Oper

Grandiose sängerische Leistung: „Eugen Onegin“ am Theater Heidelberg

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig

„Lyrische Szenen“, so untertitelte Peter Tschaikowski seinen „Eugen Onegin“. Seine Adaption von Puschkins Versepos ist keine konventionelle Oper, sondern eine zwischen Lyrismus und Realismus. Es ist eine Geschichte über das Scheitern junger Menschen. Dieser „Onegin“ am Theater Heidelberg mit junger Besetzung ist einer der besten, den man derzeit erleben kann., findet SWR2 Opernkritiker Bernd Künzig.

Audio herunterladen (3,9 MB | MP3)

Eugen Onegin im Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Ipča Ramanović spielt grandios die Entwicklung von Eugen Onegin vom Sadisten zum emotional Untergehenden

„Eugen Onegin“ müsste eigentlich „Tatjana, Lenski und Onegin“ heißen.

„Tatjana, Lenski und Onegin“ – so müsste eigentlich Peter Tschaikowskis Meisterwerk heißen. Die Titelfigur Eugen Onegin ist keineswegs das alleinige Epizentrum dieser Oper. Er ist die fatale Verkörperung des Untergangs, durch die die anderen in den emotionalen Abgrund gezogen werden.

Eugen Onegin im Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Darsteller (Rolle) v.l.n.r.: Zlata Khershberg-Reith, Jaesung Kim, Chor

Sonja Trebes inszeniert klarsichtig, klug und schnörkellos

Mit dieser klarsichtigen Perspektive inszeniert Sonja Trebes klug und schnörkellos die lyrischen Szenen am Theater Heidelberg, auf einer bis auf wenige Versatzstücke und Prospekte reduzierten Bühne von Dirk Becker. Von Anfang bis zum Schluss ist Tatjanas Mutter Larina präsent. Ihr kurzer Erinnerungsdialog zu Beginn an die verpassten Lebens- und Liebeschancen sind das Leitmotiv.

Die Tochter Tatjana ist ihr exaktes Spiegelbild. Eine bebrillte Leserin, die sich in romantische Literaturträume flüchtet. Die mit beiden Beinen lustvoll in die Lebenswirklichkeit tretende und in Lenski verliebte Schwester Olga ihr Gegenteil. Zlata Khershberg-Reith singt sie mit entsprechend dunklem Fundament.

Eugen Onegin im Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Anders als ihre lebenshungrige Schwester Olga schaut Tatjana durch ihre Bücher in die Welt. Mutter Larina trauert verpassten Lebens- und Liebeschancen nach. v.l.n.r.: Ariana Lucas, Indre Pelakauskaite, Zlata Khershberg-Reith

Die Angst vor Gefühlen verbirgt Onegin hinter Zynismus

Dann tritt Lenskis Freund Onegin als lebendig gewordener Literaturtraum in Tatjanas Leben. Er ist ein grüner Junge mit farblich entsprechendem Hemd. Die Angst vor Gefühlen verbirgt er hinter Zynismus. Nachdem Tatjana ihm ihren gesungenen Liebesbrief hat zukommen lassen, belehrt er sie wie ein Schulmädchen. Die lapidare Szene ist mit einem so noch nicht gesehenen Sadismus inszeniert. Eine Zuspitzung des Tatjana gehörenden erstens Akts zu einer seelischen Zerstörung sondergleichen.

Eugen Onegin im Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Darsteller (Rolle) v.l.n.r.: João Terleira, Aebh Kelly

Onegin setzt sein Zerstörungswerk fort

Anschließend wird Onegins Zerstörungswerk an Lenski fortgesetzt. Der Feierchor zu Tatjanas Namenstag macht mit großer Lust am Skandal mit, wenn Onegin durch seine Anbändelei mit Olga, Lenski zur eifersüchtigen Duellforderung treibt. Die treffsichere Überraschung: Onegin schießt Lenski nicht tot, sondern küsst ihn. Der verwirrte Lenski richtet die Pistole daraufhin gegen sich selbst. Die anschließend hereinknallende Polonaise zeigt die zurückliegenden Szenen wie einen rückwärtslaufenden Film, als könnten die lärmenden Fanfaren den Fatalismus wegtrompeten.

Tatjana im Pelzmantel ist Beute des Fürsten

Aber es ist zu spät: Auf dem Fest bei seinem Freund Gremin begegnet der aus dem Ausland zurückgekehrte Onegin der im Pelzmantel ausgestellten Tatjana als Beute des Fürsten. Für die nun ausbrechende Gefühlsrealität Onegins ist es zu spät. Tatjana hat ihre Brille abgelegt und ist eine erwachsene Frau geworden. Sie liebt Onegin, wird ihren Mann aber nicht verlassen.

