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Norman Ohler – Der stärkste Stoff. Psychedelische Drogen: Waffe, Rauschmittel, Medikament

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AUTOR/IN
Oliver Pfohlmann

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1943 durch Zufall entdeckt, sollte es nach dem Krieg verletzte Seelen heilen. Stattdessen wurde LSD als Waffe im Kalten Krieg missbraucht, als Wundermittel zur Bewusstseinserweiterung gehypt oder als gefährliche Droge verteufelt. Norman Ohler rekonstruiert, warum „Der stärkste Stoff“ erst heute als Medikament wiederentdeckt wird.

Warum kann man LSD nicht ganz normal in Apotheken bekommen? Das ist die Frage, der Norman Ohler in seinem Buch über psychedelische Drogen nachgeht. Denn die lange Zeit naheliegende Antwort „Weil es eine gefährliche Droge ist!“ ziehe heute längst nicht mehr – und das nicht nur, weil diese Substanz nachgewiesenermaßen weder süchtig mache noch körperlich schädlich sei. Sondern weil man laut Ohler inzwischen weiß, wie wirkungsvoll Halluzinogene wie LSD oder Psilocybin die Plastizität unserer Gehirnzellen stimulieren können.

Therapeutische Verwendung von LSD

Erst seit zehn, fünfzehn Jahren werden auf der ganzen Welt die therapeutischen Verwendungsmöglichkeiten von Psychedelika ausgelotet, mit erstaunlichen Ergebnissen, ob es um Angststörungen, Depressionen, Traumabehandlung oder Demenz geht. Und als Medikament war LSD anfangs ja auch gedacht; in den USA stand es 1950 sogar vor seiner Zulassung, erinnert Ohler.

Nur dass es dann gleich zwei Kriegen zum Opfer gefallen sei: erst dem Kalten Krieg, bei dem sich die CIA den Alleinzugang zu einer potenziellen „Wahrheitsdroge“ sichern wollte. Dann Präsident Nixons „War on Drugs“, der, wie ein Präsidentenberater später eingestand, letztlich vor allem auf pazifistische Hippies und Schwarze abzielte. Die Folgen waren ein weltweites Totalverbot von Psychedelika, auch in der medizinischen Forschung. Und, natürlich, ein florierender Schwarzmarkt.

Vor acht Jahren landete Norman Ohler mit „Der totale Rausch“, einem Buch über Drogen im Dritten Reich, einen Bestseller; von daher ist ein Folgebuch über Psychedelika naheliegend. Schon historisch:  LSD als Abkömmling des Mutterkorn-Pilzes wurde 1943 von dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt, und es sei durchaus denkbar, so Ohler, dass Nazi-Ärzte KZ-Häftlingen neben anderen Drogen auch erste LSD-Proben verabreichten.

Hofmann arbeitete für den Schweizer Pharmariesen Sandoz, und dessen Chef Albert Stoll stand in regem Austausch mit dem Nazi-Chemiker Richard Kuhn. Ohlers Recherchen im Sandoz-Firmenarchiv, nacherzählt in reportageähnlichen Passagen, gehören zu den spannendsten Partien seines neuen Buches, auch weil sie zeigen, warum Sandoz damals überhaupt an dem Pflanzenparasiten Mutterkorn forschte und warum Hofmanns Entdeckung seinerzeit viel weniger zufällig war, als von dem legendären Chemiker bis zu seinem Tod stets behauptet wurde.

LSD im Kalten Krieg

Bei Kriegsende wurden die Amerikaner auf LSD aufmerksam. Während Sandoz die Vermarktung seiner Entdeckung anstrebte, hatte man bei der CIA Angst, die Sowjets könnten LSD einsetzen, um amerikanische Agenten „umzudrehen“. Die Paranoia der Kalten Krieger habe bei der CIA der frühen Fünfziger zu aberwitzigen Szenen geführt, erinnert Ohler.

MKULTRA hieß ein streng geheimes CIA-Programm zur Bewusstseinskontrolle, bei dem man herausfinden wollte, wie altgediente Geheimdienstler unter Drogen reagierten. Weshalb diese LSD ohne ihr Wissen im Morgenkaffee verabreicht bekamen; mindestens ein betroffener Agent beging später Suizid. Oder wurde zum Schweigen gebracht, wie Verschwörungserzähler raunen.

Spätestens hier gerät Ohlers erhellende und gut lesbare Darstellung etwas aus der Balance, liefert der Autor zu viele historische Anekdoten und zu wenig aktuelle Entwicklungen. Anstelle eines Kapitels über den bizarren Besuch des tablettensüchtigen Elvis Presley als eingebildeter Undercoverdrogenpolizist im Weißen Haus hätte man lieber noch mehr über all die derzeitigen Forschungen mit diesen Substanzen gelesen, gern auch in Form von Gesprächen mit Versuchspersonen.

LSD bei Demenz

Für Norman Ohler ist der bisherige Forschungsstand aber immerhin so vielversprechend, dass er seiner dementen Mutter inzwischen LSD in Eigenregie verabreicht, mit deren Einverständnis natürlich. Auf dem Schwarzmarkt erstanden und in quasi-homoöpathischer Mikrodosierung.

Ihre Lethargie sei an ihren „Tropfentagen“ wie weggeblasen, so Ohler, plötzlich spreche sie wieder in ganzen Sätzen. Dazu kann man der Familie nur gratulieren - aber zur Nachahmung empfehlen möchte man es denn doch nicht. Nicht, so lange es LSD nicht wirklich in der Apotheke gibt.

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Oliver Pfohlmann