Kommentar

Vergessene Komponistinnen: Wer erntet die Lorbeeren für die Aufklärungsarbeit?

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Autor/in
Hannah Schmidt
Hannah Schmidt

In den sozialen Medien wird über Arno Lückers Buch „250 Komponistinnen“ gestritten. Der Vorwurf: Lücker kennzeichne seine Quellen zu wenig und mache damit gerade die Arbeit von Forscherinnen unsichtbar. Denn vor allem Frauen arbeiten seit Jahrzehnten an der Wiederentdeckung von Komponistinnen, die von der Musikgeschichte vergessen wurden. Ein Kommentar von Hannah Schmidt.

Missachtet Arno Lückers Komponistinnen-Buch die Vorarbeit von Forscherinnen?

Eine Userin der Plattform X, vormals Twitter, macht ihrem Unmut Luft: „Da hat ein Mann die mühselige Vorarbeit anderer (vermutlich engagierter Frauen) abgegriffen und holt sich jetzt die Lorbeeren ab.“

Genau das dachte ich, als ich neulich im #DLFKultur ein Interview mit dem Autor hörte: Da hat ein Mann die mühselige Vorarbeit anderer (vermutlich engagierter Frauen) abgegriffen und holt sich jetzt die Lorbeeren ab.Immerhin hat er dich und deine Zuarbeitet dankend erwähnt.

Es geht um das Buch „250 Komponistinnen“, das der Journalist Arno Lücker im November vergangenen Jahres veröffentlicht hat. „Immerhin“, schreibt die Userin weiter, erwähnt er im Vorwort dankend die Namen der Wissenschaftlerinnen, die ihm dabei geholfen haben.

Männer geraten schneller ins Rampenlicht

Es ist eine alte und manchmal heikle Diskussion. Kurz erklärt anhand eines Beispiels: Seit Jahrhunderten kämpfen Frauen gegen patriarchale Unterdrückung, sie schreiben, forschen, demonstrieren, schaffen Kunst – und fliegen doch mit all dem stetig unterm Radar, nicht selten unter prekären Bedingungen oder gänzlich unbezahlt.

Dann kommt ein Mann daher, findet diesen Schatz an Wissen, schreibt einen Text darüber – und steht auf einmal im Rampenlicht. Alle hören ihm zu. Sie klatschen, bezahlen ihn stattlich für Vorträge und Diskussionen. Sie staunen. Was für spektakuläre Gedanken! Ein Pionier!

So läuft es leider allzu oft und macht nicht zu unrecht diejenigen wütend, die missachtet daneben stehen.

Verinnerlichte Frauenfeindlichkeit wirkt in uns allen

Dieser fiktive Mann in diesem Beispiel nennt seine Quellen nicht. Er macht die Arbeit der Frauen unsichtbar und profitiert dadurch von dem System, das er als vermeintlich Verbündeter zu bekämpfen vorgibt. Er stärkt das Patriarchat statt es zu schwächen.

Oft genug lassen sich auch bei Rezipientinnen und Rezipienten entsprechende Reflexe feststellen, ganz oft unbewusst, im Sinne von: „Kann es mir bitte nochmal ein Mann erklären?“ Denn Männern wird mehr Kompetenz zugesprochen als Frauen. Das ist keine Mär, sondern wissenschaftlich erwiesen. Internalisierte Misogynie, verinnerlichte Frauenfeindlichkeit, wirkt in uns allen. Ja, auch in mir.

„250 Komponistinnen“: Hilfe oder Teil des Problems?

Zurück zum Fall „250 Komponistinnen“: Ab wann ist ein Buch wie dieses eine Hilfe – und ab wann Teil des Problems? Man kann feststellen: Hier hat sich der Autor seines Privilegs, seines Wissens und seiner Fähigkeiten bedient, um eine Bühne zu schaffen, für mehr und weniger vergessene Komponistinnen.

Durch Aufmachung und Stil erreicht er möglicherweise ein neues Publikum für das Thema. Er bedankt sich im Vorwort namentlich bei jeder einzelnen Person und Institution, die ihm dabei geholfen hat. Sein Quellenverzeichnis allerdings lässt vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Standards zu wünschen übrig: Die allermeisten Verweise sind nackte Links ohne Abrufdatum und, viel wichtiger, ohne irgendeinen Hinweis auf den Namen des Urhebers oder der Urheberin der entsprechenden Texte.

Und darüber hinaus? Journalistische Medien haben in Rezensionen bereits wiederholt suggeriert, es sei das erste Buch zu diesem Thema. Das ist schlicht falsch. Seit 50 Jahren gibt es fundierte Forschung in diesem Bereich – von Frauen.

Es braucht Bewusstsein dafür, wann die Bühne freigegeben werden muss

Was schließen wir nun daraus? Solange eine privilegierte Person die Arbeit Marginalisierter nicht zum eigenen Vorteil ausnutzt, sondern mit der nötigen Reflexion ihren Kampf um Gleichberechtigung ehrlich unterstützt, dann ist das gut!

Wenn die Person ein Bewusstsein dafür entwickelt, wieviel Raum sie einnimmt und wann es Zeit ist, die Bühne auch wieder freizugeben – dann ist es genau das, was wir brauchen, und wovon es mehr braucht. Es wäre schlimm, wenn Diskriminierte, wie schon viel zu oft, die ganze Arbeit allein machen müssten.

Genauso wichtig ist es aber, stets die Augen offen zu halten und, zum Beispiel im Fall der Rezensionen, im gegebenen Moment auf die bereits existierende Arbeit hinzuweisen – damit sie nicht übertönt oder gänzlich unsichtbar gemacht wird.

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