Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, tritt bei der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90Die Grünen Baden-Württemberg im Kultur- und Kongresszentrum Oberschwaben von der Bühne ab. Bei dem zweitägigen Parteitag stehen unter anderem Vorstandswahlen an.

Landesparteispitze bestätigt

Grünen-Landesparteitag: Kretschmann erntet heftigen Widerspruch für Schwenk in Asylpolitik

Stand
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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Seine Partei braucht eine Antwort auf die Probleme der Migrationspolitik: Regierungschef Kretschmann fordert eindringlich die Konsens-Suche mit anderen Parteien. Das kommt nicht bei allen Grünen gut an.  

Hilferufe aus den Kommunen, eine sich abzeichnende EU-Asylreform zu mehr Härte in Migrationsfragen und starke Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen: Unter diesem Eindruck haben die baden-württembergischen Grünen bei ihrem Landesparteitag in Weingarten (Kreis Ravensburg) kontrovers und emotional über das richtige Vorgehen in der Asylpolitik diskutiert.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann warb in Weingarten für einen schärferen Kurs in der Asylpolitik. Die neue Leitschnur müsse sein, "die irreguläre Migration begrenzen und die reguläre Einwanderung erleichtern", sagte Kretschmann vor über 200 Delegierten.

"Die aktuelle Krise hat die Wucht, unser demokratisches Gemeinwesen zu erschüttern", warnte BW-Ministerpräsident Kretschmann. Die Grünen müssten die Realität in der Migrationspolitik anerkennen und den Kompromiss mit den anderen demokratischen Parteien suchen. Am Ende seiner Rede spendeten die Delegierten dem Regierungschef stehend Applaus, bei den Passagen zur Migrationspolitik blieb der Beifall mäßig.

Junge Grüne attackieren Kretschmanns neuen Asyl-Kurs

Widerspruch kam etwas später in der Aussprache vor allem von der Grünen Jugend. Man dürfe keine "rechten Narrative" übernehmen, mahnten mehrere Rednerinnen und Redner. "Mir bereitet das Sorge. Und ich halte die Richtung, die die Landesregierung da eingeschlagen hat, für falsch", sagte die Co-Sprecherin der Grünen Jugend BW, Elly Reich, und erhielt kräftigen Applaus von ungefähr der Hälfte der Delegierten. "Gerade wenn die Probleme groß sind, kommt es auf die Haltung an." Die Aufgabe der Bundes- und der Landesregierung sei es, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Für "Scheindebatten" habe man keine Zeit.

Stephanie Aeffner vom Kreisverband Pforzheim und Enzkreis kritisierte, dass sich Kretschmann für eine Geldkarte statt Sachleistungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber ausgesprochen hatte. Es sei wissenschaftlich widerlegt, dass Barleistungen der Grund für das Kommen von Asylbewerbern nach Deutschland seien. Die Grünen dürften nicht dabei mitmachen, wenn von Rechts der Vorwurf komme, Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger und Asylbewerber und Asylbewerberinnen säßen nur faul herum. "Dieses Gift wirkt", sagte Aeffner.

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BW-Parteispitze: Dämpfer für Schwelling, Erfolg für Haggenmüller

Neben der Debatte zur Asylpolitik stellten sich in Weingarten am Samstag auch die bisherigen Landesvorsitzenden der Grünen in Baden-Württemberg zur Wiederwahl. Die Ulmerin Lena Schwelling vom Realo-Flügel erhielt einen Dämpfer. Die 31-Jährige, die für das Amt der Ulmer Oberbürgermeisterin kandidiert, kam auf 74,4 Prozent Zustimmung.

Das ist schwächer als ihr Ergebnis vor zwei Jahren, als sie 77,8 Prozent erreichte. Ein deutlich besseres Resultat erhielt ihr Co-Vorsitzender Pascal Haggenmüller, der dem linken Parteiflügel zugeordnet wird. Der 35 Jahre alte Stuttgarter kam auf 95 Prozent und verbesserte sich damit um 5,5 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021. Beide hatten bei ihrer Wiederwahl keine Gegenkandidaten.

