Haushaltskrise nach Urteil zur Schuldenbremse

Bundesverfassungsrichter a.D.
Peter Müller verteidigt Haushaltsurteil

Stand
AUTOR/IN
Kolja Schwartz

Zwölf Jahre war Peter Müller Richter am Bundesverfassungsgericht. Als erster Verfassungsrichter spricht er rund um sein Ausscheiden über das Urteil zur Schuldenbremse, das in Berlin zur Haushaltskrise führte, über das Spannungsfeld zur Politik, Parteienverbote und persönliche Pläne.

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Der Nachtragshaushalt 2021 war verfassungswidrig, hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im November entschieden und mit seinem Urteil große Lücken in den Haushalt gerissen. Die Ampel musste an den eigentlich schon abgeschlossenen Haushalt 2023 nochmal ran und setzte für 2024 den Rotstift an. Ein Erdbeben, das das Verfassungsgericht nicht überrascht hat, erzählt jetzt Peter Müller im Interview der Woche. Das Urteil sei zwingend gewesen. Die Folgen und auch die Reaktionen, die ein solches Urteil auslöst, würden bei der Entscheidungsfindung keine Rolle spielen.


Keine Ohrfeige für die Politik


Im Gespräch mit Rechtsredakteur Kolja Schwartz zeigte Müller, der vor seiner Zeit in Karlsruhe Ministerpräsident im Saarland war, auch Verständnis für Fehlentscheidungen der Politik: "Wir haben Zeit, sehr grundsätzlich zu fragen, ob eine Regel, noch im Rahmen der Verfassung ist oder nicht. Diese Zeit hat die Politik nicht. Politik muss sehr schnell über Dinge entscheiden." Es sei deshalb falsch, von einer Ohrfeige für die Politik zu sprechen.

Kolja Schwartz und Peter Müller im SWR Studio Karlsruhe (Foto: SWR)
Kolja Schwartz und Peter Müller im SWR Studio Karlsruhe


Müller verteidigt Politiker am Gericht


Zu Beginn seiner Amtszeit in Karlsruhe 2011 gab es Kritik an Müllers Besetzung. Drei Monate zuvor war er noch Ministerpräsident der CDU im Saarland. Als der Bundesrat, also seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ihn wählten, war es also noch nicht lange her, dass er aktiv in der Politik war. Im Interview der Woche erklärt Müller, dass er verstehen könne, wenn sich manche Menschen fragen, wie Politiker über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen urteilen sollen, für die sie zuvor politisch gekämpft haben. Es sei aber wichtig, dass es auch Politiker am Gericht gebe. Denn: Es sei auch die Aufgabe des Gerichts, nachzuspüren, wie Gesetzgebung funktioniert, was sich die Politik gedacht habe bei den zu überprüfenden Regelungen. "Dann ist es einfach wichtig, dass man Leute hat, die wissen, wie Gesetzgebung funktioniert. Aber klar ist: Die Dosis macht das Gift"


"Das Grundgesetz setzt auf die Kraft des Arguments, nicht auf Verbote"


Zu Peter Müllers bedeutendsten Urteilen als Berichterstatter am Gericht gehört zweifellos das Urteil zum NPD-Verbotsverfahren. Die NPD ist verfassungsfeindlich, hatte das Gericht 2017 festgestellt. Das Verbot aber war dennoch gescheitert, weil die Partei politisch zu unbedeutend war, also keine Gefahr bestand, dass sie diese Ziele auch umsetzen könne. Dann dürfe man eine Partei nicht verbieten, erklärt der 68jährige im Interview. Das könne bei anderen Parteien anders sein. Das primäre Ziel müsse aber die politische Auseinandersetzung sein. "Gefordert ist das Engagement der Demokraten. In Deutschland ist schon einmal eine Demokratie zugrunde gegangen, weil zu viele geschwiegen und weggeschaut haben."


Kein politisches Amt mehr


Am 21.12. erhielt Müller seine Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Konkrete Pläne, wie es jetzt weitergeht in seinem Leben, habe Müller noch nicht. Es gebe einige Anfragen, er wolle sich aber Zeit lassen, sich das zu überlegen. Sicher sei nur: Ein politisches Amt wolle er nicht mehr anstreben. Und: Nur zuhause bleiben, ginge auch nicht. Das wolle er seiner Frau nicht antun.

Weiterführende Links:
Die Justizreporter*innen, der Jura Podcast der ARD-Rechtsredaktion
SWR Rechtsredaktion

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