Kind einer Grundschule bei den Bundesjugendsspielen während des Weitsprungs.

Neues Konzept an Grundschulen

Bundesjugendspiele: Weniger Wettkampf, mehr Teamgeist

Stand
AUTOR/IN
Ingrid Reitenbach

Ab kommendem Schuljahr sollen die Bundesjugendspiele an Grundschulen anders bewertet werden. Statt der Einzelleistung stehen die Ergebnisse eines ganzen Teams im Fokus. Der Landesschülerinnen- und -schülervertretung (LSV) reicht das aber nicht.

Je weiter eine Schülerin oder ein Schüler springt, desto mehr Punkte bekommt er in der Regel beim Weitsprung. Die genaue Weite wird mit einem Maßband nachgemessen, auf den Zentimeter genau, und mit einer Punktetabelle abgeglichen. So ähnlich läuft es auch beim Weitwurf. Beim 50-Meter-Sprint wird mit einer Stoppuhr die genaue Zeit festgehalten. Damit soll an Grundschulen ab dem kommenden Schuljahr 2023/2024 bei den Bundesjugendspielen Schluss sein.

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Wettbewerb an Grundschulen: Was ändert sich?

Mit einem neuen Konzept soll die Lust am Sport erhöht werden, so der Gedanke des Ausschusses für die Bundesjugendspiele und der Kommission Sport (SpoKo) der Kultusministerkonferenz (KMK). Es soll weniger auf die Einzelleistung geschaut werden, viel mehr soll das Teamergebnis im Vordergrund stehen. Der Wettkampf, mit festgelegten Kriterien für Einzelne, weicht einem Wettbewerb, bei dem nach der Leistung einer Jahrgangsstufe oder einer Klasse beurteilt wird. Im Fall vom Weitsprung bedeutet das, dass Schülerinnen und Schüler in Zonen springen. Das Maßband hat dann ausgedient. Liegt die Zone weiter weg, bekommen sie mehr Punkte. Am Ende werden alle Punkte des Teams zusammengezählt.

"Bei den Bundesjugendspielen geht es insbesondere darum, sich zu bewegen, Freude zu haben und sein Bestes zu geben. Vor allem aber geht es auch um Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen."

Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium drückt es folgendermaßen aus: "Von besonderer Bedeutung ist es, auf eine Frühspezialisierung und Einengung in ein zu starres Regelwerk zu verzichten. Maßband und Stoppuhr spielen nur noch eine untergeordnete Rolle, es geht um weniger Normierung." Was gleich bleibt, ist die Vergabe der Urkunden. Die Ehren, Sieger- und Teilnahmeurkunden werden nach einem festen Schlüssel vergeben. Die besten 20 Prozent bekommen die Ehrenurkunde, die mittleren 50 Prozent eine Siegerurkunde und die unteren 30 Prozent erhalten eine Teilnahmeurkunde.

Alternative: Das Sportfest

Dass es besser zusammen als alleine funktioniert, weiß Mike Theobald aus dem Landkreis Trier-Saarburg. Vier Jahre lang organisierte er als Grundschullehrer in Hermeskeil statt der Bundesjugendspiele das sogenannte Sportfest. Seit diesem Jahr macht er das weiter als Schulleiter in der Grundschule Gusenburg. Das Sportfest sei kein Einzelwettkampf, wo die Leistungen eines Einzelnen bewertet werden, sondern ein Teamwettkampf, was den Zusammenhalt stärken soll, erklärt er.

"Es werden Punkte für einzelne Disziplinen vergeben. Nicht der Einzelne gewinnt, sondern das Team gewinnt oder verliert gemeinsam. Das ist so der Gedanke dahinter, dass Leichtathletik nicht mehr nur als Einzelsportart wahrgenommen wird, sondern die Mannschaft, der Teamgedanke im Vordergrund stehen soll."

Mehrere Schulen im Landkreis Trier-Saarburg setzen auf Sportturniere

Neue Konzepte seien immer zuerst eine Herausforderung für Schülerinnen und Schüler, das Team und die Eltern. "Es wird immer erst kritisch gesehen", sagt Mike Theobald. "Wenn dann Stimmen kommen, sind das noch die richtigen Bundesjugendspiele? Und früher war es doch immer so. Aber wenn man es dann durchführt und es ist auch ein Erfolg gewesen, dann haben sich die Meinungen ganz schnell geändert." Im Landkreis Trier-Saarburg setzen viele Schulen auf das Konzept Sportfest. Es sei weit verbreitet, betont der Schulleiter.

