Der Ulmer Sportmediziner Jürgen Steinacker ist Mitautor einer breit angelegten Studie zu Long Covid. Wir haben mit dem Professor und Leiter der Klinik für Sportmedizin an der Uniklinik Ulm gesprochen. Seine Einschätzung: Es gibt gute Ansätze in der Erforschung dieser Krankheit, aber sie kann ein massives Problem darstellen.
- Die Bedeutung des Tragens einer Maske
- Wie massiv ist das Problem Long Covid?
- Warum es so schwierig ist, eine passende Long Covid Therapie zu finden
- Wie sind die Heilungschancen bei Long Covid?
- Warum der Anteil von Frauen bei Long Covid etwas höher ist
- Ärztinnen und Ärzte müssen Long Covid anerkennen
- Wie man das Risiko verringern kann, an Long Covid zu erkranken
SWR Aktuell: Das Sozialministerium schätzt die Zahl der Long Covid-Erkrankten in Baden-Württemberg allein auf rund 70.000. Wäre es da nicht sinnvoll, nach wie vor Maske zu tragen?
Professor Jürgen Steinacker: Long Covid oder Post Covid ist keine infektiöse Erkrankung, sondern eine Erkrankung, die nach der Akut-Erkrankung auftritt. Typischerweise haben diese Menschen oft eine ganz milden Verlauf der Akuterkrankung. Wenn die abheilt, dann tritt nach einigen Tagen, Wochen, Monaten eine weitere Erkrankung auf, die wir Post Covid oder Long Covid nennen. Es tritt typischerweise einen Monat nach der Erkrankung auf. Und es hat eben nichts mit Infektionen zu tun, sondern es ist eine Folge der Infektion.
SWR Aktuell: Aber was bedeutet das für das Tragen einer Maske? Wenn man die Akut-Erkrankungen durch Maske reduzieren kann, würde man ja auch Long Covid reduzieren, oder?
Steinacker: Ja, das ist sehr richtig. Vor allem Menschen, die schon einmal auf Covid nicht gut reagiert haben oder hinterher müde waren, sollten sehr vorsichtig sein, weil sie häufig schneller wieder erkranken. Das heißt, wenn es geht, im Zug, bei Veranstaltungen, im Flugzeug einfach Maske tragen! Das ist ein wichtiges Vorbeugemittel. Wir rechnen im Moment damit, dass von denen, die jetzt an Omikron- und neuen Varianten erkrankt sind, ungefähr ein Prozent Long Covid bekommen. Bei den ersten Varianten, also Alpha und Delta, haben bis zu zehn Prozent Long Covid gehabt. Jetzt wird es weniger. Aber wir haben sehr viel mehr Erkrankte.
SWR Aktuell: Was bedeutet das für unsere Gesellschaft, für unser Gesundheitssystem? Können wir damit umgehen? Oder würden Sie sagen, da ist Alarmstufe Rot?
Steinacker: Da ist hohe Alarmstufe geboten. Wir haben ja durch die Landesregierung ein schnelles Forschungsprogramm gehabt, in dem wir mit den Gesundheitsämtern Patienten angeschrieben haben, die alle positiv gemeldet waren. Und es haben knapp 12.000 geantwortet. Und da sind 20 Prozent immer noch nach sechs bis zwölf Monaten nur eingeschränkt belastbar. Und zehn Prozent sind krankgeschrieben. Das heißt, es ist ein massives Problem. Die Menschen fühlen sich oft verkannt in ihrer Erkrankung. Das waren meistens gesunde Leute. Und sie werden massiv getroffen durch diese Erkrankung.
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SWR Aktuell: Wieso ist es denn so schwierig, eine passende Therapie zu finden für die Long Covid-Patienten?
Steinacker: Diese Erkrankungen sind komplex. Sie treffen mehrere Organsysteme. Wir haben bei der Akuterkrankung ein Risiko, dass die Lunge erkrankt oder das Herz. Bei Long Covid weiß man mittlerweile, dass Herz- und Lungenbeteiligungen sehr selten sind. Die normale Organabklärung durch den Kardiologen, durch den Lungenfacharzt, durch den Endokrinologen erbringt zuerst mal gar nicht so schlimme Befunde. Das sind Einzelbefunde. Aber die Summe dieser Einzelbefunde macht dann das Post Covid-, Long Covid-Syndrom aus. Und da ist dann der Organspezialist überfordert. Und deswegen sind solche Querschnittsfächer, wie jetzt hier die Sportmedizin oder Infektiologie, das sind die, die den gesamten Menschen beurteilen. Und dann sehen wir, was ist denn erkrankt.
