Erster Landkreis in Baden-Württemberg

Bezahlkarte statt Bargeld: Ortenaukreis führt "SocialCard" für Asylleistungen ein

Stand
Autor/in
Christine Veenstra

Geflüchtete im Ortenaukreis bekommen statt Bargeld jetzt eine Karte für Asylleistungen. Der Ortenaukreis ist damit in Baden-Württemberg Vorreiter. Flüchtlingshelfer sind skeptisch.

Der Ortenaukreis führt als erster Kreis in Baden-Württemberg eine "SocialCard" ein. Asylbewerberinnen und -bewerber, die kein Bankkonto haben, sollen statt Bargeld künftig eine Karte für Asylleistungen bekommen. Das teilte das Ortenauer Landratsamt mit.

"SocialCard" soll Migrationsamt entlasten

Die neue Bezahlkarte soll unter anderem die Abläufe bei der Auszahlung für Kleidung oder Lebensmittel vereinfachen und Druck vom ohnehin schon stark belasteten Migrationsamt nehmen. Sie soll schrittweise bis Ende Januar für etwa 300 bis 400 Geflüchtete ohne eigenes Bankkonto eingeführt werden. Laut einer Sprecherin des Landratsamtes sind das vor allem Menschen, die vor kurzem angekommen sind und die nicht über die nötigen Papiere verfügen, um ein Konto eröffnen zu können.

Das neue Kartensystem sei sofort einsetzbar und könne entweder physisch oder digital auf dem Smartphone geführt werden, heißt es. Geflüchtete können damit einkaufen oder im Internet bezahlen, aber auch Bargeld abheben.

Flüchtlingsilfe Rebland: Datenschutzfragen offen

Die Einführung der Karte geschehe unabhängig von der bundesweiten Diskussion, ob Asylsuchenden Geld oder Sachleistungen zukommen sollten, so das Landratsamt. Sie biete den Asylsuchenden den Vorteil, dass sie nicht mehr um Bargeld anstehen müssten. Ortenauer Flüchtlingshelferinnen und - helfer sehen die Einführung der Karte aber durchaus kritisch - zum Beispiel Heribert Schramm von der Flüchtlingshilfe Rebland.

Vor allem mit Blick auf den Datenschutz und die Zugriffsmöglichkeiten des Landratsamtes hat er noch viele Fragen - etwa die, wer Zahlungsvorgänge einsehen kann und wie Zahlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden können. Der SWR hat direkt beim Dienstleister nachgefracht, der Publk GmbH in Bersenbrück, die die Karteninfrastruktur bereitstellt.

Die Technik dahinter

Geschäftsführer Joerg Schwitalla versichert, dass Kartenumsätze nur für den Karteninhaber einsehbar sind - mit Hilfe einer App. Von Kontoumsätzen spricht er bewusst nicht, denn: Jeder "SocialCard" ist zwar eine IBAN zugeordnet, aber kein eigenes Konto.

Laut Schwitalla, sind die "SocialCards" mit einem sogenannten Treuhandsammelkonto verknüpft. Behörden können darauf Geld für alle ihre Leistungsempfänger einzahlen. Damit einzelne Summen einzelnen Personen und ihren "SocialCards" zugeordnet werden können, hat jeder und jede eine eigene IBAN. Gibt der Karteninhaber oder die Karteninhaberin etwas aus, geht das Geld sofort von seinem oder ihrem Guthaben ab.

Nicht möglich sind für "SocialCard"-Inhaber aber Überweisungen vom Treuhandsammelkonto auf ein anderes Konto. Laut dem Ortenauer Landratsamt soll dadurch vermieden werden, dass mit den Sozialleistungen beispielsweise Schlepper bezahlt werden.

Zahlungen basieren auf VISA-Strukturen

Zahlungen mit der "SocialCard" laufen über das System des Partners VISA. Im Geschäft funktioniert das wie mit gängigen Debit-Karten. Und auch bei Online-Einkäufen sind Zahlungen mit der Karte wie mit einer VISA-Card möglich, solange das Guthaben reicht.

Was nicht funktioniert, sind Zahlungen an Glücksspiel-Anbieter. Diese sind als Zahlungsempfänger ausgeschlossen. Laut Joerg Schwitalla ist das möglich, weil VISA Händlerinnen und Händler nach Branchen kategorisiert hat. Einzelne Branchen blockieren geht, bestimmte Produktgruppen ausklammern - etwa Zigaretten oder Alkohol - das funktioniert technisch aber nicht.

Karte kann an neue Vorgaben angepasst werden

Abgesehen vom Ortenaukreis setzen die "SocialCard" bisher die Städte Hannover und Leipzig ein. In Baden-Württemberg ist die Ortenau damit Vorreiterin. Doch laut der Publk GmbH gibt es deutschlandweit etliche weitere Interessenten.

Im Landratsamt schließt man nicht aus, dass der Einsatz der Karten irgendwann auch auf Menschen ausgeweitet werden könnte, die eigentlich ein eigenes Konto haben. Das hänge von den rechtlichen Vorgaben ab, so heißt es. Flüchtlingshelferinnen - und helfer fürchten genau das: dass Asylsuchenden kein Geld mehr aufs eigene Konto überwiesen werden könnte.

"Unser aller Ziel muss es sein, die geflüchteten Menschen hier zu einem selbstständigen Leben zu bringen, und ich hab das Gefühl, dass die Autonomie hier nicht respektiert wird", so Schramm.

Mehr zum Thema Migration

Offenburg

Zu geringe Auslastung Offenburger Notunterkunft für Geflüchtete schließt

Die Notunterkunft für geflüchtete Menschen auf dem Offenburger Messegelände wird kommende Woche geschlossen. Sie war im November geöffnet worden, ist aber zu wenig ausgelastet.

SWR4 BW aus dem Studio Freiburg SWR4 BW Südbaden

Berlin

Sozialunternehmerin Zarah Bruhn | 9.1.2024 So bringt die Integration von Geflüchteten unsere Gesellschaft weiter

Von der jungen Gründerin zur Sozialunternehmerin mit gemeinnütziger Zeitarbeitsfirma für Geflüchtete: Zarah Bruhn erzählt in SWR1 Leute, warum sie sich sozial so stark engagiert.

Leute SWR1 Baden-Württemberg

Stand
Autor/in
Christine Veenstra

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.

Reportagen, Shorts und Erklärvideos SWR Aktuell nun mit eigenem YouTube-Kanal am Start

Ab sofort ist SWR Aktuell auch bei YouTube mit einem eigenen Kanal zu finden. Damit ist die Nachrichtenmarke des SWR künftig neben Instagram und Facebook auch auf der wichtigsten Nachrichtenplattform präsent.