Gespräch

Naika Foroutan und ihr Buch ,,Es wäre einmal deutsch". Migration als ambivalentes Auf und Ab

Stand
INTERVIEW
Martin Gramlich

Wie in einem Spiegel zeigt das neue Buch der Integrationsexpertin Naika Foroutan den Wandel, den Deutschland seit 2010 bei den Themen Migration und Integration erlebt hat. Ihre Essay-Sammlung ,,Es wäre einmal deutsch" verdeutlicht: Die Entwicklung geht nicht in Stufen vor- und aufwärts, sondern sie ist durch Rückschritte und Konflikte geprägt.

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Wandlung zu einer postmigrantischen Gesellschaft

Deutschland hat sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten vom „Einwanderungsland wider Willen" zu einer post-migrantischen Gesellschaft gewandelt, meint Naika Foroutan im Gespräch mit SWR2.

Die Professorin an der Berliner Humboldt-Uni warnt dabei vor dem Missverständnis, dass es dabei ständig Fortschritte gebe: „Bei vielen Menschen ist der Eindruck, das ist ein linearer Prozess. Man geht von Treppenstufe zu Treppenstufe weiter - aber das ist nicht so."

Rückschlag durch Sarrazin-Debatte

Als Wendepunkt sieht Foroutan den Bericht der Süßmuth-Kommission aus dem Jahr 2001, in dem festgestellt wurde: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Populäre Autoren wie Thilo Sarrazin hätten später nochmals diese Tatsache bezweifelt und gegen Migration gekämpft.

„,Sarrazin war ein Pushback", sagt Foroutan. Aber seit 2015/16 stelle niemand mehr die Fakten in Frage. „Es mag sein, dass viele Menschen das nicht mögen, aber dass es infrage gestellt wird, das steht nicht mehr zur Debatte", so Foroutan.

Mit ihrem Buch wolle sie auch auf das Potenzial Deutschlands bei Integration und Migration hinweisen, erklärt Foroutan. Statistisch gesehen sei Deutschland längst eines der dynamischsten Länder bei der Einwanderung und in absoluten Zahlen hinter den USA inzwischen weltweit die Nummer 2.

Die Prognose: Es wird konflikthaft

Die Menschen verstünden auch, dass es ohne Migration nicht mehr gehe, ist Foroutan überzeugt. „Gleichzeitig gibt es eine hohe Migrationsmüdigkeit", stellt sie fest: „Das wird das nächste Jahrzehnt prägen."

Ihre Schlussfolgerung zum Geschehen in der Migrationspolitik: ,,Es ist nicht linear, es ist konflikthaft und von Ambivalenz geprägt."

Naika Foroutan, geboren 1971, ist Sozialwissenschaftlerin und Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie leitet dort das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).

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