Häusliche Gewalt  Frauenhäuser

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

So hat eine Betroffene häusliche Gewalt erlebt: "Meine Beziehung war toxisch"

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AUTOR/IN
Susanne Babila
ONLINEFASSUNG
Katharina Kurtz
Katharina Kurtz

Sie schien ihren Traummann gefunden zu haben: Er war liebevoll und aufmerksam. Doch dann landete eine 47-Jährige in einem Albtraum. Am Ende schaffte sie es, sich daraus zu befreien.

Eine Frau, die in den eigenen vier Wänden Gewalt erlebt hat, ist Peggy Müller. Sie heißt eigentlich anders, aber aus Sicherheitsgründen möchte sie anonym bleiben. Müller zog vor drei Jahren mit ihren zwei Kindern von Sachsen zu ihrem neuen Partner nach Baden-Württemberg. Sie hatten sich über ein Dating-Portal kennengelernt. Beide waren alleinerziehend und hatten zwei Kinder. Nach langen Telefongesprächen und einigen Besuchen schien Peggy Müller den perfekten Partner, ihren Traummann, gefunden zu haben. "Er war liebevoll und aufmerksam und hat Geschenke mitgebracht. Und da habe ich gesagt: das ist der perfekte Mann", erinnert sich Peggy Müller.

Psychische Gewalt wird zum täglichen Begleiter

Ihr Wunsch nach einer glücklichen Beziehung schien in Erfüllung gegangen zu sein und sie beschloss, ihr altes Leben aufzugeben. Die Suche nach einem gemeinsamen Haus schien nur der folgerichtige Schritt. Doch bereits beim Einzug begannen die ersten Probleme. Sie sollte alte Freunde aufgeben, am besten die Telefonnummern löschen. Ihr neuer Partner bestimmte, wie Möbel aufgestellt oder Bilder aufgehängt werden sollten. Ihre Vorschläge wurden vom Tisch gewischt. Sie ging auf seine Anweisungen ein, wollte keinesfalls mit "kleinlichen Bemerkungen" ihr junges Glück stören. Doch mit der Zeit entpuppte sich ihr Partner als Tyrann und ihr Neuanfang wurde allmählich zum Albtraum.

"Als ich eingezogen war, durfte ich kaum telefonieren und keine Freunde einladen. Meine Kinder durften auch keine Freunde einladen. Es durfte keiner ins Haus."

Spirale aus Isolation, Manipulation und Kontrolle

Doch Peggy wollte in der neuen Heimat Kontakte knüpfen, fühlte sich einsam. Als sie heimlich eine Nachbarin zum Kaffee einlud und er davon erfuhr, bedrohte er sie. Doch warum hat sich Peggy nicht schon damals von ihrem Partner getrennt? Sie habe Angst gehabt, mit den Kindern auf sich allein gestellt zu sein, sagt sie heute im Rückblick. Sie hoffte damals, dass sich alles zum Guten wenden und die Hoffnung auf Geborgenheit erfüllt werden würde. Peggy tat alles, um den Hausfrieden nicht zu gefährden. Sie fand Arbeit, zahlte die Hälfte der Miete, machte den Haushalt, versorgte die Kinder und geriet immer mehr in eine Spirale der Isolation, Manipulation und Kontrolle.

Er wollte, dass ich ihm hörig werde. Das war eine toxische Beziehung, er machte mich klein und wollte mir und meinen Kindern einreden, an allem Schuld zu sein.

Auch ihre Kinder litten unter der Beziehung. Sie flüchteten ins obere Stockwerk, sobald ihr Partner nach Hause kam. Ihr zwölfjähriger Sohn ließ seine Wut und seinen Frust in der Schule aus. Mit der 18-jährigen Tochter gab es zuhause immer häufiger Streit. "Manchmal stellte er einfach den Strom ab", erzählt die 47-Jährige, "dann saßen wir alle im Dunkeln". Als die Tochter auszog, wollte er Peggy jeden weiteren Kontakt zu ihr verbieten. "Meine Tochter durfte nicht ins Haus, durfte mich nicht besuchen. Das war alles schlimm", erzählt die Alleinerziehende und weint. "Als ich ihr einmal vor unserer Haustür etwas zu Essen gab, kam er mit einem Schlagstock."

