SWR2 Buch der Woche vom 20.03.2017

Georg M. Oswald: Alle, die du liebst

Stand
AUTOR/IN
Ralph Gerstenberg

In Georg M. Oswalds Roman "Alle, die du liebst" wird ein Vater-Sohn-Konflikt erzählt. Dabei gelingt es Oswald, seinen Protagonisten als äußerst widersprüchliche Figur zu zeichnen, der durch die Auseinandersetzung mit seinem Sohn zu einer anderen Sicht auf sich selbst und sein bisheriges Leben kommt.

So kann man diesen stimmig erzählten Roman auch als Konfrontation mit dem Anderen lesen, dem Fremden, das auf einen selbst zurückwirkt – in der Liebe, im Verhältnis zur anderen Generation, zu anderen Kulturen, oder als Plädoyer dafür, das eigene Weltbild infrage zu stellen, bevor es zu spät ist und andere einem die eigenen Irrtümer auf schmerzhafte Weise vor Augen führen

Glaubwürdigkeit der Figur durch Parallelen mit dem Autor

Georg M. Oswald ist beruflich äußerst vielseitig unterwegs. Der 1963 geborene und in München lebende Autor arbeitet auch als Rechtsanwalt und leitete bis vor kurzem den Berlin Verlag. In seinen Romanen "Lichtenbergs Fall" und "Party-Boy" analysierte er den Zustand des deutschen Justizsystems. Sein bislang erfolgreichster Roman "Alles, was zählt" zeigt den Zynismus und das Profitstreben der schönen neuen Businesswelt.

Und sein letztes Buch, der Thriller "Unter Feinden", wurde 2013 von Lars Becker für das ZDF verfilmt. In Georg M. Oswalds neuem Roman "Alle, die du liebst" geht es um einen Vater-Sohn-Konflikt, aber auch um die Lebenskrise eines Mannes, der bislang immer alles bekommen hat, was er wollte.

Die Hauptfigur Hartmut Wilke ist seinem Autor gar nicht so unähnlich – zumindest wenn man von einigen biografischen Koordinaten ausgeht. So arbeitet Oswald wie Wilke als Rechtsanwalt und hat die Fünfzig bereits überschritten. Doch es gibt auch Unterschiede.

"Der Anwalt hat 'ne ganz andere Karriere gemacht als ich sie als Anwalt gemacht habe, und auch sein Privatleben sieht ganz anders aus als meines aussieht. Aber diese Nähe habe ich tatsächlich auch gesucht in bestimmten Lebensumständen, eben das Alter und dass er einen Beruf hat, den ich gut kenne, hat mir geholfen, so ein gewisses Vertrauen in die Glaubwürdigkeit dieser Figur zu bekommen. Insofern war es für mich wichtig, dass ich bestimmte Umstände dieser Figur genau kenne", sagt Georg M. Oswald.

Der Protagonist ist innerlich ausgebrannt

Äußerlich ist Hartmut Wilke das, was man einen Erfolgsmenschen nennt. Als Anwalt mit florierender Kanzlei hat er es zu einem beachtlichen Vermögen gebracht und verfügt über die entsprechenden Insignien: Immobilienbesitz, Luxuskarosse, eine wesentlich jüngere Geliebte. Doch im Inneren hat er das Gefühl, mit seinem eigenen Tempo nicht mehr mithalten zu können, aus dem Tritt geraten zu sein. Ein Scheidungskrieg mit seiner Ex-Frau und Ermittlungen gegen ihn wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bringen ihn zusätzlich ins Straucheln.

Georg M. Oswald: "Im Grunde ist er sich selbst fremd geworden in dem Leben, das er führt, und hat nicht mehr den Eindruck, dass das eigentlich überhaupt sein Leben ist, in dem er da steckt. Das ist eigentlich auch genau die Diskrepanz, die mich besonders interessiert hat an der Figur, dass er sich so selbst dabei zusieht, in welcher Situation er sich plötzlich befindet ... auch dass die Menschen, zu denen er Beziehungen hat, ihm plötzlich vorkommen wie die Figuren eines Theaterstücks, von denen er eine selbst ist und die er beim Handeln beobachtet. Und er sieht sich selbst eben auch Dinge tun, die im Grunde sich fast fremd anfühlen für ihn."

Der Vater möchte sein Verhältnis zu seinem Sohn ändern

Fremd erscheinen ihm auch seine drei inzwischen erwachsen gewordenen Kinder. Besonders seinem ältesten Sohn Erik fühlt er sich "in hilfloser Liebe und maßloser Enttäuschung" verbunden. Doch der Kontakt des Vaters zu seinem Sohn ist fast abgebrochen. Erik betreibt auf Kiani Island, einer fiktiven Insel an der Ostküste Kenias, eine Strandbar, für die Hartmut Wilke ihm einst einen Kredit verweigert hat.

