Manuel Keppler schließt seine Augen, legt die Hände auf den Bauch und atmet tief ein und wieder aus. Er sitzt am Schreibtisch in seiner Wohnung in Wiernsheim im Enzkreis. Vor ihm sein Laptop, aus dem eine ruhige Stimme die Atemübung Schritt für Schritt erklärt. Manuel Keppler schwitzt leicht an der Stirn. Die Übung strengt ihn an, wie er selbst sagt. Er hat generell Mühe, sich zu konzentrieren.
Die Atemübung ist Teil der ambulanten und digitalen Gruppentherapie, an der der 43-Jährige teilnimmt. Sie wurde vom SRH-Klinikum in Karlsbad-Langensteinbach (Landkreis Karlsruhe) entwickelt. Für Patienten mit Müdigkeit, der sogenannten Fatigue, und kognitiven Störungen nach einer Corona-Erkrankung ist das Programm gedacht.
Corona-Erkrankung mit Folgen
Die Leidensgeschichte von Manuel Keppler begann im Juni, als er das erste Mal an Corona erkrankte. Die Infektion traf ihn hart und das, obwohl er dreimal geimpft war. Der 43-Jährige fiel bei der Arbeit monatelang aus. Auch Wochen nach der Infektion fühlte er sich immer wieder müde und kämpfte mit Schwindel und Aufmerksamkeitsproblemen. Im Herbst dann die Diagnose: Post-Covid.
Gruppentherapie für Post-Covid Patienten mit Fatigue und kognitiven Störungen
Nach längerer Suche erfuhr Manuel Keppler über seinen Hausarzt von der Gruppentherapie in Karlsbad-Langensteinbach. Die Therapie wurde unter der Leitung von Matthias Weisbrod entwickelt, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der SRH-Klinik. Seiner Schätzung nach kämpft jeder zweite Long-Covid- oder Post-Covid-Patient mit kognitiven Störungen, oft auch in Verbindung mit dem Fatigue-Syndrom. Genau darauf ist die Gruppentherapie zugeschnitten. Ziel ist es dabei nicht, die Patienten zu heilen. "Damit würden wir etwas versprechen, was wir nicht halten können", so Weisbrod. Die Therapie soll den Umgang mit der Erkrankung verbessern.
Das SRH-Klinikum beschäftigt sich seit Monaten mit den Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen. Im Frühjahr 2021 wurde am Klinikum eine Long-Covid-Ambulanz eröffnet. Patientinnen und Patienten mit lang anhaltenden Symptomen können sich dort seitdem ausführlich diagnostizieren lassen. Mit den ersten Erfahrungen durch die Diagnostik kam dann die Idee, eine Therapie für die Betroffenen zu entwickeln.
Finanzielle Unterstützung kommt von der privaten Hans-Ruland-Stiftung aus Bad Herrenalb, die für die Ambulanz und die Entwicklung der ambulanten Gruppentherapie bisher rund 66.000 Euro zur Verfügung gestellt hat, so die Vorsitzende der Stiftung Brigitte Ruland-Mollien. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen für die Gruppentherapie also nichts bezahlen, weil die Kosten von 400 bis 600 Euro pro Patient von der Stiftung getragen werden.
Unterschied zu stationärer Reha: Kosten und Aufwand sind geringer
Die Gruppentherapie ist für eine Größe von bis zu acht Patienten ausgelegt. Manuel Keppler und seine Mitstreiter schalten sich einmal pro Woche digital für eineinhalb Stunden zusammen. Insgesamt gibt es acht Sitzungen. Der Aufwand für die Patienten und auch die Kosten für die Leistungsträger seien damit geringer als bei einer stationären Reha, so Weisbrod. Trotzdem sieht er die Therapie nicht als Konkurrenzangebot. Diese könne sogar in eine Reha integriert werden.
