Jugendliche hören am Carlo-Schmid-Gymnasium ihren Mitschülern zu. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes befassen sich die jungen Menschen intensiv mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.

Carlo Schmid im Schulunterricht

Jugendliche aus Tübingen lassen Vater des Grundgesetzes aufleben

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Tobias Faißt
Tobias Faißt arbeitet als multimedialer Reporter im SWR Studio Tübingen.

Die deutsche Verfassung feiert 75. Jubiläum. Am Carlo-Schmid-Gymnasium erwecken Jugendliche deshalb den Geist des Politikers zum Leben. Was bedeutet ihnen das Grundgesetz?

Im Wonnemonat Mai feiert die Bundesrepublik Deutschland ihre Verfassung - in diesem Jahr zum 75. Jubiläum. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz erlassen, nachdem es der Parlamentarische Rat gut zwei Wochen vorher am 8. Mai 1949 beschlossen hatte. Führendes Mitglied in dem Gremium damals: Carlo Schmid. In Tübingen ist ein Gymnasium nach ihm benannt. Dort beschäftigen sich Jugendliche aktuell intensiv mit seinem Leben und ihrem eigenen Verhältnis zum Grundgesetz.

Ein Abend mit Carlo Schmid in Tübingen

Das Grundgesetz wurde in einer anderen Zeit verfasst. Das zeigen nicht nur die Schwarz-Weiß-Fotos von Carlo Schmid, die zum Jubiläum wieder rausgekramt werden. Der SPD-Politiker ist einer der Väter der deutschen Verfassung. Von den Schülerinnen und Schülern der 10d am Carlo-Schmid-Gymnasium in Tübingen könnte er locker der Ur-Großvater sein. Obwohl keiner der Jugendlichen mit Schmid verwandt ist, beschäftigen sie sich in diesem Schuljahr intensiv mit seinem Erbe.

In fünf Gruppen erwecken die Schülerinnen und Schüler Carlo Schmid für einen Abend zum Leben. So entstehen aktuell ein kurzer Film, Interviews mit Jugendlichen in der Rolle als Vater des Grundgesetzes oder szenische Darstellungen zur Entstehung der deutschen Verfassung. Der Carlo-Schmid-Abend soll Anfang Juli stattfinden, sagt Gemeinschaftskunde-Lehrer Leo Bader. Denn der Tag des Grundgesetzes am 23. Mai fällt im Jubiläumsjahr mitten in die Pfingstferien.

So stehen die Jugendlichen zum Grundgesetz

Ferien hin oder her: Das Grundgesetz gilt jeden Tag, auch wenn heutzutage verfassungsfeindliche Kräfte wie die "Reichsbürger" wieder präsenter sind. "Das Grundgesetz ist die Basis unseres kompletten Alltags. Für mich ist es schön, zu wissen, dass es dieses Grundgesetz gibt und dass es diese Basis ist, auf die man sich verlassen kann", sagt Schülerin Anna Faiß bei einem Besuch am Carlo-Schmid-Gymnasium in der Woche vor den Pfingstferien.

Was das Grundgesetz den Jugendlichen bedeutet? "Sicherheit und Freiheit", antwortet Sophie Börschig. Elisar Ibrahim sagt, es sorge dafür, "dass wir alle hier in Deutschland friedlich und gerecht leben können". Mitschüler Melvin Stingel fordert, dass wieder mehr Menschen bewusst werden sollte, was im Grundgesetz steht.

Für mich ist es zwar normal, dass es diese Rechte gibt. Aber es gibt auch einfach Menschen, die sie nicht haben. Und ich finde es sehr wichtig, dass wir das nochmal so behandeln.

Jugendliche wollen Grundgesetz verteidigen

Seit Februar bereitet sich die Klasse intensiv auf den geplanten Carlo-Schmid-Abend vor. Dabei setzen sie sich auch mit verfassungsfeindlichen Tendenzen auseinander und holen den Namensgeber ihres Gymnasiums in die heutige Zeit. Für einen Kurzfilm schlüpft Johannes Ebinger in die Rolle des Staatsrechtlers auf einer Demonstration für die AfD. Erst vor kurzem hat das Oberverwaltungsgericht Münster mit einem Urteil bestätigt, dass der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall führen darf.