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Am Wendepunkt: Peggy Müller sucht sich Hilfe

Peggy Müller überwand ihre Angst und suchte für sich und ihre Kinder Hilfe beim Verein "Frauen helfen Frauen" in Esslingen. "Unsere Aufgabe ist, die Frauen, die zu uns kommen, aufzufangen, praktische Hilfe anzubieten und die Muster der Gewaltspirale zu erklären", sagt Semrah Dogan.

In der Regel verändert sich die Situation nicht, sie wird sogar noch schlimmer, denn die Intervalle der Gewalt werden kürzer und die Intensität der Gewalt nimmt zu.

Semrah Dogan musste auch Peggy Müller jegliche Illusion rauben, dass es besser werden könnte. Es sei schwer sich einzugestehen, dass die Realität so ist, wie sie ist. Das tue erstmal weh, erklärt Dogan.

Semrah Dogan (li.)  Verein "Frauen helfen Frauen" in Esslingen im Gespräch mit Peggy Müller. Peggy Müller hat sich von ihrem Partner getrennt und möchte zu ihrem Schutz anonym bleiben.
Semrah Dogan (li.) Verein "Frauen helfen Frauen" in Esslingen im Gespräch mit Peggy Müller. Dogan hat der 47-Jährigen geholfen, sich von ihrem Partner zu trennen.

Nach Trennung nochmal neu angefangen

Peggy Müller hat sich vor einigen Monaten von ihrem Partner getrennt. Sie lebt mit ihrem Sohn in einer eigenen Wohnung, hat einen festen Arbeitsplatz und wieder eine gute Beziehung zu ihrer Tochter. "Alleine, ohne die Hilfe des Vereins, hätte ich das nie geschafft", sagt sie. "Ich sage es jeder Frau, ihr schafft es alle, wenn ihr euch Hilfe von außen sucht. Ansonsten geht man seelisch kaputt."

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Jeden Tag versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, fast jeden dritten Tag gelingt es ihm. Wieso macht uns das als Gesellschaft nicht wütend? Wo bleibt die kollektive Wut? Die Podcasterin Kim Hoss hat ihre eigene Wut in Mut umgewandelt. “Als ich verstanden habe, dass ich wütend sein darf, war das befreiend'”, erzählt Hoss. Sie glaubt, dass aus der gemeinsamen Wut über die Verhältnisse Kraft und Solidarität entstehen kann.

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Unser Podcast-Tipp für diese Woche: “Bleib Mensch!” mit dem NDR-Journalisten Arne-Torben Voigts und der Theologin Petra Bahr. Sie sprechen darüber, wie wir mit Krieg, Krise, Klima und Inflation umgehen können. Wie können wir eine weitere Spaltung in der Gesellschaft verhindern? Und vor allem: Wie können wir Mensch bleiben? Das sind die Fragen im Podcast „Bleib Mensch!“ – den ihr ab jetzt in der ARD Audiothek findet: https://1.ard.de/bleibmensch2

Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen an kulturpodcast@swr.de.

Hosts: Kristine Harthauer und Philine Sauvageot
Showrunner: Giordana Marsilio

Links:
Den Podcast “The Sirens Collective” von Kim Hoss und Lise van Wersch findet ihr auf zahlreichen Podcast-Plattformen, z.B. hier: https://open.spotify.com/show/32LUUtGzN6ZYcMtrs36Mhi

Das “The Sirens Collective”-Archiv für Betroffene: https://www.thesirenscollective.com/

Das Buch von Christina Clemm “Gegen Frauenhass”: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/gegen-frauenhass/978-3-446-27731-1/

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