Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sitzt im Landtag von Baden-Württemberg im Rahmen einer Debatte über Antisemitismus auf der Regierungsbank.

Ministerpräsident BW im SWR-Interview

Kretschmann will schärferen Kurs in der Asylpolitik

Stand
Autor/in
Henning Otte

Das Thema Migration bestimmt Debatten und sogar Wahlen. Nun schlägt auch Baden-Württembergs Regierungschef Kretschmann neue Töne an – entgegen der bisherigen Linie der Grünen.

Angesichts der Belastung der Kommunen dringt nun auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf einen schärferen Kurs in der Asylpolitik. "Alle Maßnahmen, die dazu dienen, irreguläre Migration einzudämmen, die müssen wir gehen", sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch im SWR-Interview in Stuttgart. "Das heißt, wir müssen falsche Anreizfaktoren natürlich auch eindämmen und deswegen stehe ich einer Geldkarte sehr offen gegenüber." Die "Überlastungssituation" der Kommunen sei nicht mehr hinnehmbar.

Die Regierungschefs der Länder wollen bei ihrer aktuellen Konferenz in Frankfurt am Main unter anderem über Sachleistungen und bargeldlose Zuwendungen für Asylbewerber und eine Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit beraten. Kretschmann sagte zu der Arbeitspflicht für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive: "Ich bin für all diese Sachen offen, aber wir müssen sie auch umgesetzt bekommen."

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Kretschmann will klare Trennung von Asyl und Einwanderung

Der Regierungschef zeigte sich überzeugt: "Wir müssen die Migration besser steuern und wir müssen sie auch begrenzen." Kretschmann betonte: "Das Asylrecht ist nicht für Einwanderung gedacht, sondern für Verfolgte. Viel zu viele gehen den Weg, die aus anderen Gründen hier hinwollen, über das Asylrecht und das überlastet das Asylrecht und das wird es auf Dauer beschädigen." Deswegen müsse das Asylrecht "streng" angewendet werden. Andererseits müsse die reguläre Migration zur Gewinnung von Fachkräften erleichtert werden. "Das ist der Weg, den wir gehen müssen."

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Ministerpräsident dringt auf gemeinsame Lösung der Länder

Kretschmann erinnerte daran, dass man 2016 schon mal versucht habe, auf bargeldlose Leistungen umzustellen, das sei damals nicht gelungen. "Seither sind aber sieben Jahre vergangen, man hat da jetzt mehr Erfahrung." Er stellte aber auch klar: "Alles über Sachleistungen zu machen, das ist organisatorisch gar nicht bewältigbar. Die Leute müssen sich schon selber besorgen, was sie brauchen. Dazu haben wir schon Bezahlsysteme mit Karten, das werden wir ja wohl hinbekommen." Kretschmann setzt darauf, dass man sich auf eine gemeinsame bundesweite Lösung einigen werde. "Das sollten möglichst alle Länder machen, damit nicht wieder Migration entsteht, dorthin, wo das nicht umgesetzt wird."

In puncto Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit erklärte Kretschmann: "Das ist schon jetzt möglich. Aber auch das erfordert wieder Personal und einen hohen Aufwand. Man muss ein bisschen aufpassen, dass man nicht Forderungen in die Welt setzt, die man nicht umgesetzt bekommt. Davon haben wir am Ende nichts außer Verdruss." Der Grüne stellte klar: "Ich bin für all diese Sachen offen, aber wir müssen sie auch umgesetzt bekommen."

Kretschmann: Menschen tragen Migrationspolitik nicht mehr mit

Kretschmann sagte, die Landtagswahlen in Bayern und Hessen mit Zugewinnen für die AfD hätten gezeigt, dass die Menschen nicht mehr bereit seien, die Migrationspolitik so mitzutragen. Er betonte: "Es kann nicht sein, dass Deutschland ein Drittel der ganzen Einwanderungsbelastungen zu tragen hat." Allein Baden-Württemberg habe mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich. Es sei gut, dass es auf EU-Ebene nun einen weitgehenden Konsens gebe, für mehr Ordnung und eine bessere Steuerung zu sorgen.