Jede Woche ein anderes Thema
In jeder Sitzung wechselt das Thema. Die Patienten lernen zum Beispiel, wie sie Überbelastungen vermeiden können, das sogenannte Pacing. Aber auch über kognitive Fähigkeiten, Atmung, Schlaf und Sport wird ausführlich gesprochen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer führen ein digitales Tagebuch. Dort halten sie fest, was sie Tag für Tag machen und wie sehr sie die Tätigkeiten anstrengen. Betreut werden sie von der Psychotherapeutin Anne Drengner, die durch das Programm führt, theoretischen Input gibt und Übungen vorstellt.
"Das Konzept funktioniert gut", findet Drengner. Und auch Manuel Keppler ist zufrieden: "Der Umgang mit meinen Symptomen ist besser geworden." Der Austausch mit den anderen Patienten sei ihm extrem wichtig. Seit dem 1. Dezember ist er wieder zurück bei der Arbeit als Gremienmanager einer großen Krankenkasse. Aktuell arbeitet er zwei Stunden am Tag. "Das hört sich wie ein Klacks an, aber es ist genug", sagt Keppler. Im Homeoffice komme er schon wieder ganz gut zurecht, weil er sich dann auf eine Sache konzentrieren kann. Die Fahrt ins Büro nach Stuttgart und die vielen Geräusche im Büro bereiten ihm aber noch Probleme, gibt er zu.
Studie zur Wirksamkeit läuft noch - Gruppen auch in Heidelberg und Konstanz
Die rund 40 Patienten, die bisher an der Gruppentherapie teilgenommen haben, sind nach Angaben von Matthias Weisbrod zufrieden. Patientenbefragungen zur Durchführbarkeit hätten gute Ergebnisse gebracht. Die Studie zur Wirksamkeit läuft aber noch. Ergebnisse werden im Sommer 2023 erwartet. Matthias Weisbrod und Anne Drenger sind zuversichtlich, dass eine Wirksamkeit nachgewiesen werden wird.
Dank guter Kontakte zu anderen Kliniken, wird die Gruppentherapie auch am Uniklinikum Heidelberg und in Konstanz angeboten. Und auch in Wien soll demnächst eine Gruppe starten. Mittelfristig soll die Therapie nicht nur in Kliniken, sondern auch im niedergelassenen Bereich von verschiedenen Therapeuten angeboten werden können. Dann soll auch die Finanzierung durch die Krankenkassen geklärt sein. Dass die Therapie im niedergelassenen Bereich funktionieren kann, zeigt Anne Drengner. Die Physiotherapeutin und Diplom-Psychologin hat eine eigene Praxis in Wörth am Rhein.
Viele Post-Covid-Patienten stehen monatelang auf der Warteliste
Patientinnen und Patienten, die für die Therapie in Frage kommen, müssen sich aber gedulden. Alleine in Karlsbad stehen 60 Patienten auf der Warteliste, weitere 100 könnten bald hinzukommen. Eine von ihnen ist Katja Diefenbacher aus Karlsruhe. Die dreifache Mutter leidet seit dem Frühsommer an Post-Covid und ist nach wie vor krankgeschrieben.
Die Assistenzärztin hat sich auch bei anderen Therapieangeboten auf die Warteliste setzen lassen. "Sechs Monate Wartezeit sind eigentlich die Regel", sagt die 38-Jährige. Teilweise hätten Kliniken nicht einmal ihre Anmeldung bestätigt.
Statt zu warten, hat sich Katja Diefenbacher mithilfe ihrer Hausärztin selber Ergotherapie, Physiotherapie und andere Behandlungen organisiert, die auch von der Krankenkasse übernommen werden. Dass sie selbst Ärztin ist, habe ihr dabei geholfen. Für alle Patientinnen und Patienten, die diesen beruflichen Vorteil nicht haben, wünscht sie sich aber mehr Unterstützung durch die Hausärzte, beispielsweise bei der Diagnose von Long- und Post-Covid.