Angesichts lautstarker Proteste und teils aufgeheizter Stimmung in den Kommunen hat Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) vom Bund erneut schnelle Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik gefordert. "Das Gebot der Stunde ist ein rasches und entschlossenes politisches Handeln ohne ideologische Scheuklappen - sonst wird uns die aktuelle Entwicklung am Ende gesamtgesellschaftlich auf die Füße fallen", schreibt Gentges in einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). "Wir laufen Gefahr, die Menschen in unserem Land zu verlieren, und riskieren unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt", warnt Gentges, die für die Flüchtlingspolitik im Land zuständig ist, weiter.
Brief an Rathauschefs Flüchtlingsunterkünfte gesucht: BW-Ministerin appelliert an Kommunen
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Baden-Württemberg. Das Land sucht händeringend Standorte für Erstaufnahmeeinrichtungen. Aber es gibt viel Widerstand in den Kommunen.
Protest: Killer will keine Flüchtlingsunterkunft
Zuletzt hatten Szenen einer Informationsveranstaltung im Burladinger Ortsteil Killer (Zollernalbkreis) für Schlagzeilen gesorgt. Dort war Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) nach eigenen Angaben Mitte Juli ausgebuht und niedergebrüllt worden. "Dies ist eine Erfahrung, die exemplarisch für zunehmend ähnliche Erlebnisse anderer kommunaler Mandats- und Entscheidungsträger steht", heißt es in Gentges Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Der Zollernalbkreis will in einem früheren Gasthof in Killer eine Unterkunft für bis rund 30 bis 35 Asylbewerberinnen und -bewerber einrichten. Das stößt auf Proteste in dem Dorf mit knapp 600 Einwohnerinnen und Einwohnern, das bereits eine Flüchtlingsunterkunft hat. Durch fehlenden bezahlbaren Wohnraum und eine zu geringe Zahl an Kindergartenplätzen und Lehrkräften fehlten Grundvoraussetzungen für eine gelingende Integration der geflüchteten Menschen, führt Gentges in ihrem fünfseitigen Schreiben unter anderem aus.
Nach Ansicht der CDU-Ministerin müssen die Beschlüsse des jüngsten EU-Innenministergipfels zur Flüchtlingspolitik ohne zu verwässern umgesetzt werden. Außerdem fordert Gentges Grenzkontrollen "nicht nur in Bayern, sondern an allen deutschen Grenzen, auch der schweizerischen". Ausreisepflichtige Menschen aus dem Ausland müssten konsequenter abgeschoben werden können, heißt es in dem Brief zudem.
Liste an Landrat Pauli übergeben Über 100 Unterschriften gegen Asylbewerber-Unterkunft in Killer
Nach den Protesten in Burladingen-Killer ist unklar, ob eine Unterkunft für Asylbewerber in den Ort kommen wird. Über 100 Unterschriften sind gegen das Vorhaben gesammelt worden.
Landkreistag BW fordert Aufnahmestopp
Die Landkreise in Baden-Württemberg klagen schon lange über die hohen, auch finanziellen Belastungen durch Geflüchtete und sehen die Integrationsfähigkeit vieler Kommunen am Limit. Vor zwei Wochen hat der Landkreistag BW eine Resolution dazu verabschiedet. Das Gremium fordert unter anderem einen Aufnahmestopp für Geflüchtete. Zudem löste die Resolution eine Diskussion über eine "Arbeitspflicht" für Geflüchtete aus.
In Stuttgart gab es zuletzt Diskussionen in Gemeinderat und Öffentlichkeit, nachdem die CDU im Gemeinderat angekündigt hatte, den Bau neuer Unterkünfte für Geflüchtete nicht mehr mittragen zu wollen.
Rund 28.000 Geflüchtete kamen 2022 nach BW
Nach Angaben des Migrationsministeriums kamen im vergangenen Jahr rund 28.000 Asylsuchende nach Baden-Württemberg. Das waren deutlich mehr als in den Vorjahren. Im Jahr 2021 waren gut 15.500 Geflüchtete nach Baden-Württemberg gekommen, im Jahr 2020 waren es rund 7.500 Menschen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 zählten die Behörden laut Ministerium rund 14.220 Geflüchtete.
Landeserstaufnahmestellen konstant belegt Weniger Ukraine-Geflüchtete in BW - mehr Asylbewerber aus anderen Ländern
Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine ist im ersten Halbjahr 2023 in Baden-Württemberg deutlich zurück gegangen. Dagegen steigt die Zahl der Asylbewerber aus der Türkei, Syrien und Afghanistan.
Hinzu kommen Zehntausende, die seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 Schutz in Deutschland suchen - vor allem Frauen und Kinder. Sie müssen keinen Asylantrag stellen. Laut Expertise ist es viel einfacher für die Menschen aus der Ukraine, privaten Wohnraum zu finden als für andere Flüchtlinge.