BW-CDU befürwortet "180-Grad-Wende"

Die CDU Baden-Württemberg begrüßt, dass Kretschmann "unserer Positionierung zu einer 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik nun folgt." Das teilte der migrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Andreas Deuschle, mit. "Seit Monaten machen wir konkrete Vorschläge, illegale Migration in Deutschland und Europa endlich zu begrenzen, zu ordnen und zu steuern", heißt es in der Mitteilung. Doch die Balance einer Gesellschaft, die gut für sich und andere sorge, drohe durch "die Uneinigkeit und die andauernde Untätigkeit der Bundesregierung zu kippen".

Die CDU Baden-Württemberg setzt jetzt darauf, dass sich der Ministerpräsident auch auf Bundesebene für die entsprechenden Positionen einsetzt und dabei alle Handlungsmöglichkeiten ausnutzt. Die CDU stehe dafür bereit, so der Sprecher.

Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) zeigte sich erleichtert über die "Kurskorrektur des grünen Koalitionspartners in Sachen Migrationspolitik". Der CDU-Politiker sagte dem SWR: „Mit Blick auf die dramatische Situation der Kommunen ist es wichtig, dass wir nach langen Diskussionen jetzt eine gemeinsame Position in der Koalition und der Landesregierung finden können. Das könnte stilbildend für die gesamte Republik werden."

Er hoffe, dass sich der Ministerpräsident mit seiner jetzt so klar formulierten Position, die Zuwanderung deutlich zu steuern und zu begrenzen, in der Ministerpräsidentenkonferenz auch durchsetze. "Wir brauchen rasch Maßnahmen, die schnell und zielgerichtet wirken. Aus Sicht der Union können wir hier gleich bei der nächsten Sitzung des Bundesrates Ende Oktober Nägel mit Köpfen machen und weitere sichere Herkunftsländer beschließen.“

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Grüne Jugend widerspricht Kretschmann

Massive Kritik am Ministerpräsidenten kam dagegen von der Grünen Jugend. Die Sprecherinnen Elly Reich und Anne Mann sagten dem SWR: "Kretschmanns Vorschläge sind Scheinlösungen, die an einer tatsächlichen Unterstützung der Kommunen vorbeigehen. Diese Vorschläge stützen lediglich rechte Narrative und verschieben die Debatte weg vom eigentlichen Problem." Nach ihrer Überzeugung sind Rufe nach Sachleistungen oder einer Geldkarte kaum umsetzbar. Gerade für die Kommunen würden sie noch mehr Belastung bedeuten, sagten die jungen Grünen.

Sie forderten stattdessen: "Der Fokus muss jetzt darauf liegen, Bürokratie abzubauen und die Kommunen finanziell zu unterstützen." Kretschmann liege komplett falsch: "Diskussionen über vermeintliche falsche Anreizfaktoren sind postfaktisch. Der aktuelle Stand der Migrationsforschung hält Pull-Faktoren für überschätzt", so die Sprecherinnen der Grünen Jugend.

Grünen-Finanzminister Bayaz unterstützt Kretschmanns Pläne

Doch Kretschmann bekommt mit Finanzminister Danyal Bayaz auch Unterstützung aus den eigenen Reihen: "Unsere Kommunen sind am Anschlag, daher müssen wir irreguläre Migration eindämmen und begrenzen. Nicht jeder Vorschlag da draußen ist umsetzbar, aber man sollte auch nicht reflexhaft alles gleich zurückweisen." Baden-Württemberg stelle sich seiner Verantwortung, schrieb Bayaz im Kurznachrichtendienst X (früher Twitter).

Bayaz begrüßte auch das neue Migrationspaket, das die Ampel-Regierung in Berlin am Mittwoch vorgestellt hat. Es sei angesichts überlasteter Kommunen ein "wichtiger Schritt für Humanität und Ordnung. Zugang zu Arbeit wird leichter, Rückführungen abgelehnter Asylbewerber werden konsequenter durchgeführt. Für Akzeptanz und Integrationsfähigkeit ist beides wichtig", schrieb der baden-württembergische Finanzminister.

Am kommenden Wochenende treffen sich die Grünen in Weingarten (Kreis Ravensburg) zum Landesparteitag. Dabei dürften die Forderungen Kretschmanns für heftige Diskussionen sorgen.

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