Die Landesvorsitzenden Lena Schwelling (l) und Pascal Haggenmüller stehen bei der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90Die Grünen Baden-Württemberg im Kultur- und Kongresszentrum Oberschwaben am Rednerpult. Bei dem zweitägigen Parteitag stehen unter anderem Vorstandswahlen an.
Die Landesvorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller wurden beim Grünen-Parteitag in Weingarten im Amt bestätigt.

Grünen-Landesspitze zeigt sich trotz Kritik offen für CDU-Idee

Bereits vorab hatten sowohl Ministerpräsident Kretschmann als auch die Grünen-Landesvorsitzende Schwelling auf die Kritik an der Idee reagiert, Asylbewerber künftig nicht mehr mit Bargeld, sondern mit Sachleistungen zu versorgen. Eine Idee, die von der CDU in die Debatte gebracht wurde. Kretschmann räumte ein, dass bereits 2016 ein Versuch gescheitert sei, auf bargeldlose Leistungen umzustellen, zeigte sich aber dennoch offen für die Idee. Die Landesvorsitzende Schwelling sagte: "Die Bargeldleistungen sind aus meiner Sicht nicht der große Anreizfaktor, aber ich würde eine Geldkarte jetzt auch nicht verteufeln, wenn man sie unbürokratisch einführen kann."

Für die Landtagsfraktion der Grünen hatte zuvor Daniel Lede Abal, Grünen-Sprecher für Migration, eine solche Lösung als zu teuer und aufwendig abgelehnt. Die Auszahlung von Geldmitteln habe sich laut Abal bisher als einfachste und kostengünstigste Lösung bewährt.

Delegierter: "Nicht dem Krisengerede von CDU-Landräten aufsitzen"

Thomas Gönner vom Kreisverband Rastatt warnte davor, dem "Krisengerede" von CDU-Landräten aufzusitzen. "Ich lasse dieses Argument 'Das Boot ist voll' nicht mehr gelten." Die Praktikerinnen und Praktiker in den Kommunen seien davon überzeugt, dass man die Lage bewältigen könne, wenn Bund und Land sie mehr unterstützen würden. Der Aussprache folgte allerdings keine Abstimmung über den Kurs der Partei, da es dazu keinen eigenen Antrag gab. So blieb es bei einem Stimmungsbild. 

Regierungschef hält Stimmung in Bevölkerung für aufgeheizt

Kretschmann hatte zuvor gemahnt: Wenn sich die Menschen im Land von der steigenden Zuwanderung überfordert fühlten, werde die Politik ihre Akzeptanz verlieren. "Die Stimmung im Land ist aufgeheizt." Die Unterstützung für die Parteien der demokratischen Mitte schmelze weg, sagte er mit Blick auf AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Der Ministerpräsident sagte: "Wir müssen die Lage erkennen, so wie sie ist." Man müsse Humanität und Begrenzung zusammendenken. Nur dann könne Baden-Württemberg den Menschen etwa aus Afghanistan gerecht werden, die wirklich hier Schutz suchten. "Wir werden alle Mühe haben, die unterzubringen", so Kretschmann.

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Kretschmann: Spielen Migranten nicht gegen Einheimische aus

Der Regierungschef stellte aber klar, die neue Leitlinie in der Asylpolitik bedeute nicht, dass Migranten gegen Einheimische ausgespielt würden. Der linke Parteiflügel der Grünen sieht den Schwenk in der Migrationspolitik skeptisch. Für den Parteitag wurde vorab eine kontroverse Debatte erwartet.

Der 73 Jahre alte Ministerpräsident appellierte an die eigenen Reihen, sich in der Migrationsfrage nicht entzweien zu lassen. Entweder hadere man mit den Kompromissen und mit denen, die sie aushandeln. Oder man unterstütze diese. Er rate zu letzterem. Er selbst schöpfe Kraft aus Kompromissen, wie etwa bei der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz, bei der sich Regierungschefs von Union, SPD, Grünen und Linken auf einen gemeinsamen Kurs in der Asylpolitik verständigt hätten. Man müsse den Konsens suchen: "Das ist der Rat eines alten Fahrensmanns in der Politik."

