Donaueschinger Musiktage 2007 | Vorwort

Vorwort von Stefan Fricke 2007: "A Weekend"

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AUTOR/IN
Stefan Fricke

Es ist seit vielen Jahren das jeweils dritte Wochenende im Oktober, das Donaueschingen zu einem besonderen Zentrum werden lässt. Dann trifft sich hier, natürlich nie komplett, aber doch in beachtlicher Größe, die "kleine Welt der Neuen Musik" (Brian Ferneyhough), um zu hören, zu sehen, zu erleben, was die künstlerische Leitung der Musiktage programmiert hat, welchen Blick sie und die beauftragten Komponisten und Klangkünstler auf unsere Zeit werfen, welchen ästhetischen Fragen sie in ihren (Auftrags-)Werken nachgehen, welche ästhetische Antworten sie finden und wie sie von den eingeladenen Interpreten realisiert werden. Die alljährlich gut 48 Stunden, von Freitagabend bis Sonntagspätnachmittag, während derer sich dicht gefüllt Konzert an Konzert, Uraufführung an Uraufführung reiht – die Donaueschinger Musiktage verstehen sich wie kein anderes Festival in der Neuen Musik-Landschaft als eines der Erstaufführungen (oft genug leider auch der Letztaufführungen) –, gepaart mit etlichen Klangkunstortsbesuchen, ist allerdings auch eine Veranstaltung mit großem informellen Begleitprogramm.

Das 1921 gegründete und damit weltweit älteste Festival Neue Musik ist – und auch das unterscheidet es erheblich von anderen Festivals – ein zwei- oder gar mehrtägiger Treffpunkt mit dichtgedrängten Terminen abseits des eigentlichen Konzertgeschehens. Das betrifft natürlich hauptsächlich jene Leute, die im Bereich Neuer Musik arbeiten, Komponisten, Interpreten, Journalisten, Publizisten, Redakteure, Verleger, Konzertveranstalter etc., kurzum: die Szene oder besser: gewisse Szenen. Denn von einer Szene der Neuen – oder (um mal in Erinnerung zu rufen, dass viele das Epitheton lieber klein schreiben, also:) neuen Musik zu sprechen – ist längst obsolet. Ihre kleine, aber doch im stetigen Wachsen begriffene Welt besteht aus vielen verschiedenen ästhetischen und vielfach auch sozialen Biotopen, und es entstehen kontinuierlich neue, wie zugleich andere wieder verschwinden. Zweifellos aber treffen sich jährlich am dritten Oktoberwochenende ein paar hundert Personen, um in Donaueschingen eben nicht nur ausschließlich Musik zu hören und das Dargebotene zu reflektieren, sondern auch, um Kontakte zu pflegen, sich über Szene(n)-Relevantes auszutauschen, Neuigkeiten und Gerüchte zu verbreiten oder zu erfahren, zu lästern und zu kritisieren, Geschäfte zu machen, andere Festivals zu programmieren, Kompositionsaufträge zu vergeben. Manche Münder behaupten gar, dass, selbstverständlich nicht sie, aber doch einige nur des business wegen nach Donaueschingen kämen, um gesehen zu werden, dass man noch Teil der Szene ist, selbst wenn eigene Stücke schon lange nicht mehr oder noch nie hier gespielt worden sind ("aber vielleicht bald, wenn ich nur wahrgenommen werde...").

Dass all das gerade in Donaueschingen passiert, so dicht möglich ist und dennoch Raum für neue (ästhetische) Erlebnisse und Erfahrungen bleibt, liegt vor allem an Donaueschingen als Stadt, ihrer übersichtlichen, fußläufigen Infrastruktur, ihrer, jedenfalls am dritten Oktoberwochenende, begrenzten gastronomischen Angebote. Hinzu kommt die Verteilung der Konzertorte über das Stadtgebiet. Die Donaueschinger Musiktage besuchen, heißt eben auch, die Stadt selbst kennen zu lernen, sie spazierend oder eilend zu durchqueren, dabei Freund & Feind zu begegnen, zu grüßen oder extra nicht, zum Gespräch stehen zu bleiben oder gesprächig weiterzugehen. Man sieht sich einfach meist mehrmals am Tag, in Konzerten und Lokalen, im Schlosspark. Wer bewusst ungeliebten Begegnungen aus dem Weg gehen will ("Kennen Sie schon mein neues Stück für...?", "Über mich müsste man unbedingt mal eine Radiosendung machen!"; "Hier meine aktuelle CD, nur mal so..."), der muss für seine zeitweiligen Fluchtpläne inmitten dieses geschäftigen Treibens schon einige Fantasie aufbringen. Er muss Routen wählen, die abseits vom Mainstream liegen, vielleicht gar für einige Stunden ins Umland fahren. Donaueschingen ist eben ein kleiner Ort, ein Ort kurzer Wege: Hier lässt sich schnell und unaufwändig vieles erledigen; etwa Besuche beim Friseur, dem Herrenausstatter, der Buchhandlung, dem Haushaltswarengeschäft, der Erwerb von Babysachen, der Kauf von Wurstwaren und Brot in einer Qualität, die manche an ihrem Heimatort nicht finden usw. Auch das geschieht während der Donaueschinger Musiktage, ist Bestandteil des dritten Oktoberwochenendes und wohl auch der Vorfreude auf dasselbe.

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Stefan Fricke