Buchkritik

Henry Gee – Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens

Stand
AUTOR/IN
Thomas Moser

Wie im Zeitraffer durcheilt der britische Paläontologe Henry Gee fünf Milliarden Jahre Naturgeschichte. Was ist eigentlich Leben? Auch um diese - gar nicht leicht zu beantwortende - Frage geht es in diesem spannenden Buch, das auch einen Blick in die Zukunft wagt.

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Das Zeitmaß des Universums und seinen vielen komplexen chemischen und physischen Prozessen bemisst sich in Milliarden Jahren. Die Maßeinheit für die Entwicklung des Lebens auf dem Planeten Erde ist immer noch Millionen Jahre. Der Mensch brauchte immerhin hunderttausende von Jahren, um zum derzeitigen Modell, dem Homo Sapiens zu werden. Ein Zeitrahmen, den man im Hinterkopf haben muss, wenn man sich durch das Buch des britischen Paläontologen und Evolutionsbiologen Henry Gee liest. Vor allem, da die Geschichte des Lebens, gemessen an der Geschichte des Universums, in den Augen ihres Betrachters ja "sehr kurz" ist.

Obwohl er – erdgeschichtlich betrachtet – erst relativ spät auf der Bildfläche erscheint, ist der Mensch für Henry Gee von "außergewöhnlichem" Interesse. Nicht, weil es sich um unsere eigene Spezies handelt, sondern weil der Mensch das erste Lebewesen ist, das sich seiner Existenz bewusst ist und die erdgeschichtlichen Prozesse und Zusammenhänge, die weit hinter ihm liegen, begonnen hat zu entschlüsseln.

Was Gee in seinem Buch beschreibt, ist ein ewiger Krieg zwischen Materie und Leben. Die Natur sei "auf Krawall gebürstet". Es kam wiederholt zu Massensterben und Neuanfängen von Leben. Eiszeiten und Warmzeiten wechseln sich ab, wofür es mehrere Ursachen gibt. Zum Beispiel die Bahn der Erde um die Sonne, die nicht immer gleich ist, sondern in 100 000 Jahren um fast 60 Millionen Kilometer variiert. Entsprechend wird das Klima heißer oder kälter.

Oder die Plattentektonik auf der Erde, die Gebirge wachsen oder Ozeane entstehen und verschwinden lässt. Die Insel Antarktis und ihr ewiges Eis ist ein solches Produkt der Kontinentaldrift.

Die langen Eiszeiten zwangen die winzigen Lebensformen zu Kooperation und zur Entwicklung komplexerer, widerstandsfähigerer Organismen. – Steigender Nahrungsmittelbedarf brachte die Tiere dazu, sich gegenseitig aufzufressen. Das wiederum sorgte dafür, dass sie sich in Bewegung setzten: Entweder um Beute zu jagen, oder um vor einem Jäger zu fliehen. Und das führte zu Veränderungen des Körpers und Skeletts sowie zu einem Instrumentarium an Sinnen inklusive einem zentral steuernden Gehirn.

Eiszeiten banden Wasser, wodurch Landmasse frei wurde, was Tieren den Schritt aus dem Meer ermöglichte. Doch es war eine "lange Reise aufs Land", so Gee, die ebenfalls viele Millionen Jahre dauerte.

Dabei kam es zu einem revolutionären Entwicklungsschritt: Dem Ei mit fester Schale. Der Nachwuchs war so nicht mehr von Wasser abhängig, er hatte die Flüssigkeit, die er brauchte, im Ei bei sich.

Bei der Entwicklung jener Tierarten, zu denen die Menschen zählen, kam es in den Augen des Biologen Gee zu einem der "bemerkenswertesten, unwahrscheinlichsten und rätselhaftesten Ereignisse in der Geschichte des Lebens“: dem zweibeinigen, aufrechten Gang. Warum es zu diesem "Wunder" kam, sei noch immer ungeklärt. Jedenfalls machte der aufrechte Gang die Hände frei und ermöglichte so die Verwendung von Werkzeug und Waffen.

Dazu zählt auch die Nutzung des Feuers durch Vorfahren des Homo Sapiens. Die Ernährung wurde gesünder, weil beim Kochen und Braten Keime abgetötet werden. Stämme mit Feuer lebten länger und gesünder, Stämme ohne Feuer starben aus.

Der Planet Erde hat in seinen mehr als vier Milliarden Jahren schon Etliches durchgemacht, viele "erstaunliche Verwandlungen", so Gee. Auch mehrere Eiszeiten von Millionen Jahren Dauer. Die derzeitige Debatte um die Erderwärmung will Gee dadurch aber nicht relativieren. Selbst wenn manche Entwicklungen unaufhaltsam sind, weil so ungeheuer gewaltig, und obwohl sie schon vor dem Sapiens stattfanden als auch noch nach ihm stattfinden werden, übt der Mensch Einfluss auf die Erde aus allein aufgrund seiner Massenanzahl. Er braucht nahezu die gesamte Erde für sich als Lebensraum. Der britische Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass der Mensch deshalb in einigen Tausend Jahren selber ausgestorben ist. Und in zirka einer Milliarde Jahren werde auch alles Leben erloschen sein.

Aus dem Englischen von Alexander Weber
Hoffmann und Campe Verlag, 304 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-455-01221-7

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Thomas Moser