Psychologie

Verhalten wir uns in der Corona-Pandemie wie im Spiel?

Stand
INTERVIEW
Christine Langer
Marius Raab
ONLINEFASSUNG
Leon Wager
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Psycholog*innen der Uni Bamberg haben sich damit beschäftigt, wie wir uns während der Corona-Pandemie verhalten. Die These: Wir verfallen in Muster, die wir aus Spielen kennen.

Ressourcen sammeln, den Punktestand im Blick behalten, beim Mitspieler spicken – während der Corona-Pandemie haben sich Menschen oft ähnlich verhalten wie in Spielen. Das ist die These eines Psycholog*innenteams der Uni Bamberg, die jetzt in einem wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht wurde.

Dr. Marius Raab arbeitet am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Uni Bamberg. Er ist Erstautor des Artikels und hat einige unserer Fragen beantwortet.

Forschende der Uni Bamberg haben das strategische Verhalten im Umgang mit der Pandemie mit dem Verhalten in spielerischen Situationen verglichen. (Foto: IMAGO, imago images/Westend61)
Forschende der Uni Bamberg haben das strategische Verhalten im Umgang mit der Pandemie mit dem Verhalten in spielerischen Situationen verglichen.

Kann man sagen: Wer gerne Spiele macht, der hortet in der Krise auch eher Mehl oder Klopapier?

Man könnte jetzt natürlich behaupten, dass besonders diejenigen Leute horten, die gerne Siedler von Catan spielen, wo es immer um Ressourcen geht. Ich würde den Zusammenhang aber eher andersherum sehen. Wenn wir gerne horten und Dinge auf Vorrat kaufen, dann würde ich als Psychologe fragen: Woher kommt denn das? Warum glauben wir, dass das eine gute Strategie ist?

Unsere These ist: Wir kennen diese Strategie aus Spielen. In Spielen ist es oft sinnvoll, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, erstmal Ressourcen zu sammeln, die mir später neue Optionen erlauben. Das fängt schon bei kleinen Kindern im freien Spiel an und geht bis zu den Spielen, die wir als Erwachsene gerne spielen.

Das Sammeln von Ressourcen kann auch bei Spielen eine wichtige strategische Komponente sein. Aber ist ein entsprechendes Verhalten auch in einer Pandemie-Situation von Vorteil?  (Foto: IMAGO, imago images/Martin Wagner)
Das Sammeln von Ressourcen kann auch bei Spielen eine wichtige strategische Komponente sein. Aber ist ein entsprechendes Verhalten auch in einer Pandemie-Situation von Vorteil?

Welche Verhaltensmuster aus Spielen sind während der Corona-Pandemie im echten Leben noch aufgetreten?

Sehr auffällig ist auch, dass wir auf Punkte-Systeme fixiert sind, wie es sie auch in Spielen gibt. Das ging los mit R0 und der Inzidenzzahl und weiteren Metriken, die auf sämtlichen Newsportalen immer ganz oben standen. Einen Schritt weiter gingen dann die Vergleiche.

Wir wollen uns ständig mit anderen vergleichen, mit anderen messen und haben das mit den anderen Ländern auch getan: Wie schlimm ist es gerade in Großbritannien? Wie ist es in Italien? Wie ist es bei uns? Wir waren auf ein paar Indikatoren sehr fixiert und haben diese ständig in Beziehung zu anderen Ländern oder Bundesländern gesetzt, um zu sehen, wo wir gerade stehen, obwohl dies für den Einzelnen relativ wenig Vorhersagekraft oder Handlungsoptionen bietet. Es bringt mir nicht viel, wenn ich weiß, ob in Italien der R-Wert gerade ein bisschen höher oder niedriger ist als bei uns.

Corona Fallzahlen bzw. Inzidenz (Foto: IMAGO,  imago images/Rüdiger Wölk)
Tagtäglich werden wir während der Pandemie mit aktuellen Zahlen konfrontiert. Bringt eine Art spielerischer Wettbewerb vielleicht sogar Vorteile im Umgang mit der Pandemie?

In der Pandemie kam also eine Art Wettbewerbsgedanke auf, wie wir ihn auch aus Spielen kennen?

