Mit meiner Annahme lag ich falsch. Ich dachte, dass sich die Ampelkoalition nach der Weihnachtspause berappelt und die Legislaturperiode zu Ende macht. Zwei Monate später erscheint mir das sehr unwahrscheinlich. Die Nerven der Macherinnen und Macher in Kabinett und Regierungsparteien liegen blanker denn je. Kein Tag vergeht ohne neues Gezänk. Dabei stehen mit der Planung des Bundeshaushalts 2025 die nächsten Verteilkämpfe ins Haus.
Der Bundeskanzler hat vorläufig noch Werkzeuge, um die Dauerkrise seiner Regierung zu beenden. Er kann durch ein bewusst verlorenes Misstrauensvotum im Bundestag für Neuwahlen sorgen mit ihm oder dem beliebten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat. Er kann auch als Bundeskanzler zurücktreten, damit Boris Pistorius an seinen Platz rückt und das Kabinett umbaut.

Rücktritt ein historisches Verdienst
Das Dilemma von Olaf Scholz lautet nach mein Dafürhalten, dass er dem Land am meisten dient, indem er das Kanzleramt räumt. In dieses Dilemma hat er sich meines Erachtens nur zu einem kleinen Teil selbst gebracht. Er teilt es mit allen sozialdemokratischen Amtsvorgängern. Für Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder war der Auszug aus dem Kanzleramt politisch unvermeidlich und persönlich tragisch.
Ich schreibe diese Gedanken ohne Häme nieder. Auch Olaf Scholz, der Bundeskanzler mit der bisher kürzesten Regierungszeit, hat sich um Deutschland verdient gemacht. Für sein größtes historisches Verdienst kann er sogar selbst sorgen – mit seinem Rückzug.