Dass die Partei in der Migrationsfrage gespalten ist, habe der erste Tag des Parteitags in Weingarten gezeigt, so die Einschätzung von SWR-Redakteur Henning Otte:

Kretschmann sieht in jüngsten Wahlen einen "Weckruf"

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen müssten die Grünen als "Weckruf" verstehen. Ständig werde den Grünen das Etikett der "Verbotspartei" angeheftet. Das sei zwar Unsinn. Aber die Menschen trauten das den Grünen offensichtlich zu. "Das sollte uns zu denken geben." Die Partei müsse daraus lernen, dass sie den Menschen wieder stärker zuhört. Er erinnerte daran, dass man 2011 die "Politik des Gehörtwerdens" in Baden-Württemberg ausgerufen habe. "Dahin müssen wir wieder zurückkehren."

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Grünen-Bundeschef Nouripour: Polarisierung vermeiden  

Der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour mahnte die Delegierten, eine Polarisierung in der Migrationsfrage zu vermeiden. "Wir werden deutlich mehr Ordnung reinbringen müssen. Auch das ist ein Gebot der Humanität." Die Grünen dürften nicht ihre inneren Konflikte in den Vordergrund stellen. "Es geht nicht darum, dass wir weinend vor der Tür stehen, sondern dass wir die Probleme lösen."

Grünen-Chef Omid Nouripour beim Sommerinterview der ARD.
Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour fordert ein Ende des Streits in der Ampel.

Nouripour erklärte in Weingarten, aus seiner Sicht bekomme die Ampel-Bundesregierung "unglaublich viel hin". Doch wenn SPD, Grüne und FDP nicht endlich aufhörten öffentlich zu streiten, würden das die Menschen gar nicht mitkriegen. Auch die Grünen müssten ihr Verhalten ändern. "Wir sollten aufhören, die ganze Zeit über die anderen zu reden." Er fügte hinzu: "Die Leute wollen nicht wissen, welche Partei gewonnen hat, sondern welche Ergebnisse geliefert werden."

Zwar mache man nun "Highspeed" in der Energiepolitik, aber es sei fraglich, ob man die Klimaziele erreiche. Wenn jedoch die Grünen "die ganze Zeit depressiv reden", werde ihnen die Kraft fehlen, die Modernisierung voranzutreiben. Auch die BW-Landesregierung steht in der Kritik, weil sie ihre eigenen Klimaziele wohl verfehlen wird. Man dürfe sich auch nicht von den teilweise brutalen Angriffen auf die Grünen schrecken lassen. Es sei die Aufgabe der Grünen, den "Modernisierungsstau" in Deutschland aufzulösen und das tangiere nun mal die Interessen vieler Menschen. Aber: "Wir sind die wichtigste Kraft der Veränderung in diesem Land." Das müssten die Grünen mit Stolz tragen, so ihr Bundesvorsitzender.

Bundeschefin Ricarda Lang beim Landesparteitag erwartet

Am Sonntag geht der Parteitag der Grünen in Weingarten mit einem Leitantrag weiter, der sich mit Klimapolitik in den Kommunen beschäftigt. Am Vormittag wird eine Rede der Bundes-Co-Vorsitzenden Ricarda Lang erwartet, auch Bundesagrarminister Cem Özdemir wird sich zum Leitantrag zu Wort melden.

Die Kommune der Zukunft sei Klimaneutral und für die Folgen des Klimawandels gerüstet, heißt es in dem Leitantrag zur Kommunalpolitik. Städte und Gemeinden sollen flächendeckend klimafreundlich werden, die kommunale Wärmeplanung sei zentral für die Wärmewende. So soll es zum Beispiel finanzielle Vorteile für Kommunen geben, die ihre Wärmeplanung rasch umsetzten.

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