Glosse

Alles wie früher auf der Leipziger Buchmesse? Mitnichten!

Stand
AUTOR/IN
Carsten Otte

Drei Tage Leipziger Buchmesse. Die Straßenbahnen zum Messegelände sind überfüllt, die Hallen gut besucht. Doch wie geht es der Buchbranche wirklich? Eine Zwischenbilanz von Literaturredakteur Carsten Otte.

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Ein schleichender Niedergang schon vor der Pandemie

Es soll alles wie früher sein. Zumindest nicht viel schlechter. Möglichst genauso viele Stände in genauso gut besuchten Messehallen mit genauso vielen Veranstaltungen.

Der wichtigste, weil ultimativ beruhigende Satz auf der Leipziger Buchmesse lautet in diesem Jahr deshalb auch: „Das ist ja wie früher.“ Die Sehnsucht nach Beständigkeit ist in der Buchbranche besonders stark ausgeprägt, auch weil es seit Jahren einen schleichenden Niedergang gibt, nicht erst seit der Pandemie.

Die Umsätze im Handel gehen kontinuierlich zurück, ständig werden ehemals stolze Kleinverlage von den großen Verlagshäusern übernommen. Mal muss ein Grossist in Deutschland ein Insolvenzverfahren anmelden, mal ist ein Buchlogistiker in Österreich bankrott.

Der gute Eindruck voller Straßenbahnen täuscht

Im Börsenblatt gibt es nahezu jede Woche Meldungen darüber, dass Buchhandlungen schließen müssen. Die Literaturkritik steht in allen Medien unter Druck, ständig werden Rezensionsplätze gestrichen. Nichts ist also wie früher.

Fast ein Fünftel weniger Aussteller sind in diesem Jahr nach Leipzig gekommen, selbst große Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine haben keinen eigenen Stand mehr. Lohnt sich nicht, sagt die Controlling-Abteilung.

Dabei könnte man in den überfüllten Straßenbahnen zum Leipziger Messegelände oder in den langen Schlangen an den Signiertischen der Stars den Eindruck haben, dass es gar nicht so schlecht aussieht in der Branche.

Leipziger Buchmesse 2023 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa)
Die Stände sind voll, doch die Messe ist gebeutelt von deutlich weniger Ausstellern als in den Vorjahren.

Non-Book wird immer prominenter

Eine Kernkompetenz von Buchmenschen besteht allerdings darin, es sich in fiktiven Welten gemütlich zu machen. Dazu gehört, dass der sogenannte Non-Book-Bereich auf der Buchmesse immer größer wird.

In einer von fünf Hallen, nämlich in der ersten, sozusagen zum freundlichen Empfang, wird gar kein Buch ausgestellt, stattdessen allerlei Merchandising-Produkte, Plüschtiere, japanisches Geschirr, kunstvoll verzierte Essstäbchen und ziemlich echt aussehende Riesenschwerter.

Die Kampfgeräte können käuflich erworben und in den nächsten Ausstellungsbereich mitgenommen werden, nämlich zur „Manga-Comic-Con“, die im Vergleich zu früher noch mehr Raum einnimmt im Messegeschehen und für den Ansturm des jüngeren Publikums sorgt.

Immerhin der Comic- und Manga-Markt darf sich über gute Zahlen freuen

Tatsächlich gäbe es die traditionellen und schrumpfenden Buchareale in Leipzig nicht mehr, wenn der ungebrochene Cosplay-Hype nicht für Zahlen sorgen würde, die entgegen dem allgemeinen Trend eben deutlich besser sind als früher.

Leipziger Buchmesse 2023 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa)
Unter die Besuchenden haben sich zahlreiche Cosplayer gemischt, die mit ihren bunten Outfits auffallen.

Unlängst bezifferte der Buchreport mit 238 Millionen Euro Umsatz einen Anstieg des Comic- und Manga-Marktes von 30 Prozent zum Vorjahr. Wie schön, dass es noch gute Nachrichten auf der Messe gibt.

Die Krise der Buchbranche ist real

Doch wer die Augen vor der realexistierenden Krise der Buchbranche nicht verschließen möchte, wird sich über derlei Zahlen nur bedingt freuen können, zumal in Fachgesprächen ständig auf die alarmierenden Studien zur mangelnden Lesekompetenz verwiesen wird.

Comic hin, Manga her – in Deutschland verlässt inzwischen jedes vierte Kind die Grundschule, ohne ausreichend lesen zu können. Was das für die Buchbranche, für die Literatur, überhaupt für die Demokratie bedeutet, ist heute noch gar nicht zu ermessen.

Wer auf der Leipziger Buchmesse, die nach drei Jahren Schließzeit wieder stattfinden kann, genau zuhört und genau hinschaut, begreift sehr wohl: Nichts ist wie früher.

„Unter Büchern“ auf der Leipziger Buchmesse: Carsten Otte im Gespräch mit Autor Nico Bleutge:

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