PTPS Behandlung bei der Bundeswehr (Foto: SWR)

Posttraumatische Belastungsstörung nach Bundeswehreinsatz

Traumatisierte Soldaten - Welche Hilfe bekommen sie von der Bundeswehr?

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Martin Miecznik
SWR Aktuell Autor Martin Miecznik (Foto: SWR)

Für Soldaten mit PTBS gibt es psychiatrische Hilfe von der Bundeswehr. Aber eine Behandlung scheint es nicht in allen Fällen zu geben. Was frühere Bundeswehrsoldaten aus Ulm berichten.

Auch wenn der Einsatz und der Grund für die Erkrankung schon Jahre zurückliegen: Soldatinnen und Soldaten mit Posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) bekommen von der Bundeswehr psychiatrische Hilfe. In einem dramatischen Fall in Ulm steht allerdings der Vorwurf im Raum, ein Afghanistanveteran hätte trotz Hilfeersuchen keine Unterstützung von der Bundeswehr bekommen.

Ulm

44-Jähriger verweigert Aussage Mutmaßlicher Geiselnehmer von Ulm in Gefängniskrankenhaus verlegt

Der mutmaßliche Geiselnehmer von Ulm ist vom Bundeswehrkrankenhaus ins Gefängniskrankenhaus Hohenasperg verlegt worden. Der 44-Jährige verweigert nach wie vor die Aussage.

Der 44-jährige Soldat ist vor einem Monat nach einer Geiselnahme in Ulm von der Polizei angeschossen und schwer verletzt worden. Der Afghanistanveteran soll in Ulm als Geiselnehmer in einem Café nahe dem Münster sechs Menschen in seine Gewalt gebracht haben. Zur Tatzeit Ende Januar war er krankgeschrieben. Presseberichten zufolge hatte er lange um Hilfe gebeten, die ihm von der Bundeswehr verweigert worden sei.

Keine Auskunft von der Bundeswehr

Von der Bundeswehr gibt es aus Gründen des Daten- und Patientenschutzes keinerlei Auskunft zu dem Fall. Aber PTBS-Patienten können ihre Geschichte selbst erzählen. Der SWR hat zwei von ihnen besucht: Einen, der im Bundeswehr-Krankenhaus Ulm behandelt wurde und derzeit noch wird, und einen, der diese Chance nicht bekam. Zwei Veteranen. Zwei unterschiedliche Fälle. Einer positiv, einer nicht.

PTBS-Patient: Trauma nach Afghanistaneinsatz

Auch wenn die Bundeswehr zu dem aktuellen Fall der Ulmer Geiselnahme und zum tatverdächtigen Soldaten schweigt und schweigen muss, eines kann sie tun: Zeigen, wie eine PTBS-Therapie abläuft und wie langwierig sie sein kann. Hagen Vocko, 45 Jahre alt, Hauptmann im Ruhestand. Sein Name ist aus persönlichen Gründen verändert.

Wenn er im Fitnessstudio aufs Rudergerät steigt, hat man Sorge - nicht um ihn, sondern um das Gerät, so sehr malträtiert er es. Dass er auch im übertragenen Sinn heftig rudern muss, ist für Uneingeweihte nicht zu ahnen. Denn die Qualen finden in seinem Inneren statt: Bei einem Anschlag in Afghanistan starben direkt neben ihm zwei norwegische Kameraden. Das war vor acht Jahren.

Manchmal oder zu meiner Anfangszeit hätte ich mir gewünscht, dass ich einfach auf eine Mine getreten wäre. Mein Bein wäre weg. Dann würde jeder sehen: Okay, er ist geschädigt. Aber in meinen Kopf kann halt niemand reinschauen.

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Hilfe von der Bundeswehr für Soldaten mit PTBS

Der Hauptmann im Ruhestand hat PTBS. Die Krankheit wurde letztlich ausgelöst durch den Anschlag in Afghanistan und den Tod der Kameraden, den er miterleben musste. Noch acht Jahre danach beschäftigt ihn das: Er hat bis heute Schwierigkeiten mit Menschenmassen, mit Einkaufsmärkten aller Art. Die Bundeswehr hat ihm geholfen und hilft ihm weiter, unter anderem mit reden, reden, reden. Auch, wenn der Patient manchmal einen Gegenstand durch den Raum wirft. "Das passiert uns regelmäßig", erzählt Stefanie M., Flottillenärztin am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.

