Für die Abi-Prüfung im kommenden Schuljahr sollen die Schülerinnen und Schüler an den beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg ein Stück deutsche Nachkriegsliteratur lesen, den Roman "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen.
Die Ulmer Deutsch- und Englischlehrerin Jasmin Blunt müsste diesen Roman also in ihrem Unterricht durchnehmen. Als sie das Buch das erste Mal in der Hand hatte und es durchblätterte, war sie allerdings entsetzt. Quer durch den ganzen Roman entdeckte sie das N-Wort, etwa hundert Mal - ohne Fußnoten oder Erklärungen.
Für sie sei das "einer der schlimmsten Tage" ihres Lebens gewesen, sagt die Lehrerin, die Rassismus selbst erlebt hat. Sie weist darauf hin, dass das N-Wort einen Ausdruck von Unterdrückung und Entmenschlichung ist. "Was man sich bewusst machen muss bei dem Thema ist, dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert - und zwar in meine Lebenswelt hinein." Das sei nicht abstrakt, sondern betreffe sie direkt, erklärt die Lehrerin. "Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde."
Der Roman, der 1951 veröffentlicht wurde, zeichnet Ausschnitte aus dem Alltag in einer deutschen Stadt im Nachkriegsdeutschland nach - wahrscheinlich ist München gemeint. US-amerikanische Soldaten waren damals in vielen deutschen Städten aus dem Straßenbild nicht wegzudenken, darunter auch viele Schwarze. Rassistische Beleidigungen waren an der Tagesordnung.
Im Abitur soll Rassismus behandelt werden
Das baden-württembergische Kultusministerium rechtfertigt die Vorgabe des Buches als Pflichtlektüre damit, dass das Thema Rassismus im Abitur behandelt werden solle. Der Roman sei für den Unterricht geeignet und zähle außerdem zur bedeutenden, deutschen Nachkriegsliteratur. Außerdem befinde er sich im öffentlichen Diskurs. Mit ihm könne man den jungen Menschen ganz klar vermitteln, was Rassismus sei.
DIe Literaturprofessorin Magdalena Kißling von der Uni Paderborn widerspricht dem. Die Lehrkräfte sollten das zwar vermitteln, seien aber oft nicht dafür ausgebildet, Rassismus in der Literatur zu erkennen: "Es gibt zu wenig Sensibilität dafür, was die Macht von Sprache ausmacht, und da werden Erfahrungsberichte zu wenig ernst genommen." Außerdem seien entsprechende Konzepte für den Unterricht noch nicht ausgereift genug.
Die grobe Sprache des Romans hat Jasmin Blunt dermaßen verletzt, dass sie gegen die Einstufung des Buches als Pflichtlektüre vorgehen will. Sie hat eine Petition gestartet, mit der sie dafür sorgen will, dass der "Unterricht zu einem sicheren und rassismusfreien Ort für alle" wird - wie es in der Petition heißt.
Lehrerin gibt wegen Buch vorerst Job auf
Für sich selbst hat sie ebenfalls Konsequenzen gezogen. Obwohl sie ihren Beruf liebt, will sie ihn nach zwölf Jahren vorerst nicht mehr ausüben - wegen dieses Buchs. Denn den Roman im Unterricht durchzunehmen, das will sie sich nicht antun. Deshalb hat sie für das kommende Schuljahr einen Antrag auf Beurlaubung ohne Besoldung gestellt. Vom Kultusministerium fühlt sie sich im Stich gelassen. "Ich möchte, dass man mich und alle anderen, die so sind wie ich, mitdenkt", sagt sie - und hofft, dass Schüler und Schülerinnen künftig im Unterricht dem N-Wort nicht mehr ausgesetzt sind.