Außerdem gibt es verschiedene Schulsportturniere, wie im Bereich Turnen, Fußball und Basketball, bei denen auch die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Gusenburg mitmachen. Dieses Jahr war die Begeisterung besonders groß, erinnert sich Theobald. "Das war für viele Kinder eine super Erfahrung. Gerade die Kinder, die vielleicht nicht den größten schulischen Erfolg feiern konnten und deren vier Jahre bei uns vielleicht nicht optimal verlaufen sind, konnten sich in diesem Jahr einfach in anderen Disziplinen beweisen."

Mannschaftsleistung entscheidend am Ende des Tages

Ob beim Sportfest oder bei den Bundesjugendspielen, für den Schulleiter ist die Mannschaftsleistung ausschlaggebend. "Die Kinder fahren nach Hause, auch wenn sie nicht Erster geworden sind, mit einem breiten Grinsen im Gesicht und freuen sich, zum einen, dass sie die Schule vertreten durften und zum anderen, dass sie ihre Leistungen zeigen durften. Das ist beim Sportfest oder bei den Bundesjugendspielen ja auch nichts anderes. Da vertreten sie auch ihre Mannschaft, ihr Team, nehmen teil und bringen sich da ein, wo sie können."

"Nur gemeinsam sind wir stark nach dem Motto, das soll für alle Kinder das Ziel sein. Und selbst, wenn man nicht die besten Leistungen erbracht hat, hat man einen Tag mit Freunden, Lehrerinnen und Lehrer draußen verbracht. Das ist viel wert und da hat man schon einiges geschafft."

LSV fordert komplette Abschaffung der Bundesjugendspiele

Zum Konzept der Bundesjugendspiele gibt es geteilte Meinungen: Es gibt diejenigen, die gerne daran teilnehmen, weil Sport ihnen Spaß macht. Und diejenigen, die eben keinen Spaß an sportlicher Aktivität haben und das ungern vor ihrer Klasse zeigen. Laut dem Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz nehmen die allermeisten Schülerinnen und Schüler mit großer Begeisterung an den Bundesjugendspielen teil. Kritik gebe es überwiegend von einer kleinen Gruppe im Fach Sport - vielleicht nicht so leistungsstarker Schülerinnen und Schüler.

"Zwangsveranstaltung, die unfairen Wettbewerbsdruck ausübt"

Dieser Aussage steht die Forderung der Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz mit ihrer landesweiten Vertretung von ungefähr 400.000 Schülern im Land entgegen. Die LSV setzt sich vehement für die vollständige Abschaffung der Bundesjugendspiele in allen Klassenstufen ein und plädiert stattdessen für die Einführung von Sportfesten an Schulen."

"Die Bundesjugendspiele, an denen alle Schüler*innen bis zur 10. Klasse teilnehmen müssen, sind eine Zwangsveranstaltung und nehmen den Schüler*innen die Freiheit, selbst über ihre sportlichen Aktivitäten zu entscheiden. Statt den Spaß am Sport und die Motivation zur körperlichen Betätigung zu fördern, setzen die Bundesjugendspiele die Schüler*innen einem starken und absolut unfairen Wettbewerbsdruck aus."

Die Spiele böten kaum Raum für individuelle Verbesserung und führten zu Demütigungen für weniger leistungsstarke Schüler*innen. Diese Kategorisierung nach Leistung und Geschlecht vernachlässige wichtige Faktoren wie individuelle körperliche Voraussetzungen. Auch der LSV spricht sich stattdessen für die Einführung von Sportfesten für alle Klassenstufen und auf freiwilliger Basis aus.

Landessportbund RLP für Beibehaltung

Thomas Kloth, Abteilungsleiter Leistungssport beim Landessportbund Rheinland-Pfalz, würde das etablierte System hingegen gerne beibehalten: "Die Bundesjugendspiele sind die Prüfung der erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man sich im Sportunterricht angeeignet hat. Diesen Wettkampf-Prüfungs-Charakter kennen wir ja auch aus anderen Situationen im Leben. Diesen muss sich, glaube ich, auch jeder Mensch irgendwann stellen", sagt Kloth.

Die Kritik an den Bundesjugendspielen kann der Schulleiter Mike Theobald aus Gusenburg nachvollziehen. "Natürlich verstehe ich die Äußerung von vielen Erwachsenen, das war immer der schlimmste Tag und alle Augen waren auf einen gerichtet. So denken viele Kinder vielleicht gar nicht mehr, so habe ich es zumindest mitbekommen. Man ist froh, wenn man teilnehmen kann." Deshalb freut er sich bereits auf den Schuljahresabschluss mit dem gemeinsamen Sportfest an der Grundschule in Gusenburg.

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