Der Gedanke der wehrhaften Demokratie ist eng mit Carlo Schmid verbunden. Er war es, der vom "Mut zur Intoleranz" sprach und zwar denjenigen gegenüber, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen - gegenüber Verfassungsfeinden also. "Allgemein werden die Menschen immer extremer. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir als Land festhalten am Grundgesetz, das vor 75 Jahren geschrieben wurde", beschreibt Johannes Ebinger, wie er die Situation rund um das Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland wahrnimmt.

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Carlo Schmid: Mr. Grundgesetz und Mr. X

Das Gymnasium der Jugendlichen trägt den Namen Carlo Schmid. Doch bevor sich die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten intensiv mit seinem Leben befasst haben, war ihnen die Bedeutung des SPD-Politikers für die Bundesrepublik eher unbekannt. Heute sagt Schülerin Anna Faiß, dass Carlo Schmid einen großen Teil dazu beigetragen hat, dass sie sicher ihren Alltag leben kann. Die Jugendlichen werden seinen Namen auch bei kommenden Jubiläen des Grundgesetzes parat haben.

Der Parlamentarische Rat und das Grundgesetz:

25.8.1948 Vorbereitungen für Parlamentarischen Rat – Reportage aus Museum Koenig in Bonn

25.8.1948 | Die konkreten Vorbereitungen für die Schaffung des deutschen Grundgesetzes begannen im August 1948 auf dem Verfassungskonvent in Herrenchiemsee. 30 Experten aus Justiz und Politik schrieben dort einen ersten Entwurf für eine Verfassung.
Dieser Entwurf diente als Grundlage für den Parlamentarischen Rat, der kurz darauf seine Arbeit aufnahm. Und zwar in Bonn – nicht in Frankfurt oder Karlsruhe, die ebenfalls Interesse signalisiert hatten.
Die Entscheidung für Bonn fiel erst Mitte August 1948, und Anfang September sollte es ja schon losgehen. Nun gab es im Nachkriegs-Bonn noch nicht so viele Gebäude, die geeignet gewesen wären, über mehrere Monate den Parlamentarischen Rat zu beherbergen. Er bestand immerhin aus 65 Mitgliedern, die jeweils von den Länderparlamenten gewählt und entsandt wurden.
Die Wahl des konkreten Orts fiel auf ein Museum, das Zoologische Museum Alexander Koenig, was, wie man sich vorstellen kann, der Versammlung, die das Grundgesetz ausarbeiten sollte, einen besonderen Charme gab.
Reporter Hans Jesse beschreibt die Vorbereitungen in seiner Reportage vom 25. August 1948.

20.10.1948 Carlo Schmid will starke Präambel im Grundgesetz

20.10.1948 | Das Grundgesetz wurde 1949 "Grundgesetz" genannt, weil es nicht "Verfassung" heißen sollte. Mit dem Wort "Grundgesetz" sollte die Vorläufigkeit des Regelwerks unterstrichen werden, angesichts der deutschen Teilung. Und in der Präambel, die den Artikeln vorangestellt wurde, war dies ebenfalls das zentrale Motiv. Dort heißt es:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“
Über die Präambel diskutierte der Parlamentarische Rat auch in seiner 6. Sitzung am 20. Oktober 1948. Dort plädierte der Staatsrechtler und Sozialdemokrat Carlo Schmid dafür, dass die Präambel wirklich explizit sagen soll: Warum dieses Grundgesetz? Was soll es sein und was nicht? Und: Was bleibt dem deutschen Volk "zu tun noch aufgegeben"?
Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde der zweite Teil der Präambel angepasst. Dort heißt es nun:
"Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk."

18.1.1949 Gleichberechtigung im Grundgesetz – dank Elisabeth Selbert

18.1.1949 | "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" – Im Januar 1949 wird dieser Artikel in den Entwurf für das neue Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen. Dies ist vor allem das Verdienst der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert.

Das Grundgesetz wird 75 Jahre alt:

Ellwangen

Geburtshelfer für eine neue Verfassung 75 Jahre Grundgesetz - welche wichtige Rolle Ellwangen dabei spielte

Politiker der Nachkriegszeit trafen sich ab 1947, um das Grundgesetz auszutüfteln. Fast im Geheimen gründeten sie den Ellwanger Kreis. Das war Thema am Peutinger Gymnasium.

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR BW

Das Quiz zum Jubiläum Quiz: 75 Jahre Grundgesetz - alles Wichtige zu Deutschlands Verfassung

Heute vor 75 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. Unsere Verfassung sichert uns Rechte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung zu und legt fest, wie der Staat Deutschland organisiert ist. Wie viel wissen Sie darüber?