Eugen Onegin im Theater Heidelberg (Foto: Pressestelle, Foto: Susanne Reichardt)
Indre Pelakauskaite

Grandiose sängerische Leistungen

Im Rückgriff des Dirigenten Roland Kluttig auf Tschaikowskis Urfassung findet die szenische Zuspitzung ihre musikalische Entsprechung. Anstelle der Ballmusik steht nun vor dem Schlussduett wieder Onegins fatale Selbsterkenntnis des verpfuschten Lebens. Und Ipča Ramanović ist grandios in seiner Bewegung vom Sadisten zum emotional Untergehenden. Als Tatjana ist Indre Pelakauskaite eine Offenbarung, beseelt mit einem klangschönen Sopran, der sich vom Mädchenhaften ins erhaben Leidenschaftliche bewegt. Das ist fast überirdisch. Jaesung Kim singt einen nahezu todessüchtigen Lenski. Die übrigen Solisten und der Chor exzellent.

Dieser Heidelberger „Onegin“ ist einer der besten, den man derzeit erleben kann

Eine Sonderklasse ist der Dirigent Roland Kluttig. Mit dem bestens disponierten Philharmonischen Orchester Heidelberg formt er mit akkuraten Tempi im Sinne Tschaikowskis radikal klar, mitunter bedingungslos hart, wie es so sonst bei diesem Werk kaum zu hören ist. Dieser Heidelberger „Onegin“ ist einer der besten, den man derzeit erleben kann.

Mehr Oper in SWR2

Basel

Oper Voller Wut, aber ohne Fallhöhe: „Die Walküre“ feiert Premiere am Theater Basel

Die Neuproduktion von Richard Wagners Opernvierteiler „Der Ring des Nibelungen“ versteht Intendant und Regisseur Benedikt von Peter als ein groß angelegtes Familienstück. Nach der kompletten Familie geht es im ersten Tag „Die Walküre“ um die Kinder des Familienoberhaupts Wotan. Sie sind letztlich Werkzeuge im Spiel um die Macht, mit dem der Ring der Herrschaft zurückerobert.

SWR2 am Morgen SWR2

Buch-Kritik „Sexy knackige Rheintöchter-Teenies“: Prinz Rupis sexistischer „Ring“

Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ist ein enorm komplexes Stück Opernliteratur. Der „Ring“, nacherzählt von „Prinz Rupi“, ist gespickt mit sexistischen Frauenbildern.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

Gespräch Staatsoper-Intendant Matthias Schulz: Netrebko hat sich glaubwürdig distanziert

Um die Auftritte der russischen Opernsängerin Anna Netrebko an der Berliner Staatsoper gibt es eine Kontroverse. Ihr wird vorgeworfen, sich nicht ausdrücklich von dem russischem Regime abzugrenzen. Im Rahmen ihrer Auftritte sind Proteste angekündigt, auch eine Petition fordert, dass sie nicht auf der Bühne der Staatsoper singen soll. Der Intendant der Berliner Staatsoper, Matthias Schulz, sagt im Gespräch mit SWR2, dass er sich die Entscheidung, an Netrebko festzuhalten nicht leicht gemacht habe. Er möchte deutlich machen, dass jedoch Anna Netrebko in einem Statement den Angriffskrieg gegen die Ukraine ganz deutlich kritisiert und verurteilt habe und zwar in aller Deutlichkeit. Nicht viele russische Künstlerinnen oder Künstler würden das tun.
Entscheidend sei auch gewesen, dass Netrebko in Russland nicht auftrete und auch nicht mehr auftreten werde, sodass es ihm wichtig war, dass das Statement auch mit ihrem Handeln zusammen passe. Das müsse man anerkennen. Außerdem müsse klar sein, dass Russland ein Unrechtsstaat ist und sehr hart gegen Kritikerinnen und Kritiker vorgeht, sodass eine deutliche kritische Position schwere Konsequenzen nach sich zieht. So könne man auch sagen, dass man es durchaus als Zeichen lesen kann, dass der Star auf einer Pro-Ukrainischen Bühne wie der Staatsoper auftrete, so der Intendant.
Deshalb sei er, sagt Matthias Schulz, mit dem ganzen Haus zu dem Entschluss gekommen, dass man die Vereinbarung mit Netrebko, die bereits seit vor dem Angriffskrieg bestehe, auch umsetzen wollte. Künstlerinnen und Künstler dürften nicht zur Projektionsfläche oder zu Sündenböcken gemacht werden. An einem Haus wie der Staatsoper in Berlin, an dem Menschen aus über dreißig Nationen miteinander arbeiten, müsse man weiter an die "diplomatische Kraft" der Musik glauben und an diesen Verbindungen festhalten, die irgendwann in einer Zeit des Friedens ja auch noch weiter bestehen sollen, meint Matthias Schulz.

SWR2 am Morgen SWR2

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig