Biographie der Widerstandskämpferin

Lisa Fittko: Viel mehr als die Fluchthelferin von Walter Benjamin

Stand
Autor/in
Pia Masurczak

Lisa Fittko ist vor allem bekannt, da sie Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis durch die Pyrenäen geführt hat. Dass sie viel mehr war, nämlich auch Widerstandskämpferin, Fluchthelferin, Kommunistin und Jüdin, das erzählt die neue Biographie von Eva Weissweiler.

Es gibt diese eine Episode aus Lisa Fittkos Leben, die sie berühmt gemacht hat. Walter Benjamin und seine schwarze Aktentasche, die sie nach Spanien geführt hat. Lisa Fittko beschreibt sie selbst mehrmals in ihren Büchern. So ganz traut ihre Biographin Eva Weissweiler der Erzählung aber nicht.

Eva Weissweiler, Schriftstellerin
Die Schriftstellerin Eva Weissweiler hat die neue Biographie über Lisa Fittko geschrieben

In diesem Moment wird zum ersten Mal Benjamins schwarze „Aktentasche“ erwähnt, die zu einem eigenständigen Mythos der Forschung geworden ist. „Schwarz“ ist sie zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht, aber „groß“ und „schwer“. Auf Lisas Frage, warum er sie denn schon auf diese Probetour mitnehmen wolle, habe Benjamin erklärt, sie sei ihm „das Allerwichtigste“, er dürfe sie „nicht verlieren“, sie enthalte sein neustes Manuskript, das ihm wichtiger sei als sein eigenes Leben. Die Frage ist allerdings, wo sie denn vorher war und warum sie jetzt erst auftaucht.

Lisa Fittko hätte eine eigene Netflix-Serie über ihr Leben verdient

Vielleicht erzählt Fittko ja deshalb so nachlässig, weil sie selbst nicht glücklich darüber war, vor allem als Retterin von Walter Benjamin in Erinnerung zu bleiben. Denn ohne Frage hätte Lisa Fittko eine eigene Netflix-Serie über ihr Leben verdient. 1909 in der heutigen Ukraine in eine jüdische Familie geboren, lebt sie in Budapest, Wien und Berlin. Wird dort Kommunistin und strenggläubiges Parteimitglied, nimmt in der Weimarer Republik an Straßenschlachten teil. 

Leben als politische Aufgabe

1933 geht sie in den Untergrund, flieht nach Amsterdam, Paris und schließlich nach Südfrankreich. Zusammen mit ihrem Mann Hans immer im Widerstand gegen die Nazis. Ein Leben, in dem sich die Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts wie in einem Brennglas bündelt. Auch wenn Lisa Fittko diese Beschreibung vermutlich nicht gefallen hätte. Für Fittko war Leben kein Schicksal, sondern eine politische Aufgabe.

Natürlich, es war richtig, Verfolgte in ein Land zu bringen, in dem sie nicht mehr in Lebensgefahr waren. Aber war das nicht irgendwo auch „die falsche Bahn“? Sie waren doch Widerstandskämpfer und kein Wohlfahrtsverein. Ihr Ziel war es doch, den Faschismus zu stürzen, um nach dem Krieg in Deutschland gründlich aufzuräumen, „für alle Zukunft“, wie Fittko zu sagen pflegte, nicht so halbherzig wie 1918.

Ehrung mit Bundesverdienstkreuz

Für die Fluchthilfe und ihren Widerstand gegen die Nazis wurde Fittko spät mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Was sie zum Anlass nahm, den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker sanft zu kritisieren. Es sei endlich an der Zeit, auch die Rolle der anderen, weniger bekannten Widerständler anzuerkennen, schreibt sie ihm in einem Brief. So richtig nah kommt uns Lisa Fittko in der Biographie von Eva Weissweiler leider nur selten. Vielleicht, weil sie sich sehr auf Fittkos eigene Erzählungen stützt, die weniger persönliches als politisches Vermächtnis sind. Die Strapazen, die Angst und den Stress, der ihr Leben im Widerstand bestimmt haben muss, darüber kann Weissweiler nur spekulieren.

Dank des großen Netzwerks gelingt die die Flucht aus Frankreich

Mit Glück und dank ihres großen Netzwerks gelingt den Fittkos die Flucht aus Frankreich. Den Faschismus überstehen sie auf Kuba, ausgebrannt von mehr als zehn Jahren im Widerstand.

Wir fahren auf eine Insel, die heißt Kuba. Vater und Mutter sind frei, aber sie können nicht mit. Ich aber sitze hier und nichts rührt sich in mir. Ich habe keine Angst, ich freue mich nicht, ich bin nicht einmal traurig. Ich fühle nichts, gar nichts.

In den 50er-Jahren wandert Lisa Fittko mit ihrem Mann in die USA aus. Ihr Bruder, ihre Eltern und ein Teil der Verwandtschaft überstehen Holocaust und Krieg wie durch ein, eigentlich viele Wunder. Bis ins hohe Alter bleibt sie ein durch und durch politischer Mensch. Nach allem, was man bei Eva Weissweiler lesen kann, würde Lisa Fittko ihr Leben wohl als gelungen betrachten.

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