Darauf sind wir gefasst, dass unsere Therapieformen gerade zu Behandlungsbeginn auf Ablehnung stoßen. Es braucht auch im Team sehr viel Geduld. Wir schauen mit unseren Patienten durchaus, welche Therapieform besonders gut geeignet ist."

Eine Frau mit ärztlicher Marineuniform vor einem Flip-Chart (Foto: SWR)
Fachärztin für Psychatrie und selbst Soldatin mit Afghanistan-Erfahrung: Dr Stefanie M. vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm behandelt täglich Patienten mit posttraumatischem Belastungssyndrom.

Für Hagen Vocko war die Behandlung zunächst gewöhnungsbedürftig, auch die Ergotherapie. Er bekam einen Speckstein in die Hand und eine Feile - und war damit allein.

[...] Ich bin ein Krieger, ich habe viel überlebt, ich habe Kompanien geführt. Und dann muss ich hier auf einem Stein rumschleifen.

Therapie mit Speckstein und Feile

Sich darauf einlassen, Vertrauen fassen in eine Behandlungsmethode, deren Sinn sich nicht auf den ersten Blick erschließt - das könnte die Lösung sein. Etwa 70 Prozent des Behandlungserfolgs hängen von dieser Bereitschaft des Patienten ab, schätzt Vocko. Er habe nach der dritten, vierten Sitzung gemerkt, dass er an gar nichts mehr gedacht habe. "Ich habe wirklich nur den Stein bearbeitet und konnte mal abschalten."

Ein Speckstein wird mit Schleifpapier geschliffen (Foto: SWR)
Schleifen bei der Bundeswehr, einmal anders: Ein Speckstein, eine Feile und Schleifpapier sind Objekte für die Ergotherapie.

Wir Soldaten, wir sind auch nur Menschen. Das ist für mich wichtig, dass ist die Botschaft, die rüberkommt. Ich weiß, dass meine Behandlung niemals abgeschlossen sein wird."

Seine Ärztin Stefanie M. kann das noch erweitern: Häufig kämen Patienten mit Erwartungen an bestimmte Behandlungsmethoden zu ihr - Helme mit leuchtenden Dioden, Computertomographie, technische Hilfe, wie bei einem gebrochenen Bein. Das gebe es im Fall von PTBS eben nicht.

Eine Soldatin vor einem gepanzerten Fahrzeug der Bundeswehr (Foto: SWR)
Erfahrung aus den Krisenregionen hilft: Stefanie M., Ärztin am Bundeswehrkrankenhaus Ulm, im Auslandseinsatz in Afghanistan. Vor diesem Hintergrund kann sie sich mit PTBS-Patienten auf Augenhöhe unterhalten. Sie kennt auch alle technischen und taktischen Fachbegriffe.

Fortschritte in der PTBS-Forschung

Die PTBS-Forschung hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht, auch durch die Vielzahl der auftretenden Fälle. Rund eintausend Patienten mit Posttraumatischem Belastungssyndrom gibt es bei der Bundeswehr, dazu eine nicht definierte Dunkelziffer. Wenn PTBS nach dem aktiven Dienst auftritt und das ist häufig der Fall, dann gibt es die Möglichkeit, sich als ausgeschiedenes Mitglied der Bundeswehr wieder in Dienst stellen und behandeln zu lassen.

Ulm bekommt Psychiatrische Bundeswehrklinik

Dass die Bundeswehr das Thema PTBS weit oben auf ihrer Agenda ansetzt, wird auch dadurch deutlich, dass es mittlerweile einen eigenen Beauftragten für diese Erkrankung gibt. Und auch an den Bundeswehrkrankenhäusern wird aufgerüstet: In Ulm war bereits der Spatenstich für eine eigene ambulante und stationäre psychiatrische Klinik am Bundeswehrkrankenhaus. Spätestens im Jahr 2027 soll sie in Betrieb gehen, sagt der Leiter des Bundeswehrkrankenhauses, Generalarzt Backus. Und auch in der Behandlung sei man heute weiter.

