Platz 6 (30 Punkte)

Franz Dobler: Ein Sohn von zwei Müttern

Stand

Der Bayer Franz Dobler ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Musikexperte und DJ. Man merkt das seinen Texten an, die immer einen starken inneren Rhythmus haben. Bei Lesungen klopft Dobler diesen Rhythmus sachte auf dem Tisch vor sich mit, während er vorträgt. Auch sein neuer Roman hat viel mit Musik zu tun, aber auch mit der Geschichte der Bundesrepublik.

Doch der Reihe nach: Da sitzt also ein Mann im Flugzeug von Deutschland in Richtung New York und hat das sichere Gefühl, das Flugzeug sei in den Zeitzonen verloren gegangen. Vielleicht ist es aber auch nur ein frommer Wunsch, um das Ankommen aufzuschieben, denn der Mann ist auf dem Weg zu seiner Mutter. Zu seiner leiblichen Mutter, die er seit 30 Jahren nicht gesehen hat, denn: „Er hatte zwei Mütter. Die erste Mutter hatte ihn zur Welt gebracht und die zweite Mutter, seine Mama, hatte ihn adoptiert. Die Erste würde in New York darauf warten, ihn nach dreißig Jahren wiederzusehen, die Zweite war verstorben.“ Und wie der Mann selbst weiß, hat man die Sache mit den Müttern schon an sich nicht im Griff, selbst wenn alles normal verläuft.

Der Mann ist Schriftsteller, und diese Geschichte hatte er nie aufschreiben wollen, um sich nicht einzureihen in den Chor der autobiografischen Aufarbeitungen. Aber es muss eben doch raus: Die Erinnerung an seine Adoptiveltern, an das Aufwachsen auf dem bayerischen Land in den 1960er-Jahren, an die Hinwendung zur Musik, zum Jazz. Und an das pulsierende München der 1980er-Jahre, das ein glamouröses Freiheitsversprechen war. Eine Sozialisation zwischen Provinz und weiter Welt. Und in der Ambivalenz der Herkunft.

Stand
AUTOR/IN
SWR