Noch nie sind innerhalb eines Jahres so viele Menschen im Erzbistum Freiburg aus der katholischen Kirche ausgetreten. Rund 42.500 Katholikinnen und Katholiken haben im vergangenen Jahr die Kirche verlassen. Das teilte Erzbischof Burger am Dienstag beim Neujahrsempfang der Erzdiözese mit. Er bezog sich dabei auf eine erste, vorläufige Auswertung der Jahresstatistik. Endgültige Zahlen legen die Bistümer in der Regel erst im Sommer vor.
Der bisherige Rekordwert von 30.000 Austritten im Jahr 2021 wurde nochmal um 40 Prozent überschritten. Nur 352 Menschen sind 2022 hingegen wieder in die Kirche eingetreten.
Innerhalb des Erzbistums Freiburg ist die Zahl der Kirchenaustritte in der Grenzecke des Dreilands am höchsten. Darauf hat der Dekan des katholischen Dekanates Wiesental, Gerd Möller, am vergangenen Wochenende in Weil am Rhein hingewiesen.
Erzbischof Burger sieht großen Vertrauensverlust
Burger sprach beim Neujahrsempfang von einer dramatischen Entwicklung, einem großen Vertrauensverlust und einer Erschütterung durch die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung.
SWR Datenanalyse: Missbrauch und Benachteiligung von Frauen sind Gründe für Kirchenaustritt
In einer SWR-Datenanalyse im vergangenen Jahr nannten über 80 Prozent der Befragten die Missbrauchsfälle als Grund für ihren Austritt aus der evangelischen und katholischen Kirche. Bei der großen Mehrheit der Befragten richteten sich Wut, Kritik und Enttäuschung vor allem gegen die Kirche als Institution. Drei Viertel der katholischen Befragten in der SWR-Befragung sehen die Gleichstellung von Mann und Frau als notwendige Reform für ihren möglichen Wiedereintritt.
Burger gegen Reform-Alleingänge in Deutschland
Trotz der stetig hohen Austrittszahlen und der Unzufriedenheit vieler Kirchenmitglieder geht die Reform der katholischen Kirche nur sehr langsam voran. Erst im September vergangenen Jahres war ein zentraler Text im Reformprozess "Synodaler Weg" gescheitert. Konservative Bischöfe hatten ein Papier zur Sexualmoral verhindert. Der Frust bei Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum Freiburg war damals hoch.
Erzbischof Burger wendete sich beim Neujahrsempfang am Dienstag gegen Reform-Alleingänge der katholischen Kirche in Deutschland. Die Loyalität zu Papst Franziskus und zur katholischen Kirche weltweit könne nicht infrage stehen. Der Reformprozess des Synodalen Weges müsse als Diskussionsbeitrag gesehen werden und nicht als neue Lehre. Sonst würden Reformgedanken in der Weltkirche scheitern, sagte Burger.
Aus Burgers Sicht werde man nur gemeinsam vorankommen. "Bei dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland wie bei dem synodalen Prozess in der Weltkirche geht es um ein gemeinsames Gehen und ein gemeinsames Hören", sagte Burger beim Neujahrsempfang in Freiburg.
Missbrauchsstudie im April soll Wendepunkt sein
Im April soll im Erzbistum Freiburg eine Studie zur Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt veröffentlicht werden. Erzbischof Burger hofft, dass die Missbrauchsstudie ein Wendepunkt sein wird.
"Wir können dann klar sagen, was die Missbrauchsursachen in unserer Erzdiözese waren. Wir können darlegen, was strukturell bedingt ist, wo fehlerhaftes Versagen vorliegt, wo Vertuschung vorliegt", sagte Burger dem SWR beim Neujahrsempfang. Es gehe nicht darum, nur in die Vergangenheit zu schauen sondern auch darum, aus der Vergangenheit zu lernen.
Laut Burger haben Missbrauchsopfer im Erzbistum Freiburg in den vergangenen Jahren drei Millionen Euro an Hilfen und Leistungen erhalten. Zudem würden derzeit 40 Menschen monatliche Finanzhilfen bekommen. Es werde auch Unterstützung bei Therapiekosten gezahlt.
Betroffene kritisieren Verzögerung der Missbrauchsstudie
Die Veröffentlichung der Missbrauchsstudie in der Erzdiözese Freiburg wurde schon mehrmals verschoben, zuletzt im September 2022 wegen rechtlicher Bedenken. Betroffene kritisieren das immer wieder. So zum Beispiel Julia Sander Anfang Januar 2023 im Interview mit dem Deutschlandfunk. Sander wurde als Kind von katholischen Priestern missbraucht und arbeitet im Betroffenenbeirat der Erzdiözese Freiburg.
Wenn die Veröffentlichung von Missbrauchsstudien verzögert wird, wirkt sich das laut Sander konkret auf das Leben der Betroffenen aus. Ihnen werde dadurch Verarbeitung verwehrt, dabei zähle für Betroffene jeder Tag. "Für Betroffene ist jeder Tag, an dem sie nicht aufarbeiten können und ihr Leben nicht in eine andere Richtung drehen können, fatal", sagte Sander im Deutschlandfunk.
Sander kritisiert nicht nur, dass die Freiburger Missbrauchsstudie noch nicht veröffentlicht ist, sondern auch Joseph Ratzinger, den verstorbenen, emeritierten Papst Benedikt XVI. "Ich glaube er hatte Handlungsoptionen, die er nicht genutzt hat", sagt Sander. Ratzinger hätte Betroffenen viel Leid ersparen können.