Eine von rund 900 Filialen von Erwin Müller - diese befindet sich in der Fußgängerzone von Ulm. (Foto: SWR)

70 Jahre nach Unternehmensgründung

Drogeriekette aus Ulm: So tickt Besitzer Erwin Müller

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Volker Wüst
Volker Wüst (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)
Markus Bayha
SWR Aktuell Autor Markus Bayha (Foto: SWR)

Vor 70 Jahren gründete Erwin Franz Müller sein erstes Unternehmen. Inzwischen ist daraus eine der größten Drogerieketten Europas geworden. Doch wer ist dieser Erwin Müller?

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Man muss das Rad der Zeit mit Schwung zurückdrehen, bis ins Jahr 1953. Die Krönung der jungen Prinzessin Elizabeth II. stand kurz bevor, Konrad Adenauer war damals deutscher Bundeskanzler. Im Laufe der Jahre hat sich die Besetzung dieses Amtes häufig geändert. Der Chef im Hause Müller dagegen hieß an jenem 15. März 1953 Erwin Müller - und so ist es auch am 15. März 2023. Einziger Unterschied: Damals bestand das Unternehmen aus einem Friseursalon, heute aus hunderten Drogeriemärkten.

Wenige Tage zuvor in Ulm: Einer der seltenen öffentlichen Auftritte von Erwin Müller. Der Milliardär zeigt sich Anfang März bei der Eröffnung eines Hotels direkt am Münster. Das Gebäude hatte er gekauft und umbauen lassen. Müller, mit Nadelstreifenanzug, weißem Hemd, lilafarbener Krawatte, spricht ins Mikrofon, sagt der Ulmer Innenstadt eine dunkle Zukunft voraus. Das liege unter anderem an mangelndem Weitblick der Stadtverwaltung. Und noch etwas: "Man sieht, dass das, was man gemacht hat, richtig war. Und dass ich mich gegen die Widersacher durchgesetzt habe." Er sagt das über das neue Hotel. Der Satz könnte aber auch sein Leben kaum besser zusammenfassen.

Einer der seltenen öffentlichen Auftritte von Erwin Müller. Der Milliardär zeigt sich bei der Eröffnung eines Hotels direkt am Münster.  (Foto: SWR)
Einer der seltenen öffentlichen Auftritte von Erwin Müller. Der Milliardär zeigt sich bei der Eröffnung eines Hotels direkt am Münster.

Erwin Müller: Mit 90 wieder Chef im eigenen Unternehmen

Müller gilt als ehrgeizig, extrem fleißig und als einer, der die Dinge gern selbst in die Hand nimmt. Denn mit dem Loslassen hat er es nicht so. Zu seinem 60. Geburtstag sagte er, dass man ihn einen alten Esel schimpfen könne, wenn er mit 65 noch immer in der Firma sitze. Inzwischen ist Müller 90 und hat pünktlich zu seinem runden Geburtstag im vergangenen September seinen Firmenchef vor die Türe gesetzt, um die Geschäfte wieder selbst zu lenken.

Sein Geheimrezept? "Selbstdisziplin", wie er in einem seiner seltenen Interviews im Jahre 2009 dem Magazin "Focus" verraten hat. Auf eine SWR-Interviewanfrage zum 70-jährigen Firmenjubiläum kommt dagegen nicht einmal eine Absage. Man darf aber sicher sein, dass er die E-Mail gelesen hat. Denn Müller regelt, wie gesagt, die Dinge gerne selbst. Vermutlich muss man das auch, wenn man ein Drogerieimperium mit 35.000 Beschäftigten und 900 Filialen in sieben Ländern aufbauen will. Die Forbes-Liste führt ihn 2022 auf Platz 1.341 der weltweit reichsten Menschen mit einem Vermögen von umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro.

Erwin Müller als Friseur - im Jahr 1968 gerät er als "Rebell von Ulm" in die Schlagzeilen - mit dem wunderbaren Titel "Ulmer Figarostreit".  (Foto: SWR)
Im Jahr 1968 gerät Erwin Müller als "Rebell von Ulm" in die Schlagzeilen - mit dem wunderbaren Titel "Ulmer Figarostreit".

Müller als "Rebell von Ulm" im "Figarostreit"

Auf dem Weg dorthin geriet er als "Rebell von Ulm" erstmals 1968 in die Schlagzeilen - unter dem wunderbaren Titel "Ulmer Figarostreit". Der gelernte Friseurmeister wollte seine Salons entgegen der Gepflogenheiten auch montags öffnen. "Wir tun nichts unrechtmäßiges", sagte Müller in einem herrlichen Interview, während er in Anzug und Krawatte einer Kundin Lockenwickler eindreht. Müller blieb stur, öffnete montags - und flog daraufhin aus der Innung. Bremsen konnte ihn das nicht.

