliedert. Sie sind also nicht völlig unabhängig, so wie es bei Richtern der Fall ist. Allerdings sind sie in ihren Entscheidungen trotzdem an das Gesetz gebunden. Nach der Strafprozessordnung müssen Staatsanwälte objektiv und neutral handeln und wenn es einen hinreichenden Tatverdacht gibt, müssen sie anklagen.

Nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, keine Anklage gegen Pföhler zu erheben, äußerten einige Kritiker jedoch die Vermutung, die Landesregierung habe von ihrer Weisungsbefugnis Gebrauch gemacht, um ein Verfahren zu verhindern. In der Podiumsdiskussion erklärte Grünen-Politiker Carl-Bernhard von Heusinger dazu: "In Rheinland-Pfalz ist es so, dass diese Weisungsgebundenheit überhaupt nicht ausgeübt wird. Derjenige, der Weisungen erteilen könnte, wäre der Justizminister - der macht davon aber keinen Gebrauch."

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Können sich Betroffene der Flut gegen die Einstellung des Verfahrens wehren?

Ja, das können sie. In einem ersten Schritt können Verletzte oder Angehörige von Toten eine Beschwerde einlegen. Über die müsste dann die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden. Sollte diese die Beschwerde zurückweisen, könnten sie in einem zweiten Schritt einen Antrag ans zuständige Oberlandesgericht schicken. Dann würde das Gericht prüfen, ob die Staatsanwaltschaft korrekt entschieden hat oder nicht. Wenn nicht, würde das Gericht die Staatsanwaltschaft anweisen, doch noch eine Anklage zu erheben. Das nennt man Klageerzwingungsverfahren.

Wurde bereits Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens eingelegt?

Hinterbliebene der tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal haben nach Aussage ihres Anwalts gegen die Einstellung der Ermittlungen Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz eingelegt. Das teilte ihr Anwalt Christian Hecken mit. Hecken vertritt unter anderem die Familie Orth, deren Tochter Johanna bei der Flut starb, und Werner Minwegen, der beide Eltern verlor. Die Beschwerde für diese beiden Fällen sei am Montag eingelegt worden, hieß es.

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Welche Aussichten auf Erfolg haben Beschwerde und Klageerzwingungsverfahren?

Am Ende der Diskussionsrunde machte Staatsrechtler Zimmermann den Menschen im Ahrtal wenig Hoffnung, dass es noch zu einem Verfahren gegen Ex-Landrat Pföhler kommen wird. Demnach seien Beschwerden gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft fast nie erfolgreich. Das gelte auch für das Klageerzwingungsverfahren. "Ich warne davor, zu große Erwartungen daran zu setzen", so Zimmermann.

Er verwies jedoch auch auf das Verfahren zur Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Damals hatte die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben, das Landgericht das Verfahren aber nicht eröffnet. Nach einer Beschwerde vor dem Oberlandesgericht war es dann aber doch noch zu einem Prozess gekommen.

Opferanwalt Christian Hecken jedenfalls will noch nicht "die Flinte ins Korn werfen". Im Gespräch mit dem SWR zeigte er sich optimistisch. Seinen Worten zu Folge macht die Einschätzung von Sachverständigen Hoffnung, dass die Ermittlungen nochmal aufgenommen werden. Er stellt sich jedoch auf eine längere Wartezeit ein.

Käme auch eine Zivilklage gegen Pföhler in Frage?

Die Angehörigen der Flutopfer können theoretisch auch den Weg einer Zivilklage gehen. Das haben beispielsweise die Eltern der getöteten 12-Jährigen Luise getan, nachdem das Strafrecht keine Möglichkeit gab, gegen die minderjährigen Täterinnen Anklage zu erheben. Flutopfer-Anwalt Christian Hecken erklärte auf SWR-Anfrage, dass dieser Weg zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch keine Option sei.

Demnach wolle man erst noch abwarten, ob die Ermittlungen gegen Pföhler im Zuge der Beschwerde gegen die Staatsanwaltschaft nicht doch nochmal aufgenommen werden. Eine Zivilklage sei demnach mit hohen Risiken und Kosten für die Kläger verbunden. Daher haben die Eltern von Johanna Orth bereits eine Spendenkampagne auf der Plattform Gofundme ins Leben gerufen, um Geld für Verfahrenskosten zu sammeln. Denn die Zeit drängt - laut Hecken gilt eine Verjährungsfrist, die Ende des Jahres ausläuft.

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Was hat es mit dem Disziplinarverfahren gegen Pföhler auf sich?

Wenige Tage nach der Flutkatastrophe, im August 2021, hatte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) ein Disziplinarverfahren gegen den damaligen Landrat Pföhler eingeleitet. Dieses Verfahren sei zwischenzeitlich wegen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt worden, erklärte die ADD in Trier auf Anfrage. Da es nun zu keiner Anklage gegen Pföhler gekommen sei, werde das Disziplinarverfahren fortgesetzt, sofern keine Rechtsmittel (wie oben genannte Beschwerde und Klangeerzwingungsverfahren) gegen die Einstellung der Staatsanwaltschaft eingelegt würden.

Welchen Einfluss hat der U-Ausschuss zur Flutkatastrophe?

Der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe hat im Oktober 2021 seine Arbeit aufgenommen, nachdem es Kritik an der Arbeit der Landesregierung gab. Der Auftrag des Ausschusses: Klären, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 gab und wer dafür verantwortlich ist. In mehr als 40 Sitzungen wurden mehr als 220 Zeugen und Zeuginnen verhört.

Zuletzt wurde im Februar noch der Krisenforscher Frank Roselieb befragt. Bis zum Sommer soll nun der Abschlussbericht fertiggestellt und im September im Landtag besprochen werden. Der Untersuchungsausschuss dient jedoch nur der politischen Aufklärung und kann niemanden strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen.

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