SWR2 Buch der Woche vom 25.09.2017

Petra Morsbach: Justizpalast

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AUTOR/IN
Brigitte Neumann

Petra Morsbach hat mit "Justizpalast" einen ganz besonderen Roman geschrieben: Ein Grundkurs in Jura und zugleich eine berührende Geschichte.

Er handelt von der Juristin Thirza Zorniger, die nach einem Prädikatsexamen Karriere macht, erst Amtsrichterin wird, dann Oberregierungsrätin in der Gnadenstelle des Justizministeriums, schließlich Vorsitzende der Kammer für Kartellrecht im Münchner Justizpalast.

In fremden Milieus fühlt sich die preisgekrönte Autorin wohl

Autorin Petra Morsbach (Foto: Knaus Verlag - Bogenberger)

Ihr Förderer Hans-Magnus Enzensberger hat sie einmal mit Alfred Döblin verglichen. Wie Döblin gehört Petra Morsbach zu den Schriftstellern, die ihre Beobachtungsgabe nutzen, um fremde Milieus auszukundschaften, selten das eigene. Insgesamt sind sieben Romane von ihr erschienen.

Die heute 61-jährige studierte in München und St. Petersburg Philosophie, promovierte mit dem Thema "Isaak Babel auf der sowjetischen Bühne", arbeitete 10 Jahre lang als Dramaturgin und Regisseurin an verschiedenen deutschen Stadttheatern. Und lebt seit 1993 als freie Schriftstellerin am Starnberger See. Ihr Werk wurde u.a. mit dem Marieluise-Fleißer-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Jean-Paul-Preis ausgezeichnet. Für den aktuellen Roman "Justizpalast" werden gewiss einige dazukommen.

"Justizpalast" ist ein Grundkurs in Jura, der nie langweilig wird

Dies ist ein ganz besonderer Roman: Ein Grundkurs in Jura und zugleich eine berührende Geschichte. Und obwohl der Roman "Justizpalast" ein Kunstwerk der Ausgewogenheit ist, das sich auch des Jargons der Justiz bedient, weil er von ihr handelt, ist er niemals, an keiner Stelle, verkarstet oder langweilig. Dieser Roman ist ausgezeichnet. Dass er nicht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, kann nur ein bedauerlicher Irrtum sein.  

Petra Morsbachs Karriere als Schriftstellerin begann ebenfalls mit einem bedauerlichen Irrtum. 1995, beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt, fiel ihr erster Roman "Plötzlich ist es Abend" durch. Ein Buch über die Schattenseiten des real existierenden russischen Sozialismus. Daraufhin setzte sich Hans-Magnus Enzensberger für dessen Veröffentlichung ein.

"Plötzlich ist es Abend" war Band eins von drei Bänden über große Fragen unserer Zeit. Band zwei war der Roman "Gottesdiener" aus dem Jahr 2004 und Band drei heißt "Justizpalast". Was treibt Petra Morsbach an?

Petra Morsbach: "Die Neugier auf eine prinzipielle Frage. Ich hab ja schon ein Buch über einen Pfarrer geschrieben. Das ist die Frage der Religion, des Glaubens als Beruf. Wie lebt man da? Was macht dieses Ideal mit einem? Ist man dem überhaupt gewachsen? Wie formt oder deformiert es einen?"

Gerechtigkeit und Wirklichkeit stehen im Fokus der Handlung

Im Roman „Justizpalast“ geht es um das Ideal der Gerechtigkeit und die Wirklichkeit. Wir lesen über den tagtäglichen Geschäftsbetrieb bei Gericht: die Fälle, die Aktenberge, die Verhandlungen, die Überlastung der Richter, Karrierehändel und das darbende Privatleben der Amtsträger. „Richter haben verstandesgebändigte Herzen“, heißt es an einer Stelle. Thirza Zorniger, die Heldin des Romans, 1956 in München geboren, kommt mütterlicherseits aus einer solchen Familie.

Ihr Vater ist der vulkanische Bühnenschauspieler Carlos Zorniger. Thirza ist sechs, da zieht der Schauspielervater zur nächsten Muse und ward noch ein Mal gesehen, viele Jahre später, bei der Beerdigung der Mutter. Thirza, die von klein auf im diplomatischen Dienst zwischen ihren Eltern vermittelte und früh lernte, infame Nachrichten zu entschärfen oder gleich ganz zu verschweigen, muss da schon auf ihre Laufbahn vorbereitet worden sein.

Erzählen in der Sprache der Justiz

Die Justiz ist eine spezielle Art zu denken, die sich in der Sprache manifestiert. Eine Sprache, die eingefroren wirkt, mechanisch und trotzdem fein verästelte logische Beschreibungen zulässt. Petra Morsbach hat zehn Jahre lang recherchiert, bis sie begriff, wie die deutsche Rechtsprechung funktioniert.