Alles, was der Sohn bisher zustande gebracht hat, ist in den Augen des Vaters "schierer Unfug", ein ewiges Ausprobieren und Rumlavieren, das ganz im Gegensatz zu seiner eigenen, von Zielstrebigkeit und Willenskraft geprägten Biografie steht. Doch nun - so Wilke - sei es Zeit für eine "Revision seiner Einschätzungen". Gemeinsam mit seiner Freundin Ines besucht er den Sohn in Afrika, um seine Beziehung zu ihm neu zu definieren.

"Er hat den Wunsch, ich glaube, den ganz aufrichtigen Wunsch, mit dem Sohn in Kontakt zu kommen. Und zwar nicht nur physisch und kommunikativ, sondern so, dass er ...  sich ihm auf eine andere Weise nähert und Verständnis signalisiert und auch versucht, dessen Welt zu verstehen. Und bis zu einem gewissen Punkt gelingt ihm das ja auch", so Georg M. Oswald.

Oswald arbeitet mit Mitteln der Spannungsliteratur

Auf Kiani Island wirkt Erik wie jemand, der seinen Platz in der Welt gefunden hat. Er genießt Ansehen und bewegt sich in diesem exotischen Land souverän wie ein Einheimischer. Hartmut Wilke indes tut sich schwer in der Fremde. Als Mensch, der es gewohnt ist, sich an Gesetzen und Regelwerken zu orientieren, ist er verunsichert, weil er die Regeln nicht kennt, die hier herrschen. Die Irritationen nehmen zu, als ein dubioser Polizeigeneral Ines' Handy konfisziert, ein verletzter Massai leblos am Straßenrand liegt und Wilke erfährt, dass eine gefürchtete Terrormiliz in der Gegend ihr Unwesen treibt.

Ist Kiani Island also gar nicht das Inselparadies, als das es ihm von seinem Sohn beschrieben wurde? Will dieser ihn vielleicht um sein Vermögen erleichtern oder sich gar an ihm rächen? Hartmut Wilkes Misstrauen wächst wie das Unbehagen, das von einer immer bedrohlicher wirkenden Kulisse ausgeht. Georg M. Oswald, der zuletzt den Kriminalroman "Unter Feinden" veröffentlichte, arbeitet auch hier mit Mitteln der Spannungsliteratur, mit überraschenden Wendungen, die zu unvorhersehbaren Schwierigkeiten führen, bis seine Hauptfiguren sich in einer ganz und gar misslichen Lage befinden.

"Ich mag auch als Leser gerne Plots, die geheimnisvoll bleiben, ohne dass sie nun raunen oder ohne dass man das Geheimnis dauernd beschwört, sondern einfach ’ne Situation herstellt, in der die handelnden Figuren – so wie es im echten Leben ja auch ist - meistens nicht genug wissen, um ne Situation wirklich einschätzen zu können, wirklich vom Ende her sagen zu können: So und so und so wird sich das dann auflösen, sondern eben auf Augenhöhe mit der Figur mitzugehen und sie in eine immer kompliziertere Situation geraten zu lassen", sagt Georg M. Oswald.

Ein Plädoyer für die Infragestellung des eigenen Weltbilds

Insofern ist es nur konsequent, dass Georg M. Oswald seinen Roman in der ersten Person erzählt. Der Leser weiß nie mehr als Hartmut Wilke, folgt dessen Gedanken und zieht dieselben Schlussfolgerungen, die sich am Ende womöglich als falsch herausstellen. Dabei gelingt es Oswald, seinen Protagonisten als äußerst widersprüchliche Figur zu zeichnen, der durch die Auseinandersetzung mit seinem Sohn zu einer anderen Sicht auf sich selbst und sein bisheriges Leben kommt.

So kann man diesen stimmig erzählten Roman auch als Konfrontation mit dem Anderen lesen, dem Fremden, das auf einen selbst zurückwirkt – in der Liebe, im Verhältnis zur anderen Generation, zu anderen Kulturen, oder als Plädoyer dafür, das eigene Weltbild infrage zu stellen, bevor es zu spät ist und andere einem die eigenen Irrtümer auf schmerzhafte Weise vor Augen führen. So beendet das Buch den angefangenen Satz des Titels „Alle, die du liebst“ auf intelligente, unterhaltsame und keineswegs eindeutige Weise.

Georg M. Oswald: "Alle, die du liebst, sind weg. Alle, die du liebst, werden irgendwann tot sein. Alle, die du liebst, hassen dich - was nicht der Fall ist, glaube ich. Aber diese Fragen stehen offen. Und darauf weist der Titel hin."

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Ralph Gerstenberg