Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss (Foto: SWR, © SWR/Anna Brockdorff)

Heute Demokratieforum im Hambacher Schloss

Demokratie in der Krise - oder Krise der Demokraten?

Stand
AUTOR/IN
Andrej Reisin

Warum gibt es in vielen Ländern eine immer größere Skepsis gegenüber der Demokratie? Liegt es an der Politik oder am mangelnden Engagement der Bürgerinnen und Bürger? Darüber diskutiert Michel Friedman am 13. September mit seinen Gästen im Hambacher Schloss.

Das Netz funktioniert nicht, der Zug ist zu spät, die Schule fällt aus: Viele Bürgerinnen und Bürger sehen und erleben jeden Tag Missstände, an die man sich schon fast gewöhnt hat. Zu den Dauerthemen Reform- und Investitionsstau kommen nun noch Inflation und Rezession. Viele haben längst den Eindruck, dass die Politik nicht mehr in der Lage ist, die Probleme zu lösen: Im August veröffentlichte die Körber-Stiftung eine Studie, wonach 54 Prozent der Befragten nur noch "weniger großes" oder sogar "geringes Vertrauen" in die Demokratie haben.

Im Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss diskutieren die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, die Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, und der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky mit Moderator Michel Friedman über das Thema "Demokratie in der Krise oder Krise der Demokraten?"

"Ein Land, das einfach funktioniert"

Im ARD-Sommerinterview sagte die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, man bräuchte eben ein Land, "das einfach funktioniert". Da Letzteres aber nicht der Fall ist, ist das Klima für Populisten günstig, die scheinbar einfache Lösungen für komplizierte Probleme vorlegen: Im Juni gewann die AfD ihr erstes Landratsmandat im thüringischen Sonneberg, der dortige Parteichef Björn Höcke, dessen Landesverband vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft wird, kündigt für das kommende Jahr ein "politisches Erdbeben" im Osten an. 2024 wählen Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage.

Fünf Fakten zu Demokratie in der Krise - oder Krise der Demokraten?

Die Demokratie ist global unter Druck

Doch die AfD ist nicht allein: Von Donald Trump über Viktor Orbán (Ungarn) bis Giorgia Meloni (Italien), von der polnischen PIS bis zu den Ex-Regierungschefs Jair Bolsonaro (Brasilien) und Boris Johnson (Großbritannien) gibt es seit mindestens 2016 einen globalen Trend in westlichen Demokratien, rechtspopulistischen Parteien und ihren Führungsfiguren zur Macht zu verhelfen - mal mit besserer, mal mit schlechterer Erfolgsbilanz. Setzen Sie sich langfristig durch, wie Viktor Orbán in Ungarn, höhlen sie die Demokratie langsam von innen aus. Bereits 2018 sagte der ungarische Ministerpräsident: "Die Epoche der liberalen Demokratie ist zu Ende" und rief die "illiberale Demokratie" aus.

v.l.n.r: Ricarda Lang; Bundesvorsitzende der Grünen; Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky, Prof. Ursula Münch (Foto: Elias Keilhauer/Joerg C. Jasper/APB Tutzing)
Gäste beim Demokratieforum: v.l.n.r: Ricarda Lang; Bundesvorsitzende Bündnis90/Die Grünen, Politikwissenschaftler Dr. Marcel Lewandowsky und Prof. Ursula Münch, Leiterin Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Die Symptome der schleichenden Aushöhlung der Demokratie sind fast überall ähnlich: Die politische Polarisierung nimmt zu, befeuert von populistischen und extremistischen Bewegungen oder wie in den USA, Ungarn, Österreich oder Israel, indem sich eine etablierte Partei immer weiter radikalisiert. Das Vertrauen in etablierte demokratische Institutionen wird untergraben, indem die Legitimität des politischen Systems insgesamt permanent infrage gestellt wird. Soziale Ungleichheit, Desinformation insbesondere über soziale Medien und die mangelnde Transparenz politischer Entscheidungsprozesse befeuern diesen Prozess zusätzlich.

Die Schwäche der Demokraten

Die Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, ist der Auffassung, dass "aktuell verschiedene Dinge zusammenkommen: Die akuten Krisen paaren sich mit einer dadurch verschärften Verunsicherung. Dass diese so groß ist, liegt vor allem an populistischen und auch extremistischen Kräften und Parteien und natürlich an digitalen Kommunikationswegen. Es tragen aber auch Fehler in der Politik, falsche Inhalte, schlecht gemachte Gesetze zu dieser Verunsicherung, Emotionalisierung oder zum Teil auch Radikalisierung bei. Es ist eine große Aufgabe, die Leute bei der Stange zu halten und das Verständnis für die rechtsstaatliche Demokratie zu erhalten, damit die nicht noch zusätzlich Extremisten und Populisten auf den Leim gehen. Wenn die Demokraten schlafen, wachen wir in der Diktatur auf."

Das Problem ist also auch die Schwäche der Demokraten selbst: Immer weniger Menschen sind in Parteien, kaum jemand engagiert sich kommunalpolitisch - das Vertrauen in Institutionen und Medien schwankt auf geringem Niveau. Insbesondere die Schwäche der etablierten Parteien, die dem Grundgesetz nach eigentlich Träger der politischen Willensbildung sein sollten, sieht der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky als zentrales Problem an: "Die Tatsache, dass die Mitgliedschaften derart schmelzen, ist für die Parteien ein großes Problem", so Lewandowsky im "Tagesspiegel". "Den Parteien fehlt dadurch schlicht der 'Konnex‘ in die Gesellschaft."

Input der Bürger wird geringer - die Ansprüche an Politik steigen.

Mit anderen Worten: Die Parteien werden nur noch als abgehobene Organisationen ("die da oben") wahrgenommen, die in Berlin oder in Landeshauptstädten Dinge tun, die die Bevölkerung zwar "ausbaden", aber nicht beeinflussen kann. Aus dem Ortsvorsteher, den jeder auch vom Kegelabend kennt, werden mediale Figuren in einer anderen Welt, die von der eigenen Lebensrealität weit entfernt sind - oder zumindest scheinen. In manchen Regionen gibt es ganze Landstriche, in denen die traditionellen Parteien nicht mal mehr Ortsverbände stellen können. Wer keine "echten" Menschen in Parteien kennt, wird anfälliger für deren Dämonisierung auf Social-Media-Plattformen und in Chatgruppen.

Gleichzeitig hat der Politologe Herfried Münkler beobachtet, dass der Input der Bürger immer geringer wird, die Erwartung an die Politik, was sie alles zu leisten habe, aber immer größer. Nur noch acht Prozent der Befragten der Körber-Stiftung bringen sich zum Beispiel in die Lokalpolitik vor Ort ein. Die Gründe für den Rückzug ins Private sind vielfältig und reichen von "keine Zeit" bis zu Angst vor Bedrohungen und Gewalt – ein alarmierender Befund. Denn eine lebendige Demokratie lebt nun einmal vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger.

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Andrej Reisin