Wäre das Modell der 35-Stunden-Woche eine gute Lösung für alle? Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg spricht sich im SWR1 Interview für die Wahlarbeitszeit aus.
SWR1: Ist weniger arbeiten wirklich gesünder oder machen sich die Leute dann Freizeitstress und die Wirkung für den Körper verpufft?
Prof. Dr. Enzo Weber: Arbeitswissenschaftlich kann man sagen Überlang arbeiten, das ist tatsächlich gesundheitsschädlich. Also der rote Bereich ist bei der Standard-Vollzeit von 38 Stunden normalerweise noch nicht erreicht. Aber wenn Sie da deutlich drüber gehen, dann wird es schädlich für die Gesundheit und die Leistung. Dann wird es tatsächlich besser, wenn man Arbeitszeit reduziert.
SWR1: Es gibt mehrere Arten, weniger zu arbeiten. Echte Arbeitszeitverkürzung, nur noch vier Tage mit acht Stunden bei vollem Lohnausgleich – das wollen DGB und IG Metall. Wir hatten hier auch schon Firmen, die den gleichen Arbeitsaufwand in weniger Zeit packen, also Montag bis Donnerstag zehn Stunden powern und Freitag freihaben – ist so etwas gesund?
Weber: Wenn man pro Tag zu lange arbeitet, ist auch das in den meisten Fällen kritisch. Bei zehn Stunden nimmt irgendwann die Konzentration und die Leistungsfähigkeit ab. Und wenn Sie dann noch die Pausenzeiten und die Pendelzeiten draufrechnen, stellen Sie schnell fest, es bleibt vom Tag gar nichts mehr. Also das ist für die meisten Menschen wahrscheinlich problematisch.
Der volle Lohnausgleich, wenn man die Arbeitszeit dann wirklich reduziert, ist halt entsprechend schwierig. Stellen Sie sich vor, Sie hängen einen Tag ab, dann müssten Sie in den verbleibenden Stunden pro Stunde 25 Prozent mehr erwirtschaften. Das ist nicht leicht und in vielen Berufen wahrscheinlich gar nicht zu machen. Zum Beispiel der Lokführer kann ja nicht vier Tage lang schneller fahren, um den fünften Tag schon mal reinzuholen.
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SWR1: Kann sich die Gesellschaft also die Arbeitszeitverkürzung gar nicht leisten?
Weber: Die Gesellschaft kann sich eine Arbeitszeitverkürzung leisten, wenn das ihrer Präferenz entspricht. Dafür plädiere ich. Wir brauchen nicht die Fünf-Tage-Woche als starres Modell, an dem wir klammern. Wir brauchen aber auch nicht allen Menschen eine Vier-Tage-Woche überzustülpen, sondern die X-Tage-Woche, die Wahlarbeitszeit. Die ist es eigentlich. Wir müssen da aber nicht schauen, was uns der Fachkräftemangel diktiert, sondern wir sollten einfach nach den Wünschen der Menschen entscheiden.
SWR1: Die einen reden von Arbeitszeitverkürzungen, die anderen über Fachkräftemangel und Arbeit, die liegen bleibt. Das klingt ja widersprüchlich.
Weber: Ja, das klingt widersprüchlich. Das ist es häufig auch. Aber am Ende müssen wir sehen, dass wir noch zusätzliche Potenziale haben. Zum Beispiel die berufliche Entwicklung von Frauen, die knickt in der Kinderphase ganz oft ab und erholt sich danach auch nicht mehr. Da lassen wir richtig viel liegen, da ist dann später auch wirklich noch qualitativ eine stärkere Entwicklung und auch mehr Arbeitszeit möglich.
SWR1: Wie sieht es denn mit Schichtarbeit aus? Sind das dann gerade die, die eine Arbeitszeitverkürzung bräuchten?
Weber: Schichtarbeit ist natürlich belastend. Die Arbeitszufriedenheit steigert alles, was Selbstbestimmung im Job und in der Arbeitszeit ausmacht. Immer wenn ich irgendwie fremdbestimmt bin, mir etwas aufgedrückt wird, dann sinkt entsprechend meine Zufriedenheit – und Schichtarbeit gehört natürlich dazu.
Dennoch sollte die Maßgabe sein: Wer seine Arbeitszeit reduzieren möchte, der soll das tun können. Und der soll dann auch keine beruflichen Nachteile davon haben. Aber wer entsprechend doch bei den 38 Stunden bleiben möchte, der soll das ebenso tun können. Wir sollten jetzt nicht mutwillig die Arbeitszeit von allen senken, die vielleicht doch am Ende gesamtwirtschaftlich dringend gebraucht wird, sondern wir sollten gute Bedingungen herstellen, die Hürden abbauen und dann den Menschen die Wahl lassen.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.
Weitere Informationen zu Prof. Dr. Enzo Weber finden Sie auf der Webseite des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.