Politiker-Sprech nervt

Warum wir Olaf Scholz nicht verstehen

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Claudia Deeg
Claudia Deeg (Foto: SWR)
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"Olaf Scholz kann super erklären, aber nur, wenn man mit ihm alleine ist", sagt Journalist und Buchautor Lars Haider. Warum das so ist, erklärt er uns im SWR1 Interview.

Viele Politiker, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), werden dafür kritisiert, dass sie ihre Politik nicht gut erklären. Wir haben darüber mit Buchautor Lars Haider gesprochen. Der Chefredakteur des Hamburger Abendblatts hat eine Biografie über Olaf Scholz geschrieben und sich in seinem aktuellen Buch "Der Blabla-Wumms" mit der Sprache von Politikern beschäftigt.

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SWR1: Haben Sie mal echte, klare Antworten von Scholz auf Ihre Fragen bekommen? 

Lars Haider: Ja und nein. Nein, in der Regel nicht, wenn man mit ihm Interviews macht. Da versucht er, die Fragen einzuordnen und Antworten zu geben, von denen er glaubt, dass sie an dieser Stelle richtig sind. Ja, wenn die Kameras aus sind und das Handy und das Diktiergerät ausgeschaltet sind. Dann antwortet er ganz normal auf Fragen, die man ihm stellt. Das ist das Verrückte. Aber man kriegt die beiden Welten leider nicht zusammen.

SWR1: Aber ist das in Ihren Augen ein Problem? Denn so kommt der Kanzler als schlechter Kommunikator rüber.

Haider: Ja, das ist ein totales Problem, weil die Menschen eben das Gefühl haben, sie verstehen den Kanzler nicht. Wenn man jemanden nicht versteht, denkt man vielleicht auch, der weiß nicht, was er tut. Und ich glaube, das ist bei Olaf Scholz nicht so. Der weiß ganz genau, was er tut.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Kay Nietfeld)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Ich würde behaupten, dass die Politik der Ampel-Regierung viel, viel besser ist als das, was sie kommunikativ daraus macht. Aber man muss auch das, was man macht, so erklären können, dass die Leute es verstehen. Das ist dieser Ampel-Regierung in den ersten zwei Jahren nur sehr selten gelungen.

SWR1: Olaf Scholz hat in einer Bundestagsrede den Begriff "Wumms" geprägt. Ihr neues Buch heißt "Der Blabla-Wumms. Was Politiker (nicht) sagen und wie man es versteht". Kann es vielleicht auch sein, dass Politiker sich nicht mehr trauen, klar zu kommunizieren und vorsichtiger geworden sind?

Haider: Wir haben in diesem Buch festgestellt, dass Politiker nicht nur so sprechen, wie sie sprechen, weil sie – so wie Olaf Scholz zum Beispiel – introvertiert sind. Sondern weil es viele Dinge gibt, die verhindern, dass man so spricht, dass einen jeder versteht.

Zum Beispiel, dass sich Sätze verselbständigen können, dass daraus ein Shitstorm entsteht, dass man etwas sagt als Bundeskanzler, was dann weltpolitische Folgen haben kann. Dass Journalisten leider auch oft die falschen Fragen stellen, dass man nicht genug Zeit hat, darauf zu antworten, dass die Welt zu kompliziert ist.

Hier spricht Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz im September 2022 in Berlin vom "Doppel-Wumms"

Haider: Also ganz ehrlich: Ich möchte mit Politikern nicht tauschen, weil es so viele Fallstricke gibt, wenn man etwas sagt. Und weil man innerhalb von Sekunden damit total verbrannte Erde hinterlassen kann.

Ich befürchte, dass Friedrich Merz seine Worte schlicht – anders als Olaf Scholz – nicht unter Kontrolle hat.

SWR1: Gleichzeitig gibt es aber das Beispiel des prominenten Oppositionspolitikers, CDU-Chef Friedrich Merz, der sich mit seiner Aussage über Zahnersatz für Geflüchtete sehr klar ausgedrückt hat und gezielt damit provoziert hat. Ist das das andere Extrem?

Haider: Das ist ein Stilmittel – zumindest in der Politik. Wenn ich das und das sage, also "Sozialtourismus", "Paschas" oder das Beispiel mit dem Zahnarztbesuch, dann hat das einen Effekt. Ich bin mir bei Friedrich Merz ehrlich gesagt nicht so sicher, ob er das einkalkuliert hat. Wenn es einkalkuliert wäre, würde man sagen: "Boah, der Mann weiß, was er tut." Ich befürchte aber, dass Merz seine Worte schlicht – anders als Olaf Scholz – nicht unter Kontrolle hat, was auch nicht gut ist für jemanden, der Kanzler werden will.

SWR1: Andererseits werden Politiker durchaus immer populistischer. Dieses einfache Formulieren, einfache Antworten geben auf komplexe Fragen, kommt scheinbar an.

Haider: Da müssen wir uns als Bürgerinnen und Bürger eines klarmachen. Wir klagen alle darüber, wie kompliziert die Welt geworden ist und wie alles miteinander zusammenhängt. Es gibt aber einfach keine einfachen Antworten auf schwierige, komplexe Fragen. Man muss sich schon Zeit nehmen, um die Dinge zu verstehen. Und ich bin immer total skeptisch, wenn einer eine total einfache Antwort auf komplexe Fragen hat in diesen Zeiten. Dann ist relativ klar, dass diese Antwort wahrscheinlich nicht der Wahrheit entspricht.

Ich habe niemanden kennengelernt, der Politik so gut erklären kann wie Olaf Scholz.

SWR1: Trotzdem haben wir natürlich alle das Bedürfnis, erklärt zu bekommen, was Politikerinnen und Politiker machen und wie sie arbeiten. Haben Sie bei Ihren Recherchen ein positives Beispiel gefunden, wo Sie sagen: Der macht es eigentlich ziemlich gut?

Haider: Es gibt ja jemanden wie Robert Habeck, auch vielleicht Annalena Baerbock, die so einen neuen Stil prägen. Wobei man manchmal das Gefühl hat, insbesondere bei Habeck, dass er nicht tief in den Themen drin ist.

Daniel Günther (CDU) freut sich über den Sieg bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein und steht mit einem Bierglas in der Hand vor einem CDU-Wahlplakat. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christian Charisius)
Daniel Günther kann als CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein weiterregieren

Wer das sehr gut kann, ist Daniel Günther, der Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, der so spricht, dass man es versteht und bei dem auch die Dinge zusammenpassen. Also das, was er sagt, passt mit dem zusammen, was er spricht. Aber ich habe niemanden kennengelernt, der Politik so gut erklären kann wie Olaf Scholz. Aber leider macht er das immer nur, wenn die Tür zu ist und man mit ihm alleine ist.

Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.

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