SWR2 Buch der Woche vom 20.5.2018

Crauss: Die harte Seite des Himmels

Stand
AUTOR/IN
Claudia Kramatschek

Auf „Lakritzvergiftung“ als anspielungsreichen Titel für einen ebenso anspielungsreichen Lyrikband musste man erst mal kommen. Für Crauss, 1971 geboren und Dozent für kreatives Schreiben an der Uni Siegen, ist dergleichen offenbar kein Problem. 2014 debütierte er mit diesem Titel als Lyriker im Verlagshaus Berlin. Seitdem erscheinen dort in schöner Folge seine poetischen Exerzitien, die dem popkulturellen remix ebenso verpflichtet sind wie der Liebe zu einer barocken Sprache, die das Experimentelle dennoch mit jeder Faser liebt. Nun liegt ein neuer Band von Crauss vor: „Die harte Seite des Himmels“.

2009 – so kann man es nachlesen im Internet – soll Friederike Mayröcker, die große alte Dame der lautliebenden Poesie, eine Lesung in Siegen geben; kurz zuvor war ihr Prosawerk „brütt oder die seufzenden Gärten“ erschienen. Mayröcker trägt ein Stück daraus vor – zieht dann allerdings Gedichte von Crauss aus der Tasche. Denn Crauss und Mayröcker: das ist eine Geschichte für sich. Immer wieder hat Mayröcker den jungen Kollegen ausgiebig in ihren Gedichten zitiert . Crauss widerum liefert nun mit „Die harte Seite des Himmels“ so etwas wie die poetische Liebeserklärung an seine Kollegin FM:

Mayröckers Lyrik, neu betrachtet

„Vo-coding FM“: Das ist in der Tat die entscheidende Kurzformel für das poetologische Programm, dem Crauss in diesem Gedichtband folgt. Die Mehrzahl der Gedichte sind nämlich eine Art produktive Re-Lektüre von Mayröckers besagtem Band „Brütt“: Passagen daraus stehen wie ein Subtext am unteren Ende vieler Seiten  – wer genau und vergleichend liest, begreift:  Crauss nimmt manchmal nur ein einzelnes Wort, eine Wendung oder einen Vers zum Anlass, um daraus ein ganz eigenes poetisches Gebilde zu erschaffen.  So wird dann etwa aus Mayröckers Einwurf „und in flammen, ach die tage“ bei Crauss das Gedicht „Ach, die Tage:

Die popkulturelle Geste des remix, die Crauss als sein Markenzeichen in die Lyrik eingebracht hat, ist also auch hier Leitprinzip. Doch bei Crauss geht es nie vordergründig um ein schlichtes ‚wiederholen und wiederaufnehmen’: Er hat vielmehr das Talent, das originale Material in originären Zuspitzungen neu zum Sprechen zu bringen. „brütt süßholz“ lautet ein weiteres dieser Gedichte, die sich unverhohlen vor Mayröcker verneigen – und doch einen ganz eigenen drive, eine ganze eigene Stimmung entwickeln.

Hier der Anfang: 

Alles in diesen Gedichten – noch die Syntax – ist Bewegung: Anlauf und Aufbruch, dann wieder Aufprall und Absturz. Es geht um Sehnsucht und sexuelles Begehren, um Liebe und Liebeskummer – sprich: um alles eben, was – Zitat – „die Brust des Menschen durchzieht“.

Man muss Crauss' Gedichte laut lesen

Denn Crauss’ Gedichte leben nicht nur von ihrem melancholischen Witz und ihrer Sinnlichkeit: Sie leben auch von ihrer klanglichen Qualität, von Metrik und Melodie, von Rhythmus und versteckten Reimen. Den Versen verleiht das Leichtigkeit, auch etwas Spielerisches, ja Verspieltes. Dem lyrischen Radar verleiht das Weite und Wärmegehalt: So kommt etwa der Zyklus „Sehnsucht nach Gegend“ mit erstaunlich anrührenden Kindheitserinnerungen daher:

Á propos Piloten: „Die harte Seite des Himmels“ – das sollte abschließend erwähnt werden – ist nicht nur eine Liebeserklärung an Friederike Mayröcker, sondern auch eine Hommage an eine Handvoll Lyriker, allen voran Rolf Dieter Brinkmann und Antoine de Saint-Exupéry. Mit ihnen teilt Crauss die Suche nach jenem Stück Freiheit, das bekanntlich über den Wolken liegt – während der Asphalt, auf dem wir unser Leben verbringen, uns immer wieder zu Bruchlandungen zwingt.

Crauss hat also in „Die harte Seite des Himmels“ eine Menge literarisches Gepäck an Bord. Seiner Originalität leistet das keinen Abbruch – im Gegenteil. Der Band – mit wunderbarem Augenzwinkern von Felix Bauer illustriert – dürfte Crauss auch jenen zugänglich machen, die bis dato mit Respekt Abstand hielten zum Werk dieses eigenwilligen Lyrikers.

 

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Claudia Kramatschek