SWR Aktuell: Ist Long Covid eigentlich heilbar? Oder müssen Sie den Leuten sagen, damit müssen Sie bis an ihr Lebensende klarkommen?
Steinacker: Also einmal wissen wir, nach der Erkrankung an Covid muss man sich etwas schonen. Man kann sich nur so viel belasten, wie es eben geht und muss also akzeptieren, dass man etwas müder ist. Und man muss sich vitaminreich ernähren, mit Vitamin C, Vitamin D, Vitamin E, Früchten, Gemüse und Omega-3-Fettsäuren, also Olivenöl, Leinöl, Milchfett ist auch gut. Wenn man sich vernünftig ernährt und ein bisschen auf den Körper Rücksicht nimmt, dann gibt es eine gute Chance, dass es besser wird. Aber nach drei Monaten gibt es immer noch viele, bei denen es nicht besser wird. Und da sind wir im Moment dran, Therapien und Behandlungsmöglichkeiten zu finden. Aber unser Grundproblem ist, dass viele Ärzte sich überfordert fühlen. Und natürlich auch viele Angehörige, weil jemand, der vollkommen gesund war, liegt plötzlich rum und kann nichts mehr tun. Also, ich hab junge Mädchen, 17, 18 Jahre, die seit einem Jahr im Bett liegen. Und das ist natürlich schon dramatisch.
SWR Aktuell: Stimmt es, dass junge Frauen überrepräsentiert bei Long Covid? Und haben Sie eine Idee, warum das so sein könnte?
Steinacker: Ja, das ist so. Wir haben sozusagen eine Risikogruppe der jungen Frauen, die leistungsfähig sind. Bei Männern ist es seltener. Die Gründe dürften in den Genen liegen. Das heißt die Gene der Frau sind etwas anders als die des Mannes, und das kann eine Rolle spielen.
SWR Aktuell: Müssen da auch viele Ärzte passen? Denn viele Patientinnen und Patienten klagen ja, dass sie keinen Arzt finden, der damit umgehen kann.
Steinacker: Das ist eine komplizierte Erkrankung. Wir haben schon gute Ideen, wieso Menschen so krank werden. Aber wir haben natürlich noch keine komplette Theorie. Da forschen wir in Ulm dran. Wir haben diesen Forschungsverbund der Landesregierung. Das heißt, wir lernen jeden Tag dazu. Wichtig ist für den normalen Arzt, dass er die Krankheit erst einmal anerkennt. Dass, wenn der Patient kommt und sagt, ich bin müde und wenig leistungsfähig, dass der Arzt das nicht in die psychiatrische Ecke schiebt. Ich sehe sehr häufig, dass Ärzte sagen: Dann sind Sie depressiv. Dann nehmen Sie Antidepressivum. Das hilft nicht! Wir wissen, dass Kortison nicht hilft, also Standardmedikamente häufig nicht helfen. Es bedarf Geduld und Verständnis. Und das ist manchmal sehr schwer zu verstehen, dass wir ein Krankheitsbild haben, das junge Leute sehr stark in ihrer Aktivität reduziert, bis hin, dass die Schule nicht mehr möglich ist, dass man arbeitsunfähig geschrieben ist. Das muss der Arzt akzeptieren, dass er hier keine Fünf-Tage-Erkrankung hat.
SWR Aktuell: Wie kann man denn das Risiko reduzieren, an Long Covid zu erkranken?
Steinacker: Wichtig ist vor allem eine vitaminreiche und vielseitige Ernährung. Und man darf sich nach so einer Infektion nicht überfordern. Rigorose Anstrengungen funktionieren oft nicht. Ein Frühzeichen ist, das am Tag nach einer Belastung die Leistung absinkt. Das heißt, man kann zwar eine Anstrengung, zum Beispiel eine berufliche Anstrengung, sehr gut bewältigen. Sogar beim Arzt kann man einen Belastungstest gut machen, ist aber dann die Tage danach krank. Das kann bis zu Wochen dauern. Und das ist ein ganz typisches Zeichen, dass es zu einem Post Covid Syndrom gekommen ist, also diese Erkrankung nach der Anstrengung. Und das kann sich potenzieren. Wenn diese frühen Zeichen da sind, dass man sich nach einer Anstrengung krank fühlt und müde, dann muss man das sehr ernst nehmen und die Belastung herunterschrauben, bis man ein Niveau findet, das man vernünftig aushalten kann. Und das kann manchmal sehr wenig sein. Ich habe Patienten, die am Anfang nur fünf Minuten spazieren gehen können. Das ist eine große Anstrengung. Aber es ist wichtig. Manche können nur mit der Wasserflasche Krafttraining machen. Das reicht dann aber auch, und dann muss man langsam aufbauen.