Kurzer Rückblick: 1953 hatte er den ersten Salon in der Wohnung seiner Eltern im bayerischen Fahlheim bei Ulm eröffnet und seitdem weitere Filialen aufgebaut. Nach und nach gab es dort immer mehr Drogerieartikel zu kaufen. Kurz nach dem Figarostreit reiste Müller in die USA und schaute sich dort Warenhäuser an. Sie sollten das Vorbild für seine Drogeriemarktkette sein. Den ersten "reinen" Drogeriemarkt eröffnete er im Ulmer Stadtteil Böfingen im Jahr 1973 - fast zeitgleich übrigens mit "dm", ein Jahr nach "Rossmann" und zwei Jahre vor "Schlecker". In dieser Zeit fiel die Preisbindung für Drogerieartikel weg - auch Müller witterte darin ein großes Geschäft. Er sollte Recht behalten.

Im März 1953 gründete Erwin Müller seine erste Firma: einen Friseursalon in diesem Haus in Fahlheim (Foto: SWR)
Im März 1953 gründete Erwin Müller seine erste Firma: einen Friseursalon in diesem Haus in Fahlheim

Meister im Segelfliegen, Golfclub- und Straußenfarmbesitzer

Während Müller also sein Drogeriemarktimperium aufbaute, wurde er praktisch nebenbei Deutscher Meister im Segelfliegen (1977), holte den fünften Platz bei der Weltmeisterschaft (1978) und stellte gleich mehrere Weltrekorde auf. Er ist außerdem Besitzer eines Golfclubs und einer Straußenfarm auf Mallorca, wie er 2013 dem "Mallorca-Magazin" verriet - in einem weiteren, seltenen Interview.

Überliefert ist auch die Geschichte rund um eine Fußgängerampel in der Nähe seiner Firmenzentrale in Ulm aus dem Jahr 1989. Müller wollte sie, damit seine Beschäftigten auf dem Weg vom Parkplatz sicher eine Straße überqueren können. Weil es die Stadt Ulm aber für seinen Geschmack nicht schnell genug auf die Reihe brachte, beauftragte und bezahlte er die Ampel kurzerhand selbst. Kostenpunkt: 26.000 Mark. Innerhalb von wenigen Monaten ging sie in Betrieb.

Die Zentrale der Drogeriemarktkette Müller in Ulm. (Foto: SWR)
Die Zentrale der Drogeriemarktkette Müller in Ulm.

Kritik von Gewerkschaft an Müller-Drogerie

Was den Umgang mit der Belegschaft angeht, kommt der Patriarch allerdings nicht immer gut weg. Auch wenn er im "Focus"-Interview stolz davon berichtet, seinen Verkäuferinnen zum Valentinstag "Mon Chéri" zu schenken und allen Mitarbeitenden 20 Euro zur Weihnachtsfeier zuzuschießen. Rainer Dacke von der Gewerkschaft ver.di in Ulm erinnert sich noch gut an eine Betriebsratswahl in einem Lager der Drogeriemarktkette in Neu-Ulm. Müller wollte das mit allen Mitteln verhindern und verkaufte das Lager nach der Wahl wenig später einfach an eine Spedition.

"Er ist ein Patriarch, ein Alleinherrscher und er duldet keine abweichenden Meinungen außer seiner."

Erwin Müller ist "ein Alleinherrscher, er duldet keine abweichenden Meinungen außer seiner". Als Patriarch lasse er sich "nicht gerne in die Suppe spucken". So sieht es Dacke. Für die Beschäftigten hoffe er, dass ein Nachfolger das Unternehmen nicht irgendwann an die Wand fahre. Denn den Durchblick habe wahrscheinlich nur einer: Müller selbst.

Ganz anders hat Ralf Peßmann den 90-jährigen Unternehmer und seine Ehefrau Anita erlebt. Alle drei teilen sie eine Leidenschaft: Hunde. "Ein freundlicher, klar strukturierter Mensch" sei Müller, schildert Peßmann, der das Ulmer Tierheim leitet. Die Liebe der Müllers zu den Vierbeinern zahlt sich für das Tierheim aus. Umbauten und Neubauten seien ohne sie nicht möglich gewesen. Seitdem sich Ehefrau Anita in einen Hund im Heim "verliebt habe", fließen regelmäßig Geld und Paletten mit Hunde- und Katzenfutter.

Im Jahr 2022 stellte Erwin Müller eine Million Euro für die Sanierung der Grundschule in seinem Heimatdorf Nersingen-Fahlheim bereit. (Archiv) (Foto: SWR)
Im Jahr 2022 stellte Erwin Müller eine Million Euro für die Sanierung der Grundschule in seinem Heimatdorf Nersingen-Fahlheim bereit. (Archiv)

Spende für Grundschule in seiner Heimat Fahlheim

Zurück nach Fahlheim, in den kleinen Ort, in dem Erwin Müller aufwuchs und seinen ersten Friseursalon eröffnete. Dort sollte im vergangenen Jahr die Grundschule geschlossen werden. Das Dorfleben werde bestimmt darunter leiden, sagte Müller im Gespräch mit der ARD, als er höchstpersönlich in seine Heimat kam und eine Million Euro zur Sanierung der maroden Fahlheimer Dorfschule bereitstellte. Oberfahlheim und Unterfahlheim "haben über 2.000 Einwohner und sollen jetzt keine eigene Schule mehr haben? Das ist mir unverständlich", so Müller - und nahm die Dinge einmal mehr selbst in die Hand.

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