Eine Passantin trägt eine FFP2-Maske in der Hand. (Foto: dpa Bildfunk, Marijan Murat)

Regelung gilt ab Oktober

BW: Kritik an Maskenpflicht in Pflegeheimen wächst

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"Grottenschlecht" und "außerhalb jeder Realität": Sozialverbände und Pflegeeinrichtungen kritisieren das neue Covid-19-Schutzgesetz und fordern eine Aufhebung der Maskenpflicht.

Die Kritik an der ab 1. Oktober geltenden gesetzlichen Maskenpflicht in Pflegeheimen reißt nicht ab. Am Donnerstag haben sich nun auch Wohlfahrtsverbände, Pflegeeinrichtungen und Caritas ablehnend dazu geäußert, dass Heimbewohner außerhalb ihres Zimmers Maske tragen müssen. "Die Maskenpflicht ist ein massiver Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung und soziale Teilhabe der betroffenen Menschen, schreiben der "Paritätische", der Sozialverband VdK sowie verschiedene Einrichtungen in einer gemeinsamen Mitteilung.

Bis zu 16 Stunden Masketragen am Tag

Menschen in besonderen Wohnformen müssten bis zu 16 Stunden pro Tag eine FFP2-Maske tragen, kritisierte Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des "Paritätischen" Baden-Württemberg. Konkret treffe dies zum Beispiel auf Menschen mit Behinderungen in der Eingliederungshilfe zu, da die Maskenpflicht sowohl in deren Arbeits- und Ausbildungsstätten als auch in betreuten Wohngemeinschaften gelte, wie Wolfgramm dem SWR erläuterte.

"Wenn das Gesetz in Kraft tritt, müssen diese Menschen fast ihr ganzes Leben mit Maske verbringen", so Wolfgramm weiter. Faktisch dürften die Betroffenen die Maske nur noch zum Schlafen absetzen - das sei unzumutbar, so die Vorstandsvorsitzende des "Paritätischen" Baden-Württemberg. Die Testpflicht für Betreuungs- und Pflegepersonal bezeichnete sie als "Misstrauensvotum" gegenüber der gesamten Branche. Eine weitere Abwanderungswelle von Mitarbeitern sei dann nicht mehr aufzuhalten, so ihre Befürchtung.

VdK sieht Widerspruch zu Lockerungen im öffentlichen Leben

Hans-Josef Hotz, Landesverbandsvorsitzender des VdK Baden-Württemberg, schreibt: "Es ist mehr als verwunderlich, dass sich beim Oktoberfest oder auf dem Cannstatter Wasen fremde Menschen ohne Masken treffen und feiern dürfen, wohingegen die Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen ab sofort eine FFP2-Maske tragen sollen."

Nach Ansicht von Boris Strehle und Wolfgang Wasel, Sprecher des "Netzwerks Alter und Pflege" im Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ist eine Maskenpflicht in den Alten- und Pflegeheimen "schlichtweg nicht umsetzbar". Es sei einfach nicht möglich, die älteren Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften zum Maskentragen zu verpflichten.

Caritas: Umsetzbarkeit in der Pflege fraglich

"Insbesondere für Demenzerkrankte ist eine Maskenpflicht oft nicht nachvollziehbar", erklärte Eva-Maria Bolay, die Pressesprecherin des Caritasverbandes Rottenburg-Stuttgart auf Nachfrage des SWR. Ein weiteres Problem sei in dem Zusammenhang auch die Durchsetzbarkeit der Maskenpflicht. "Was soll das Pflegepersonal denn tun, wenn eine demenzkranke Person die Maske immer wieder entfernt?", fragt Bolay. Das Gesetz sei am Schreibtisch entworfen worden, meint die Pressesprecherin.

"Die Autoren haben dabei die Lebensrealität in der Pflege offensichtlich nicht vor Augen gehabt."

Laut Strehle und Wasel werde die Maskenpflicht vor allem in der Tagespflege zum "Spießrutenlauf". Dort müssten pflegebedürftige Menschen die Maske laut Gesetz den kompletten Tag - bis zu neun oder zehn Stunden - aufbehalten, Essenszeiten ausgenommen. Auch während der gemeinsamen Mittagsruhe in einem dafür vorgesehen Raum sei die Maske zu tragen, "und das halten wir für schlichtweg außerhalb jeder Realität", so Wasel und Strehle. Im Netzwerk "Alter und Pflege" haben sich 74 katholische Anbieter von stationärer und ambulanter Hilfe in der Diözese Rottenburg-Stuttgart zusammengeschlossen.

Ein Pfleger eines Pflegeheims schiebt eine Bewohnerin mit einem Rollstuhl. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/Tom Weller/dpa)
Die evangelische Heimstiftung sieht in dem Gesetz eine Verschärfung der Arbeitsbedingungen in der Pflege (Archivbild).

Auch Kritik an Maskenpflicht für Beschäftigte

Auch die Evangelische Heimstiftung hat das Covid-19-Schutzgesetz schwer kritisiert. "Es ist mir völlig unbegreiflich, wie ein so grottenschlechtes Gesetz Bundestag und Bundesrat passieren konnte", lässt sich Bernhard Schneider, der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, in einer Pressemitteilung zitieren. „Insbesondere die Maskenpflicht für Bewohnerinnen, Bewohner und Mitarbeitende ist mehr als eine Zumutung“, findet Schneider. Die FFP2-Maskenpflicht bedeute eine Verschärfung der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte - obwohl diese einen überdurchschnittlichen Immunitätsstatus haben und sich regelmäßig testeten.

Ähnlich äußerte sich auch Ursel Wolfgramm vom "Paritätischen" zur Maskenpflicht für Beschäftigte in der Pflege. Sie sprach sich gegenüber dem SWR für eine Rückkehr zur Pflicht zum Tragen medizinischer Masken aus. In der Behindertenhilfe könne die Maskenpflicht nach ihrer Ansicht vollständig aufgehoben werden, "denn wer Hilfe im Alltag benötigt, gehört deshalb nicht automatisch zu den vulnerablen Gruppen", so Wolfgramm.

Ausdrücklich gegen die Abschaffung der Maskenpflicht für Beschäftigte in der Pflege positionierte sich der Caritasverband. "Die im Caritasverband zusammengeschlossenen katholischen Träger halten es nicht für erforderlich, auch die Belegschaft in Alten- und Pflegeheimen von der Maskenpflicht zu befreien", schreibt Pressesprecherin Bolay. Die Maskenpflicht biete einen zusätzlichen Schutz sowohl für die Bewohnerinnen und Bewohner als auch für das Personal.

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