Ein Mann in weißer Uniform mit ärztlichem Generalabzeichen (Foto: SWR)
Viel dazugelernt in den vergangenen Jahren: Johannes Backus, Generalarzt und Leiter des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, liegt viel an bestmöglicher Versorgung von PTBS-Patienten.

Die Erkenntnisse zu den Erkrankungen seien aufgrund der wissenschaftlichen Aktivitäten intensiver geworden. Es gebe inzwischen bessere Behandlungsmöglichkeiten.

Wir wissen konkreter […], wie wir mit den Krankheitsbildern umgehen. Und die Identifikation von derartigen Erkrankten ist aufgrund der Erkenntnisse deutlich besser geworden, so dass die Diagnose frühzeitiger gestellt werden kann und dann die Behandlung frühzeitiger, aber auch intensiver erfolgen kann.

Keine Bundeswehrbehandlung für Ex-Soldaten Werner Roth

Wenn Werner Roth von PTBS-Behandlungen für Bundeswehrsoldaten hört, kann er nur staunen. Auch er war Soldat, auch er hat PTBS. Seine Therapie musste er sich jedoch privat erkämpfen.

Von der Bundeswehr habe ich keine Hilfe bekommen, weil man zu mir gesagt hat: Die PTBS ist verjährt nach 13, 14 Jahren.

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch und schauen einen Foto-Ordner an.  (Foto: SWR)
Werner Roth und seine Frau Andrea. Die Fotos von seinen Einsätzen schauen sie nicht häufig an. Die Erkrankung PTBS begleitet den ehemaligen Hauptgefreiten seit Jahren.

Werner Roth ist 54 Jahre alt und ehemaliger Hauptgefreiter, seine aktive Zeit liegt schon länger zurück. In den 90-er Jahren war er Feldkoch in Sarajevo beispielsweise, auch in Albanien. SFOR, KVM hießen die Einsätze. Aber es sind nicht nur Bilder von Kameradschaft und Küchenerlebnissen, die ihm im Kopf geblieben sind. Bei "anderen" Bildern von damals wird ihm regelmäßig heiß - zerschossene Gebäude, ausgebrannte Autos, ein Anschlag – all das hat jahrelang an ihm genagt.

Wenn ich einem anderen Einsatzveteranen erzähle, du, so und so war das bei mir, der sagt nicht, du spinnst, du lügst oder sowas. Der weiß ganz genau, was ich dann erzähle, weil der fast das Gleiche miterlebt hat.

Blick aus einem Bundeswehr-Fahrzeug auf die zerstörte Stadt Sarajewo (Foto: SWR)
Blick aus einem Bundeswehr-Fahrzeug auf die Kulisse des zerstörten Sarajevo. Was diese Bilder in Werner Roth ausgelöst haben, das hat er erst viel später realisiert.

Bei der Bundeswehr bekam er nach eigener Aussage die Auskunft, er solle sich über seine Krankenversicherung zivil behandeln lassen. Die Krankenkasse habe ihm wiederum mitgeteilt, er sei als Soldat und PTBS-Patient definitiv ein Fall für eine Versorgung durch die Bundeswehr. Dazu sei die Bürokratie gekommen, besonders zermürbend.

Es kann nicht sein, dass ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung beantragt, dass dieser Soldat noch Zeugen suchen muss, dass man das von hinten wieder alles aufreißen muss. Dann ist ganz klar, dass der Soldat einen Blackout kriegt. Entweder er lässt dann alles sein, oder er dreht durch und es passiert irgendwas anderes.

Tägliche Routine gegen "Trigger"

Seine Erkrankung hat er im Griff, sagt er, auch durch ein strenges Raster an täglichen Routinen. Mit denen kann er sich in Momenten eines "Triggers" zurück in die Realität bringen. Trigger sind Auslöser für einen Rückfall in die schwarzen Momente der Erkrankung, sie können im Extremfall völligen Kontrollverlust bedeuten.