Genau. Und dieser Wettbewerbsgedanke ist eben auch das Problematische daran. Die allermeisten Spiele sind wettbewerbsorientierte Spiele. Wir haben nun die Beobachtung gemacht: Wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen – z.B. in so einer komplexen Situation wie Covid-19, wo uns auch einfach die Erfahrung fehlt, wie wir damit umgehen sollen – dann greifen wir auf Muster zurück, die wir früher in der Kindheit schon einmal im Spiel erprobt haben. Diese Spiele waren aber meistens Wettbewerbsspiele und genau das bringt den Wettbewerbsaspekt zu dieser Pandemie hinzu. Wer hat die niedrigsten Werte? Wer hat die besten Ressourcen, die meisten Impfstoffe gekauft?

Die Siedler von Catan -Erfinder Klaus Teuber und sein Sohn Benjamin (Foto: IMAGO, imago images/brennweiteffm)
Beim Brett-Spiel „Die Siedler von Catan“ geht es auch um einen klugen, vorausschauenden Umgang mit Ressourcen. Möglicherweise denken wir im Umgang mit der Pandemie ähnlich strategisch.

Welche Probleme könnte es mit sich bringen, wenn wir mit diesen spielerischen Reflexen an die Corona-Pandemie herangehen?

Bei einer Pandemie ist Wettbewerb eigentlich der falsche Ansatz. Da wäre ein gemeinschaftliches, kooperatives Handeln der bessere Weg, weil man eine Pandemie nur gemeinsam besiegen kann. Es wäre besser, wenn wir uns jetzt auf Spiele besinnen oder auf Spielmuster zurückgreifen würden, die auf Gemeinschaft setzen. Solche Spiele gibt es auch schon. Da ist es nicht so, dass einer gewinnt und die anderen verlieren, sondern dass durch gemeinsame Anstrengung alle gemeinsam gewinnen können.

Toilettenpapier wurde während der Pandemie viel gehortet (Foto: IMAGO, imago images/Martin Wagner)
Kooperation statt Wettkampf wäre im Umgang mit der Pandemie die wohl bessere Strategie.

Gibt es Spiele, bei denen man ein solches kooperatives Verhalten üben kann?

Das bekannteste Beispiel hierfür ist tatsächlich das Spiel „Pandemie“. Das war schon vor Covid-19 ein sehr erfolgreiches und bekanntes Brettspiel. Dort geht es genau darum, die Ausbreitung eines Erregers rund um die Welt zu verhindern und mit den Mitspieler*innen zusammen eine Strategie zu entwickeln. Nur wenn man gemeinsam agiert, kann man es schaffen, dass die Welt nicht völlig von diesem Erreger überrannt wird. Das ist eines dieser Spiele, die wir uns jetzt vielleicht zum Vorbild nehmen sollten. Wir müssen schauen: Was gibt es für gemeinsame Möglichkeiten, gemeinsame Strategien, um das wieder in den Griff zu bekommen?

Das Stragiespiel „Pandemie“ hat es 2009 in Deutschland auf Platz drei bei der Nominierung für das „Spiel des Jahres“ geschafft.  (Foto: IMAGO, imago/Revierfoto)
Das Stragiespiel „Pandemie“ hat es 2009 in Deutschland auf Platz drei bei der Nominierung für das „Spiel des Jahres“ geschafft.

Was könnte die Politik mit Blick auf die Corona-Pandemie besser machen?

Wir haben einen sehr starken Fokus auf Inzidenzwerte, auf Punktesysteme. Einerseits haben die Leute natürlich ein Recht darauf zu erfahren, wie es gerade steht. Ich würde diese Werte also natürlich nicht abschaffen. Aber wir sollten diese Werte ergänzen um Punktesysteme, die uns zeigen, wie stark zum Beispiel die Gemeinschaftsanstrengung gerade ist oder was wir gemeinsam bewegt haben: Wieviel Impfungen gibt es jetzt überall? Oder wieviele Nachbarschaftseinkäufe gab es zum Beispiel gestern in meiner Stadt? Es ist sehr wichtig zu zeigen, wo gerade etwas passiert, wovon alle profitieren und nicht immer nur über die Metriken zu sprechen, die darstellen, wie schlimm gerade der Infektionsstand ist.