Petra Morsbach: "Es war einfach sehr schwer. Diese Sprache, in diese Sprache hineinzufinden, die ja ganz anders ist als die künstlerische. Die ganze Fragestellung. Man geht da als Schriftsteller hin, vielleicht mit einer romantischen Idee von Gerechtigkeit. Wie wird Gerechtigkeit organisiert. Und dann versteht schon mal kein Wort. Dann wird Literatur empfohlen. Und dann liest man."

Der Roman profitiert von der Mitarbeit zahlreicher Richter

Die Autorin, die übrigens nie Ambitionen hatte, selbst Juristin zu werden, wurde bei ihrer Arbeit von vielen Richtern unterstützt: "Ohne die wäre es nicht gegangen. Und jede Seite des Romans wurde von mindestens zwei Richtern Korrektur gelesen. Was übrigens Fehler nicht ausschließt."

Juristisch wasserdicht sei der Roman keinesfalls, ergänzt Petra Morsbach. Allein schon weil sich die Richter manchmal uneins waren. Und weil die Justiz überhaupt ein Minenfeld sei.

Ein System, abhängig von fehlbaren Menschen

Petra Morsbach: "Ich denke, eine starke, gerechte, unabhängige Justiz ist entscheidend für die Qualität des Staats. Aber in der Praxis ist die Justiz weder so stark noch so gerecht noch so unabhängig wie sie sein sollte. Und das ist ganz normal. Die Menschen sind ja auch nicht so wie sie sein sollten oder wie sie gerne wären. Die Justiz wird einfach von fehlbaren Menschen betrieben und unsere Ideale sind einfach ein Kompass. Aber wenn der verloren geht, dann wird es kritisch."

Die Autorin erzählt von dieser Gefahr, indem sie nachzeichnet, was ihre Heldin Thirza Zorniger nach einem Prädikatsexamen alles erlebt, etwa als Amtsrichterin, als Oberregierungsrätin in der Gnadenstelle des Justizministeriums bis zum Höhepunkt ihrer Karriere, als Vorsitzende der Kammer für Kartellrecht im Münchner Justizpalast. Sie beurteilt im Verlauf ihres Berufslebens tausende Fälle, alles zwischen Bußgeldverfahren im Millionenbereich bis Blechschaden.

Eine Erbstreitigkeit wird zum zentralen Fall der Protagonistin

Eines Tages verhandelt sie eine Erbstreitigkeit zwischen zwei Geschwistern. Er ist 76, sie 70. Sie verlangt ihren Teil am elterlichen Erbe, er will eine Art Schadensersatz, weil er Zeit seines Lebens bei den kranken Eltern ausgeharrt hat. Er hat ganz genau Buch geführt über alle seine Hilfsleistungen. Dieses Buch legt er bei Gericht vor. Richterin Zorniger ist fassungslos.

Thirza Zornigers Urteil ergeht: Der Bruder verliert das Verfahren. Er muss seine Schwester auszahlen. Das alles erzählt Petra Morsbach aus der Perspektive ihrer Heldin in einem einzigen muskulösen Gedankenstrom. Die Sätze sind von kristalliner Beschaffenheit, hart, durchlässig, stark. Denn der Roman handelt ja von einer Ordnung, die angetreten ist, menschliches Chaos zu bändigen. Gefühle kommen höchstens entfärbt und als Gefühlsmathematik vor. Thirza Zorniger ist eine reflektierte Frau.

Aber trotzdem vergisst sie fast ihr Leben über der Arbeit. Ein Leben, in dem es kein Rätsel zu geben scheint, kein Laster, keinen nicht fest eingehegten Trieb, wenn man einmal die so apostrophierten leichten Gewichtsprobleme außen vor lässt. Es ist ein Leben, das ganz der Pflicht, Disziplin und Leistung gewidmet ist. Richter müssen in der Regel so strukturiert sein, weiß Petra Morsbach.

Beim Lesen entwickelt sich eine Bewunderung für die Justiz

 „Justizpalast“ von Petra Morsbach ist ein Bildungsroman, der dem Leser einen Grundpfeiler des demokratischen Staatswesens erzählend nahebringt. Den dreißig Richtern, die ihr beim Verfassen dieses Romans geholfen haben, ist er gewidmet.

Was es so angenehm macht, den Roman zu lesen, ist seine Unaufgeregtheit, seine Solidität; er bewegt sich in einem Mittelfeld der Angemessenheit. Und erst wenn man sich mit diesem Roman zusammen für mindestens eine Woche auch dort aufgehalten hat, wird einem plötzlich bewusst, wie sehr man dieses Mittelfeld im öffentlichen Diskurs vermisst, das edle Gespräch, wie Petra Morsbach es im Interview an einer Stelle bezeichnet.

Und erst dann erblüht förmlich eine Bewunderung für die Justiz, die einmal geschaffen wurde, um dieses edle Mittelfeld des gesellschaftlichen Interessenausgleichs zu hegen und pflegen.

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Brigitte Neumann