Werner Roth trifft sich darüber hinaus immer wieder mit anderen Veteranen, die eine PTBS-Erfahrung haben. Manche von ihnen haben wie er das Gefühl, bei der Bundeswehr damit durch den Rost gefallen zu sein. Bei solchen Treffen seien Veteranen dabei, die Ähnliches erlebt haben.

PTBS - Zusammenhang mit Geiselnahme in Ulm?

Welche Erkenntnisse ergeben sich daraus zum Fall der Ulmer Geiselnahme Ende Januar? Kam es dazu, weil es zuvor keine Hilfe für den tatverdächtigen Soldaten gab? Oder gab es keine Bereitschaft des Soldaten, Hilfe anzunehmen? Oder steckt eine ganz andere Geschichte dahinter, die mit dem vorangegangenen Einsatz des Mannes in Afghanistan gar nichts zu tun hat?

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Die Staatsanwaltschaft Ulm bestätigt zumindest: Ein Gutachter soll jetzt prüfen, ob eine PTBS-Erkrankung beim Tatverdächtigen vorliegt, und ob sie etwas mit der Geiselnahme in Ulm zu tun hat, im Wissen um die militärische Vorgeschichte des tatverdächtigen 44-Jährigen.

Eine Straße bei Nacht, Spurensucher der Polzei in weißen Anzügen bei der Beweisaufnahme (Foto: SWR)
Spurensuche nach der Geiselnahme in Ulm. Die eigentliche Spurensuche und Beweisaufnahme in der Psyche des Tatverdächtigen beginnt jetzt. Ein Gutachten soll klären: War PTBS der Auslöser für die Tat?

Hagen Vocko, Werner Roth. Vieles an den Erzählungen der beiden PTBS-Erkrankten gleicht sich - die Behandlung, der andauernde Kampf gegen die Erkrankung, das Gefühl, immer weiter an sich arbeiten zu müssen. Und die Erkenntnis, dass man sich etwas vorgemacht hat im Einsatz - dass man traumatische Ereignisse ganz locker wegstecken kann als harter Kerl, den das alles nicht berührt.

Ein Mann in Uniform in einem Fahrzeug der Bundeswehr, Ausrüstungsgegenstände auf einer Liege (Foto: SWR)
Ein Bild aus einem anderen Leben: Hauptmann Hagen Vocko. Da schien die Welt in ihm noch in Ordnung.

Hagen Vocko sagt heute: "Wir sind nicht unsterblich, wie uns vielleicht manche hinstellen. Wir Soldaten sind auch nur Menschen. Das ist für mich wichtig, dass die Botschaft rüberkommt. Ich weiß, dass meine Behandlung niemals abgeschlossen sein wird."

Persönliche Aufarbeitung und ein Buch

Werner Roth, der ehemalige Hauptgefreite der Bundeswehr, hat sich seine Existenz als Veteran groß auf den Arm tätowieren lassen: "Invictus" steht dort, "unbesiegbar", "Combat Veteran". Ich bin unbesiegbarer Einsatzveteran. Das sei eine Heilung von ihm her, er werde so immer wieder daran erinnert, sagt er. "Aber so kann ich besser damit leben, was ich damals alles erfahren habe."

Der Arm eines Mannes mit Tätowierungen (Foto: SWR)
Combatveteran, Invictus: Werner Roth hat sich seine Vergangenheit auf den Arm tätowieren lassen. Für ihn ist das Teil der Therapie und des Umgangs mit seiner eigenen Geschichte, die ihn stets gegenwärtig ist.

Aber viel an sich arbeiten und aufarbeiten gehört auch dazu. Bundeswehr-Hauptmann im Ruhestand Hagen Vocko schreibt gerade ein Buch über seine Erfahrungen. Es soll noch in diesem Jahr fertig werden. Der Titel steht schon fest: "Die Kehrseite der Einsatzmedaille".

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